6674748-1961_16_12.jpg
Digital In Arbeit

Denkmalschutz im Dilemma

Werbung
Werbung
Werbung

I.

Es vergeht in Niederösterreich keine Woche, in der nicht aus irgendeinem Ort der Ruf laut wird: Rettet unsere barocke oder gotische Kirche, bewahrt unser historisches Schloß vor dem endgültigen Verfall.

Die Prandtauer-Wallfahrtskirche auf dem Sonntagberg, die Schallaburg, das schönste Renaissanceschloß in ganz Österreich, die Kaiserpaläste in Laxenburg oder die romanische Klosterkirche in Klein-Mariazell sind nur die markantesten, gleichzeitig aber auch dtė beschämendsten Beispiele aus einer sehr langen Liste von historischen Bauten, die zwar unter Denkmalschutz stehen, trotzdem aber Vom Verfall bedroht sind.

Dieses „Trotzdem“ zeigt die ganze Problematik des Denkmalschutzes in Österreich, vor allem aber im burgen- und schlösserreichen Niederösterreich, auf. Wir haben zwar einen Denkmalschutz und ein Denkmalamt, doch hat dieses Amt viel zuwenig Geld, um die vielen Kunstwerke wirklich wirksam schützen zu können. Zur Erhaltung eines Gebäudekomplexes, wie ihn beispielsweise die Schallaburg darstellt, reicht jedoch der bekannte Idealismus des Personals des Denkmalschutzes allein nicht aus. Denn für die Restaurierung dieses Renaissancejuwels wären mehrere Millionen Schilling notwendig.

II.

Erst vor kurzer Zeit verbreitete sich in den Ortschaften rund um die Schallaburg das Gerücht, daß man bereits dabei sei, die Mauern dieses kostbaren Bauwerks abzureißen. Ausgelöst wurde diese Fama durch die Tatsache, daß Maurer in prunkvollen Renaissancegemächern Decken einrissen. Feststeht, daß die Denkmalschutzbehörden zu dieser Roßkur niemals die Zustimmung gegeben haben.

Wie bei manch anderem historischen Bauwerk liest der Grund für den fortschreitenden Verfall dieses Schlosses in den ungeklärten Besitzverhältnissen. Die Schallaburg, zu der ein ansehnlicher Grundbesitz gehört, wurde 1940 von Josef Freiherr von Nagel-Doornik. einem Schwager des verstorbenen Bischofs von Münster,

Kardinal Graf Galen, gekauft. Demnach war sie 1945 deutsches Eigentum und wurde der Landwirtschaftskammer zur öffentlichen Verwaltung übergeben. Ein Rückstellungsantrag mußte abgelehnt werden, da der Wert des Besitzes die .im Staatsvertrag mit ;260.Ö00 S festgelegten Grenzen für das sogenannte' kleine deutsche Eigentum weit überschritt. Darauf bewarb sich der ehemalige Eigentümer der Schallaburg um die österreichische Staatsbürgerschaft. Da jedoch die im Staatsvertragsdurchführungsgesetz vorgesehenen . Begünstigungen für Neuösterreicher nicht mehr in Frage kamen, sind die Besitzverhältnisse des Schlosses nach wie vor ungeklärt.

Schon vor zwei Jahren wurde im Parlament ein Gesetzentwurf eingebracht, der in die verworrenen Rechtsverhältnisse der Schallaburg Klarheit bringen könnte — die 10. Novelle zum Staatsvertragsdurchführungsgesetz. Doch selbst wenn diese Novellierung — die Anzahl der Novellen beweist übrigens die ganze Problematik der ursprünglichen Vorlage — im Parlament beschlossen wird, ist immer noch nicht sicher, daß Freiherr von Nagel die ernste Absicht hat, die Schallaburg zu restaurieren; zwingen könnte ihn niemand dazu. Wahrscheinlich würde es auch dort, wie bei einem guten Dutzend anderer Schlösser, dazu kommen, daß der Grundbesitz verkauft wird, das Bauwerk aber weiter verfällt.

III.

Wir haben es dabei mit einem Problem zu tun, mit dem sich der Denkmalschutz seit seinem Bestehen herumraufen muß. Burg und Grundbesitz sowie Klöster und das dazugehörige Besitztum bildeten bei den Stiften bis zur Zeit Kaiser Josefs II., bei den Burgen und Schlössern bis weit herein ins 20. Jahrhundert, Einheiten. Der Ertrag aus dem Grundbesitz garantierte auch die Erhaltung des Bauwerkes. Diese Homogenität wurde zur Zeit Kaiser Josefs radikal gestört. Der Besitz vieler auf gehobener ■ Klöster ging in Privathände über, die neuen Besitzer aber waren nicht bereit, mit den Wäldern und Feldern auch die Verpflichtung zur Erhaltung der historischen Bauten zu übernehmen. Diese Tatsache ist ein Grundübel, mit dem der Denkmalschutz kaum fertig werden kann. Es müßte daher in die 10. Novelle zum Staatsvertragsdurchführungsgesetz auf irgendeine Aft, soweit es sich bei den in Frage kommenden Besitzungen um Schlösser, die unter Denkmalschutz stehen, und den dazugehörigen Grundbesitz handelt, eine Klausel eingebaut werden, die die

Restaurierung bzw. Erhaltung der Bauten garantiert.

IV.

Mit Subventionen des Landes Niederösterreich, des Bundesdenkmalamtes und der Landwirtschaftskammer wurde in den vergangenen Jahren das Dach des Schlosses ausgebessert. Man wollte damit verhindern, daß Schnee und Regen das Gebäude innerhalb kurzer Zeit völlig zur Ruine machen. Verhindern aber kann man nicht, daß die herrlichen Terrakotten an den Doppelarkaden abbröckeln, daß der reiche Stuck in den Zimmern herabfällt, daß vor dem Tor eine Tafel angebracht ist: Betreten des Schlosses lebensgefährlich — dabei handelt es sich um ein Schloß, das Niederösterreich in seinen Fremdenverkehrsprospekten immer wieder als besonders sehenswert anpreist. Will man auf diese Art den Fremden, die durch schöne, aber meist uralte Prospektbilder angelockt werden, die beschämende Unzulänglichkeit der österreichischen Denkmalpflege vor Augen führen? Will man aller Welt zeigen, wie in Österreich Kulturgüter, um die uns andere Nationen beneiden, ohne zwingende Notwendigkeit verludern?

Wo zeigt sich ein Ausweg aus diesem Dilemma? Doch wohl nur darin, daß man die ganze Liste der denkmalgeschützten Burgen, Schlösser und Kirchen noch einmal einer genauen Revision unterzieht; was vom kunsthistorischen und geschichtlichen Standpunkt aus wirklich geschützt werden soll, kommt auf eine neue, weniger umfangreiche Liste. Die neuausgewählten Objekte, wirklich zu erhalten und zu restaurieren, müßte dann nationale Verpflichtung sein. Das heißt, auch das nötige Kleingeld für die Erhaltung und Restaurierung dieser Denkmale müßte bereitgestellt werden.

Diese neueHfSöSdarf dann weder ein Politiker oder ein Journalist Hoß deshalb, weil eine Kirche oder eiif. Schloß in seinem Wahlbezirk liegt oder in einen spritzigen Artikel paßt; erweitern noch ein Straßen- oder Bahnbauer vermindern. Um diese Bauten hat sich dann der Denkmalschutz zu kümmern. Dabei darf es nicht nur auf die Fassade ankommen, auch wie das Bauwerk an seiner Rückseite und wie die alten Räume innen aussehen, geht die Denkmalschützer an.

V.

Versuche privater Stellen, historische Bauten durch oft recht geschickte Improvisation vor dem Verfall zu retten, sind lobenswert, sie reichen aber nicht aus. Es muß dem Kunsthistoriker zu denken geben, wenn beispielsweise das Stift Klosterneuburg den wunderbaren frühgotischen Kapitelsaal des ehemaligen Waldviertler Klosters St. Bernhard mit

Zustimmung des Denkmalamtes abtragen läßt, um ihn in Klosterneuburg Stein für Stein wieder aufzubauen. Ist es zu verantworten, ein Bauwerk, das bald 700 Jahre an einer Stelle stand, plötzlich nach echt amerikanischem Muster zu verfrachten und an einem ganz anderen Ort, der mit der Entstehungsgeschichte des Kunstwerkes gar nichts zu tun hat, neu aufzubauen? Bei der derzeitigen Lage des Denkmalschutzes, der für jede Restaurierung eines Kunstwerkes, wenn sie auf Privatinitiative zurückgeht, wirklich ■ dankbar ist, muß diese Frage leider bejaht werden. Besser ein Kunstwerk wird anderswo wieder aufgebaut und erhalten, als es zerbröckelt dort, wo es entstanden ist.

Doch sind solche RadikaTsanierun- gen Einzelfälle. Dutzende Schlösser und viele im 18. Jahrhundert aufgelöste Klöster werden in Niederösterreich zu Ruinen. Nichts aber ist beschämender für ein| Generation, als wenn sie zusehen 'muß, wie historische Bauten, die noch bis vor -kurzem bewohnt waren oder .von. denen einzelne Trakte sogar jetzt noch bewohnt sind, zerfallen.

Darum: Reform des Denkmalschutzes durch eine vernünftige Reduzierung der Liste der denkmalgeschützten ■ Burgen, Schlösser und Kirchen sowie Sicherstellung ,der für die Restaurierung und Erhaltung denkmalgeschützter Bauten notwendigen Mittel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung