6646177-1958_25_01.jpg
Digital In Arbeit

„Den heutigen Tag überdauern...“

Werbung
Werbung
Werbung

Der Wiener Katholikentag hatte zwei Gesichter. Zumal für Außenstehende drängte sich bei den öffentlichen Kundgebungen der letzten beiden Tage, am 14. und 15. Juni, der Eindruck vor: jetzt haben die Politiker das Wort. Für die in ihrer Kirche tätigen Wiener Katholiken stand ein anderes im Vordergrund: nach sehr sorgfältiger Vorbereitung, der Arbeit eines Jahres, fanden sich in den Arbeitskreisen einer Woche jene Frauen, Männer und Jugendlichen zusammen, um in Arbeit und Bekenntnis zu bekunden: die Verantwortung des Katholiken für die eine Welt und für unser Volk ist schwer.

„Eine ungeheure Verantwortung“ ist dem Katholiken heute „aufgebürdet“. Das sagte, sehr nüchtern, Staatssekretär Withalm in seiner Rede bei der HauptkühHgebung im Wiener Stadion am Sonntag, den 15. Juni, vor 50.000 Wienern. Derselbe Redner half durch seine einleitenden Worte, die richtigen Akzente zu finden, die gerade dieser Katholikentag bedarf, soll er nicht grob mißverstanden werden.

„Vielleicht hat es da und dort Ueberraschung ausgelöst, daß der Redner der heutigen Abschlußkundgebung des Katholikentages ein Mann ist, der mitten im politischen Leben steht. Ist dies mit der Hakung der Kirche, die sie seit 1945 einnimmt, vereinbar oder kündigt sich etwa in dieser Tatsache eine Aenderung in ihren Auffassungen an? Darf ich dazu eine klare und eindeutige Feststellung treffen. Wenn gerade mir die ebenso ehrende wie verantwortungsvolle Aufgabe übertragen wurde, heute hier zu sprechen, dann galt der Auftrag nicht dem politischen Mandatar, sondern ausschließlich dem treuen Sohn der katholischen Kirche. Nur als solcher und nicht als derzeit und vorübergehend in der Politik Tätiger stehe ich vor Ihnen und habe zu Ihnen zu sprechen.“

Diese wichtige Feststellung wurde am Vortage unterstrichen durch Worte des Bundeskanzlers bei der einzigen politischen Kundgebung im Rahmen des Wiener Katholikentages, jener der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände: auch der Sinn dieser Kundgebung sei nicht, Propaganda für oder gegen eine bestimmte Partei zu machen.

Für Außenstehende und Staatsbürger in den Randzonen der Kirche lag die Mißdeutung nahe: hier suche sich eine Partei einen Wandschirm, eben die Kirche.

So einfach liegen die Dinge nicht: Es hieße das Wissen und Gewissen unserer Kirchenführung ebenso wie das Ethos führender Katholiken, die als Politiker der ersten Regierungspartei an der vordersten Front des politischen Kampfes stehen, unterschätzen, würden sie es sich so leicht machen, und dergestalt die Wege in die Zukunft wirren und erschweren.

Es führt kein Weg zurück: zu jener Symbiose von Staat und Kirche, wie sie in der Monarchie gepflegt wurde, auch nicht zum Abgesang dieser Symbiose im politischen Engagement der Kirche nach 1918. Eben aber weil.kein Weg zurück führt, werden jetzt die schweren Lücken und Ausfallserscheinungen deutlich, drastisch, tragisch sichtbar.

Bundeskanzler Raab und Dr. Withalm haben sich mit dem Problem „schmutzige Politik“, Korruption auseinandersetzen müssen, nicht nur, weil an jeder Straßenecke die Gazetten davon schreiben, sondern weil eben hier der große Leerraum in eben diesen Tagen so sichtbar ge-, worden ist. Es gibt heute in Oesterreich keine nennenswerte Gruppe, keine größere Zahl von überzeugten, existentiell christlich lebenden Katholiken, die politische Charaktere sind, politisch tätig sind, Führungsfunktionen tragen.

An dieser Erscheinung sind vielerlei Momente beteiligt. Klagen auch wir nicht an — das war ja ein Leitmotiv des Wiener Katholikentages, das besonders Kanonikus Dr. Steiner vor der Jugend auf dem Wiener Rathausplatz unterstrich, aber halten wir fest: an diesem allmählich für das innere Gleichgewicht der Kräfte lebensgefährlichen Moment ist nicht nur der Tod alter, verdienter Männer, der Krieg und eine gewisse sich nach innen einhausende Spiritualität beteiligt, sonder auch eben dies: es hat, nach 1945, keinerlei planmäßige politische Erziehung und Nachwuchsförderung für Katholiken einer jüngeren Generation gegeben, wohl aber viele Sperrungen gegen sie. Diese wanderten in andere Berufe ab. Das Tor war für sie verschlossen. Vielleicht wird es morgen aufgetan werden. Der klagende Ruf des Kanzlers, daß einige wenige Katholiken im politischen Leben allein gelassen werden, und für die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen sollen, sollte richtig verstanden werden: von allen, die es angeht...

„Ihr alle aber seid Brüder“: dieses Wort müsse den heutigen Tag überdauern, bekannte Erzbischof-Koadjutor Dr. Jachym in seiner Festpredigt. Dieses Wort sei Aufruf zu persönlicher Entscheidung von Mensch zu Mensch.

Es ist wichtig, eben die Ausdeutungen, die Nutzanwendungen, die Forderungen aus diesem einen und einzigartigen Herrenwort sich zu erlesen, herauszusuchen, auf daß sie nicht überhört werden und im Staub dieses Sommers in den Schmutz der Straße sinken und rasch vergessen werden: die Nutzanwendungen dieses Gebots Christi, wie sie in den eindrucksvollen Kundgebungen dieses Wiener Katholikentages offen gefordert wurden.

Der Wiener Oberhirte, Erzbischof Dr. König, legte sehr klar den Akzent auf die weltumspannende globale Verpflichtung des Katholiken. „Das Leitwort des Katholikentages verpflichtet uns gerade in dieser Zeit, unsere brüderliche Sorge auszudehnen auf das Zusammenleben der Völker und die Notlage der*in Entwicklung befindlichen Völker.“

Staatssekretär Dr. Withalm sagte wörtlich: „Wir haben daher Achtung vor dem Nächsten zu empfinden, das ist der erste Grundsatz, der sich aus dem Gebot der Brüderlichkeit ergibt. Jeder Mitmensch ist unser Bruder, ohne Unterschied der Rasse und Klasse, des Geschlechts und Standes, der Nationalität und der Weltanschauung. Waren wir uns immer dessen bewußt, was dieser Grundsatz bedeutet, sind wir uns dessen bewußt, was er von uns verlangt? Sind wir auch wirklich bereit, uns immer und überall nach diesem Grundsatz zu halten? Sind wir schon so weit, daß wir Achtung vor unserem Nächsten empfinden, gleichgültig, ob er nun arm oder reich, Jude oder Neger ist?“

„Wir Katholiken sind dafür verantwortlich, daß in dieser Welt die Brüderlichkeit, die Liebe nicht vergessen und übersehen werde. Schwere Lücken weist die gesellschaftliche Ordnung in Oesterreich auf: da ist es das Wohnungsproblem, da ist es die Frage der kinderreichen Familien: es muß mit aller notwendigen Deutlichkeit festgehalten werden, daß nach wie vor die Kluft beschämend groß ist, welche in der Lebenshaltung der Familien mit Kindern gegenüber den Kinderlosen besteht. Wir alle müssen uns daher bemühen, die sich aus dieser Feststellung ergebenden Konsequenzen zu ziehen, damit die Diskriminierung der kinderreichen Familien beseitigt werde.“

Und der Staatssekretär schloß: Jenseits des alten liberalistischen Kapitalismus und der Ideologie und Praxis des Klassenkampfes, die sich beide als unfähig erwiesen haben, eine freiere und bessere Gesellschaftsordnung zu schaffen, „geht es heute für den wachen Katholiken nicht um einzelne kleine Verbesserungen, sondern um eine grundlegende Reform der Gesellschaft. Vielleicht wird der eine oder der andere den Beitrag, den er zu dieser Reform zu leisten haben wird, als kaum zumutbares Opfer betrachten. Letzten Endes würde sich jedoch gerade hier herausstellen, daß das, was ursprünglich ein Opfer schien, als weitblickende Tat bezeichnet werden kann.“

Das sind kühne, sehr kühne Worte. Unsere Politiker und unsere großen Interessenverbände werden in späterer Zeit uns verzeihen müssen, wenn wir sie und uns selbst, die wir alle im Banne von Gruppenegoismen stehen, daran erinnern werden. -m So zeigten, wenn man es wagt, in der überaus warmherzigen freundlichen Atmosphäre dieses frühsommerlichen Wiener Katholikentages den tiefen dunklen Ernst nicht zu übersehen, der da doch auch aufklang, eben diese Festtage der Kirche in Wien, im Rahmen der Wiener Festwochen und über sie hinausgreifend, fordernd, bittend: es gibt hierzulande Menschen, Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder, die still gefaßt, bereit sind, das auf sich zu nehmen, was uns Christen in Oesterreich zukommt: eine „ungeheure Verantwortung“; die in leisen, schlichten Diensten, im Alltag gesehen und angenommen werden will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung