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Der 20. Juli 1944 in Wien

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III. Am Beispiel Robert Bernardis'

Oberst des Generalstabes Kodre hatte die undankbare Aufgabe, am 20. Juli 1944, die Gesamtverantwortung im Wehrkreis XVII zu übernehmen. Unglücklicherweise war der kommandierende General im Wehrkreis, General der Infanterie Schubert, nicht anwesend, sondern befand sich zur Kur in der Slowakei. General Schubert, der sich gerne im Gespräch an seine Verbundenheit mit hauptsächlich aus Wienern zusammengesetzten Truppenteilen erinnerte, war der Typ eines durchaus unpolitischen preußischen Soldaten. Wie er sich in der verantwortlichen Stellung am 20. Juli selbst verhalten hätte, bleibt natürlich ein Rätsel. Seine noch später zu schildernde Reaktion, vor allem gegenüber Kodre, den man von allen Seiten zum Sündenbock erklären wollte, war durch die politische Situation bestimmt. Oberst Kodre schilderte die letzte Begegnung mit Marogna mit Hinblick auf die eigentümliche dienstliche Stellung, die Marogna unmittelbar vor dem 20. Juli einnahm und die, wie man nachträglich wohl bestätigen kann, schon die Lenkung durch Stauffenbergs Planungen erweist. Im Zuge der Umgestaltung des Abwehrdienstes, knapp vor dem 20. Juli, kam ein großer Teil der Abwehr in die Hände des Sicherheitsdienstes, nachdem Admiral Canaris im Februar 1944 seines Dienstes enthoben worden war.

Kontakt mit Stauffenberg

Unter den Offizieren, die abgelöst worden waren, befand sich auch Oberst Graf Marogna, der nun im Auftrag Stauffenbergs die Aufgabe übertragen erhielt, Einheiten zu inspizieren, die improvisiert aus Urlaubern und sonstigen fluktuierenden Elementen zusammengesetzt, die zusammenbrechende Front stützen sollten. Nach einer Reise zu solchen Einheiten in der Slowakei und in Oberungarn, kam am Vormittag des 20. Juli für ine Stunde Oberst Marogna zum Stabschef des Wehrkreises XVII, um ihn über seine im übrigen deprimierenden Eindrücke zu informieren. Abschließend bemerkte Marogna in dem Gespräch, daß er zunächst nicht nach München fahren, sondern nach Erfüllung seines Auftrages weitere Verfügungen des OKH abwarten und als Angehöriger der sogenannten „Führerreserve“ in seiner Wiener Wohnung verbleiben würde. Marognas Anwesenheit in Wien war später bei der Vernehmung Kodres für die Gestapo von besonderer Wichtigkeit, obgleich der Graf seinem Gesprächspartner keineswegs deutlich enthüllt hatte, was sich vorbereitete. Ist somit in Oberst Marogna der eine

Kontaktmann Stauffenbergs für die Ereignisse in Wien festgestellt, so muß noch ein Generalstabsoffizier, der aus dem österreichischen Bundesheer hervorging, und direkt bei Stauffenberg an verantwortlicher Stelle die Aktionen des 20. Juli mitsteuerte, nämlich der Oberstleutnant im Generalstab, Robert Bernardis, der am 8. August bereits nach dem ersten Hauptprozeß

Bernardis gegen Freister

Am 7. August 1908 in Innsbruck geboren, trat Bernardis 1928 in das Bundesheer ein, wurde 1932 Offizier (oberösterreichisches Pionierbataillon 4, Linz) und war, wie Kodre berichtet, im Kriegstechnischen Kurs, also in der Vorbereitungslaufbahn für den technischen Generalstabsdienst, als der Anschluß kam. Bernardis hat, eigenen Angaben in den Prozeßakten zufolge, den Krieg in Polen, Frankreich und Jugoslawien mitgemacht und war ab Juni 1942 im OKH, um dann direkt bei Stauffenberg als Gruppenleiter organisatorische und besonders personalpolitische Fragen zu bearbeiten. Zur Haltung von Bernardis liegen uns in den Prozeßakten umfangreiche Äußerungen vor, die der Angeklagte dem Richter Freisler gegenüber trotz der vorhergegangenen Verhöre in einer seltenen Offenheit und Überzeugungskraft vorbrachte. Wer jemals den erhalten gebliebenen Filmstreifen der Hauptverhandlung gesehen hat, wird verstehen, daß die Angeklagten — und das gilt auch für Bernardis — unter Druck, nach quälenden Verhören, einen letzten verzweifelten und aussichtslosen Kampf führten, und daher der reine Wortlaut des Prozesses selbst nur sehr bedingt als historische Quelle verwertet werden kann. Diesbezüglich hat der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Eugen Gerstenmaier, beim Internationalen Kongreß für Zeitgeschichte in München 1959, in seinein Diskussionsbeitrag eindeutig auf den Wert der Prozeßakten wie folgt hingewiesen:

„Ich beobachtete nicht ohne Resignation, daß es deutsche Richter gibt, für die die Prozeßakten des Volksgerichtshofes eine zuverlässige Beweiskraft haben, zum Beispiel bei neuen Verfahren. Ich möchte vor aller Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, daß das doch ein ganz grobes Mißverständnis ist. Die Leute, die sich vor dem Volksgerichtshof wirklich eingelassen haben, deren Prozeßakten also historische Tatbestände enthalten, sind mit größter Wahrscheinlichkeit tot. Die anderen aber, die noch leben, haben größten Wert darauf gelegt, daß der Volksgerichtshof und andere Nazi-Gerichte nicht hinter die wirklichen Tatbestände gekommen sind. Denn die Verteidigung — der Kampf um den Kopf — bestand ja doch vor dem Volksgerichtshof, soweit sie überhaupt eine Chance gehabt hat, im wesentlichen darin, diese Wirklichkeit zu verschleiern. Die Prozeßakten enthalten also gerade nicht die historische Wahrheit, sondern sie enthalten selbstverständlich die Verteidigungsthese. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß doch deutsche Gerichte oder Untersuchungsrichter, wenn sie sich schon die Mühe machen, in dieses Material hinunterzusteigen undies umzugraben, sich das mit Nachdruck vergegenwärtigen.“

Nachschub für die Front

Bernardis war für Freisler ein „Sonderfall“, der so gar nicht in das Schema der „preußischen“ Offiziere passen wollte. Deshalb hielt ihm Freisler auch vor, politisch als junger Offizier zunächst der Heimwehr und seit 1937 dem nationalsozialistischen

Soldatenring angehört zu haben, schränkte aber diese Feststellung damit ein, daß er in der Grundlinie der nationalsozialistischen Weltanschauung wegen der rassischen Abstammung, „die aber nicht jüdisch ist, sondern deutsch-dalmatinisch-dinarisch, nicht das Letzte mitmachen konnte“. Hier stand dem Exkommunisten Freisler, der sich dann durch besondere Brutalität im Rahmen der nationalsozialistischen Rechtspflege zum Präsidenten des Volksgerichtshofes emporgeturnt hatte, ein Repräsentant eines Offiziersgeschlechtes der alten k. u. k. Armee gegenüber, ein junger Offizier des ehemaligen österreichischen Heeres, der die leidvollen Irr- und Umwege des verpolitisierten Bundesheeres miterlitten und erlebt hatte. Rückblickend schildert Kodre Bernardis als einen anständigen Menschen mit Temperament, der geneigt war, für etwas, das er für gut hielt, voll einzutreten und der zutiefst enttäuscht wurde von der Praxis des Systems, in dessen militärische und politische Fehler er an verantwortungsvollster Stelle mehr und mehr Einblick erhielt. Deswegen muß der Aussage von Bernardis im Prozeß besonderes Gewicht beigemessen werden, als er angesichts des Gerichtes mutig bekannte, „ich hatte das Gefühl, daß der Führer von Persönlichkeiten umgeben sei, die ihm militärisch nicht immer richtig raten und ihm vielleicht nicht immer richtig berichten.“

Er hat im weiteren Verlauf des Prozesses auch zugegeben, daß über Weisung eines Mitarbeiters Stauffenbergs die Reise von Graf Marogna-Redwitz nach Wien von ihm befohlen wurde und es gereichte Bernardis zu besonderer Ehre, daß er Stauffenberg auch noch angesichts des Todes, vor dem Gericht als angesehen und geachtet bezeichnete, wenn er auch die suggestive persönliche Wirkung Stauffenbergs zur Abwehr der Anklage anzuführen versuchte. In einem entscheidenden Punkt trat Bernardis einer weit verbreiteten Legende Freis-lers entschieden entgegen, nämlich in der von Freisler behaupteten Zurückhaltung von Material und Menschen zugunsten der anlaufenden und vorbereiteten Aktion des 20. Juli 1944. Der Feststellung Bernardis, daß er und seine Mitarbeiter „alles getan haben, um das, was der Front gehört, der Front in unserem Zuständigkeitsbereich zukommen zu lassen“, konnte auch der Richter Roland Freisler nur mit der kurzen Bemerkung ..Sie sind an derartigem nicht beteiligt“ begegnen. ur einer war informiert

Oberstleutnant Bernardis hat, wie Kodre ausführt, ihn ungefähr zwei oder drei Monate vor dem 20. Juli in Wien aufgesucht und dabei sehr temperamentvoll seiner Meinung über die verfehlte Führung, speziell des OKW, Ausdruck gegeben. Zu einer Einweihung in die Vorgänge und Absichten ist es dabei nicht gekommen. Auch in einem späteren Telephongespräch, knapp vor dem 20. Juli, anläßlich des Durchbruches der russischen Truppen in der südlichen Ukraine, äußerte Bernardis gegenüber Kodre sehr offen seine Meinung über Hitlers verfehlte Maßnahmen. Kodre war also zwar über die allgemeine Situation unterrichtet, nicht jedoch in den engeren Kreis und den engsten Kreis der Wissenden mit einbezogen. Der einzige Offizier des Wehrkreises XVII, der die letzten Absichten Stauffenbergs kannte, war der Hauptmann des Generalstabes, Karl S z o k o 11.

Die Wehrmacht als vollziehende Gewalt

Hauptmann Karl Szokoll, der ebenfalls aus dem österreichischen Bundesheer hervorgegangen war, befand sich in der wichtigsten Stelle des I b Org. (Organisationsabteilung) im Wehrkreis XVII und war auf dieser Befehlsebene Bernardis beziehungsweise Stauffenberg verantwortlich. Der kleine drahtige Offizier hatte in den letzten Monaten, wie Kodre berichtet, oft Alarmübungen durchführen lassen, die im Rahmen der vorbereitenden Maßnahmen des sogenannten Planes „Walküre“ zum erstenmal am 31. Juli 194? vom Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres befohlen worden waren. Unter dem Decknamen „Walküre' sollten die stellvertretenden Generalkommandos, also die Heimatbefehlsstellen, sowie die Ersatz-und Ausbildungstruppenteile, Schulen und Lehrgänge, Kampfgruppen bilden, deren Bestimmung vor allem in der Neufassung des Planes vom 11. Februar 1944 auch für den Fronteinsatz unterstrichen wurde. Stauffenbergs Idee war es, mit Hilfe der rasch zu alarmierenden Truppen des Ersatzheeres, zentral gelenkt für den Fall des Attentates die vollziehende Gewalt in die Hände der Wehrmacht überzuleiten. Diese Absicht wußten naturgemäß nur Eingeweihte und zu diesen gehörte Hauptmann Szokoll, der in seinem 1948 veröffentlichten Erlebnisbericht über den 20. Juli 1944 ohne Angabe des Zeitpunktes ausführt, wie er mit Oberst Stauffenberg die letzten Absprachen traf und hoffte, daß auch in Wien alles in Ordnung gehen würde. „Die Planung des Putsches war ebenso genial wie gefährlich. Sie basierte auf der Legalität des Unternehmens. Die bisherigen Machthaber sollten außerhalb des Gesetzes gestellt, ihr Widerstandswille durch den Tod Hitlers gebrochen werden und ein starkes System der Ruhe und Ordnung vorerst ohne jegliche sichtbare Änderung das Weiterfunkionieren der Staatsmaschinerie gewährleisten.“ So Szokoll über die Planung, deren Erfolg vom Perfektionismus der militärischen Organisation entscheidend abhing, wenn es gelang, das Attentat durchzuführen.

Keine Aussicht auf Volkserhebung

Wie schwierig die Situation auch in Österreich sein würde, da nur wenige Informierte innerhalb des Befehlsapparates vorhanden waren und doch handeln mußten, hat Szokoll nachträglich zusammengefaßt:

„Die Kritik wirft uns vor, warum wir in diesem Augenblick nicht den Anschluß an das Volk gesucht haben, warum wir nicht die Fackel des Aufstandes in die breite Masse getragen haben. Wir hier in Österreich waren ja besetzt und der Großteil unserer politisch führenden Persönlichkeiten saß in den Konzentrationslagern oder stand unter dauernder Bewachung durch die Gestapo oder war vorher emigriert. Die Masse der Personen, die in Österreich Waffen trugen, waren Deutsche, und die Deutschen waren noch nicht so weit, um sich in ihrer Gesamtheit gegen Hitler zu erheben. Sie brauchten die Bombenvernichtungen und den Kampf -in ihren Städten, und selbst dann“ gelang es ihnen noch nicht, aus eigener Kraft den Dämon des Nazismus abzuschütteln. Hätte damals auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg einer breiten Volkserhebung bestanden, Stauffenberg und seine Helfer hätten sicherlich diesen Weg als den gefahrloseren erkannt und eingeschlagen.“

Die Aktion in Wien, und von hier ausgehend in ganz Österreich, enthielt zwei ganz verschiedene politische Absichten:

• Zunächst das Gelingen des gesamten Aufstandsversuches und — was schon aus der politischen Verplanung und Personenauswahl deutlich wird —

• den Ansatz zur Erringung einer österreichischen Selbständigkeit im Rahmen der weiteren politischen Entwicklung nach dem Tag X.

Historisch waren auf wenige Personen im Kommando des Wehrkreiskommandos XVII, dem Sitz des ehemaligen Kriegsministeriums der k. u. k. Monarchie, die Rollen verteilt: Wissende. Ahnende, durch die Gewalt des Befehls Mithandelnde und im Ausgang der Tragödie die für kurze Zeit ihrer Machtposition beraubten Schlüsselfiguren der politischen und polizeilichen Führungskader, die aus Verhafteten innerhalb weniger Stunden wieder zu Mächtigen gegenüber den Wehrmachtsoffizieren wurden.

(Wird fortgesetzt)

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