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Der 20. Juli in der Bendlerstraße

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Der Erlebnisbericht eines neuen Zeugen über die Vorgänge und Akteure des 20. Juli 1944, den die angesehene Frankfurter Monatsschrift „Die Gegenwart“ veröffentlicht, wirft neues Licht auf die kritischen Stunden nach der Stauffenberg-Tat. Wir veröffentlichen untenstehend, mit freundlicher Genehmigung der „Gegenwart“, den interessanten zeitgeschichtlichen Beitrag. „Die Furche“

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Der Erlebnisbericht eines neuen Zeugen über die Vorgänge und Akteure des 20. Juli 1944, den die angesehene Frankfurter Monatsschrift „Die Gegenwart“ veröffentlicht, wirft neues Licht auf die kritischen Stunden nach der Stauffenberg-Tat. Wir veröffentlichen untenstehend, mit freundlicher Genehmigung der „Gegenwart“, den interessanten zeitgeschichtlichen Beitrag. „Die Furche“

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„Die Herren möchten noch zur Abteilung herunterkommen, die Unteroffiziere und ich können gehen“, sagte mir meine Sekretärin nachmittags am 20. Juli 1944.

Es war in der Bendlerstraße, wo ich als Hauptmann der Reserve seit einem Jahr tätig war, und zwar als Bearbeiter für Kriegsmateriallieferungen an die „verbündeten und befreundeten Mächte“. Nach meiner Verwundung als Kompanieführer und längerer Lazarettbehandlung in Berlin-Wannsee war ich vom Heeres-p'ersonalamt zum „Allgemeinen Heeresamt“ (OKH/AHA, Stab Ib 2, Ausland) versetzt worden.

Mein direkter oberster Vorgesetzter war der Generaloberst Fromm, der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres (Chef H Rüst und BdE). Diese Dienststelle war ein Teil des Oberkommandos des Heeres wie der Generalstab und der Generalquartiermeister. Fromm unterstanden das Heeres-Waffenamt, das Allgemeine Heeresamt und das Heeres-Verwal-tungsamt.

Ich hatte den Generalobersten selten gesehen und niemals gesprochen. Sein Chef des Stabes war seit einiger Zeit der Oberst im Generalstab Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Ihn sah ich oft, und zwar beim Mittagessen. Es fand anfangs im sogenannten „Bendlerblock“ statt, den ich gleich noch beschreiben werde. Nach teilweiser Zerstörung der großen Dienstgebäude war das Essen dann gegenüber in der Bendlerstraße und später —nach Bombenschäden dort — in der Nähe der Matthäikirche. An allen diesen Stellen aßen wir an vielen Tischen in kleineren Gruppen, meist im Kreise der dienstlichen Mitarbeiter. Graf Stauffenberg, der immer spät zum Essen kam, war stets von seinem engsten und vertrauten Stabe begleitet. Er sprach wenig und war immer ernst. Nur einmal habe ich ihn lächeln sehen. Das war, bevor er zu Fromm kam, als er noch Chef des Stabes von General Ulbricht war, dem Leiter des Allgemeinen Heeresamtes. Ich hatte Frachtdampfer, die für Japan bestimmt waren und irgendwann und irgendwo einmal von der französischen Westküste bei ganz trübem Wetter auslaufen sollten, mit allem erdenklichen Material zu beladen. So mit Fahrrädern, Klaviersaitendraht, Munition und modernsten Panzern.

Wegen dieser Panzer hatte ich mit Graf Stauffenberg gesprochen. Er fand es drollig, Panzer nach Japan über See zu verfrachten. Ich erhielt aber die erbetenen Weisungen. Bald darnach wurde Stauffenberg, wie erwähnt, Chef des Frommschen Stabes. Sein Nachfolger in Ulbrichts Stab wurde der Oberst im Generalstab Albrecht Mertz von Quirnheim.

Ich saß also am 20. Juli 1944 gegen Dienstschluß in meinem — einem der vielen hundert — Zimmer im „Bendlerblock“. Es waren immer noch Fernschreiben anzunehmen und abzusenden und Entwürfe anzufertigen für den Versand von Kriegsmaterial. Dann verschloß ich die Papiere im Panzerschrank und ging hinunter zu den Räumen des Abteilungsleiters.

Was würde es heute wieder geben? Wohl Bekanntgabe von Ereignissen, die in der Luft lagen, die man ahnte, vielleicht etwas Neues über die Invasionsschlacht in Frankreich, die ihren Höhepunkt erreicht hatte, oder irgendein Erlaß, der die Begeisterung der Wehrmacht für den „Endsieg“ erneut entzünden sollte.

Ich trat in das Vorzimmer und stand sogleich hinter vielen Offizieren, die nach der offenen Tür zum Abteilungsleiter hinsahen. Mich auf die Zehenspitzen stellend, vernahm ich: „ ... der Führer ist einem Attentat zum Opfer gefallen ... die Führung ist übernommen von Generalfeldmarschall von Witzleben ...“

Betretenes, wortloses Staunen. Vereinzelt tiefe, spontane Empörung. Wir sahen uns an, überrascht, das Ereignis nicht sogleich fassend. Allmählich zerstreuten wir uns und gingen in unsere Räume zurück, denn es war uns sogleich verboten worden, den „Bendlerblock“ r.u verlassen.

Dieser Gebäudekomplex lag nahe dem Tiergarten, an der Ecke des Tirpitzufers und der nach dem Ratszimmermeister Bendler benannten Straße. Dieses Befehls-, Nachrichten- und Verwaltungszentrum bestand aus zahlreichen, unübersichtlichen, vielgeschossigen Bauten, miteinander durch Treppen und lange Gänge in allen Geschossen verbunden, durchsetzt von einem Dutzend Lichthöfen, die die Bomben immer lichter machten.

Ich saß also wieder in meinem Zimmer und sah auf die Totenkopfgesichter der zerstörten Nachbarhäuser. Zwischen ihnen und mir standen vor dem Fenster die roten Sommerblüten der Geranien, die ich aus meiner zerschlagenen Wohnung in Berlin hergeschafft hatte. Es war merkwürdig ruhig an diesem heißen Sommertag. Ich stand auf und schlenderte von meinem abseits gelegenen Zimmer durch die öden und mit Schränken verstellten Gänge vor in Richtung Bendlerstraße, über hundert Meter weit. Hier war neben den Räumen des Befehlshabers das Zimmer seines Adjutanten. Nach Dienstschluß, also jetzt und für die ganze Nacht, war hier der Aufenthaltsraum für den „Offizier vom Dienst“.

Ich fragte ihn, den mir bekannten Hauptmann Salomon: „Haben Sie irgend etwas gehört?“ „Nichts.“

Alle sechs Wochen einmal hatte ich hier gesessen und in stiller Nacht aus Fernschreiben die Sprache der Front vernommen, die unverstellte, Sie war gleichbleibend deutlich, dringend, unheimlich und ernst.

Irgendwo in der Nähe der Räume des Befehlshabers stand ein feldgrauer Posten vor einer offenen Tür. Dahinter, in der Ecke des Zimmers, saßen still zwei gefangene SS-Männer.

In einem anderen Raum war man guter Dinge. Ein Du.tzend Offiziere unterhielt sich aufgeräumt über die nächste Zukunft: „Jetzt wird es ganz anders ... der HJ-Rummel hört auf ... Ley mit seiner Kraft und seiner Freude ...“. Dazwischen der Rundfunk: „Attentat auf den Führer ... der Führer lebt!“ Sofort Stille, Herumschauen, wer mitgehört hatte und — den Mund halten.

Ich kam wieder in mein Zimmer zurück, setzte mich in den Sessel und wiegte auf seinen Hinterbeinen hin und her. Das Schreibtischfach schob ich auf und zu. Da lagen Notizen, Privatbriefe und Karten. Ich blätterte in ihnen und lebte in jener zeitvergessenden Spannung, bei der die Uhrzeiger von Blick zu Blick vorgeschnellt erscheinen.

Wieder pendelte ich nach vorn zum „Offizier vom. Dienst“. Merkwürdig: „Nichts ... gar nichts!“ Achselzuckend standen wir da und sahen in die Bendlerstraße hinunter. Auf der gegenüberliegenden Seite fuhr gerade ein großer Personenwagen vor. Er zeigte neben dem Kühler den steifen, quadratischen Stander eines Generalfeldmarschalls. Witzleben stieg aus und ging ruhigen Schrittes auf den Eingang unseres Dienstgebäudes zu. Als ich nach meinem Zimmer zurückging, begegnete ich dem Generalfeldmarschall. Ich grüßte. Er grüßte langsam, mechanisch, ohne mich anzusehen. Das ernsteste Gesicht zog an mir vorüber. Dann stieß ich auf den Oberstleutnant Sadrozinski. Ich meldete ihm: „Herr Oberstleutnant, soeben ist Generalfeldmarschall von Witzleben eingetroffen.“ Barsch und unwillig fuhr er mich an: „Das interessiert mich nicht.“

Schließlich irgendwo her: „Man darf den Bendlerblock verlassen und zum Abendessen gehen.“ Also: auf Trampelpfaden über Ruinenhügel Kurs Matthäikirche. Ein mit Offizieren angefüllter Saal im letzten Abendlicht, kein vernehmliches Gespräch. Nur Tellergeklapper und der fade Geruch des Kriegsessens. Einige der grauen Schattengestalten neigten sich zusammen und flüsterten. Eine verhaltene Unruhe lag in der beginnenden Sommernacht. Neben mir ein Raunen: „Hoepner wird BdE“ (Befehlshaber des Ersatzheeres, also Fromms Nachfolger). Aber das war nicht mehr als ein vielleicht etwas aufklärendes Gerücht. Und doch war es seit der am Nachmittag hereingeblitzten Todesnachricht und der entgegengesetzten Rundfunkmeldung wieder wenigstens etwas Greifbares. Bestimmt war für uns Einschneidendes bald zu erwarten.

Nach dem Essen ging ich wieder hinauf zum „Offizier vom Dienst“. Er mußte zuerst etwas erfahren, wenn offizielle Nachrichten oder Befehle zur Bendlerstraße durchkamen. Der Offizier tippte mit dem Zeigefinger auf einen kleinen Bogen Papier mit aufgeklebten Zeilen. Et war ein Führerblitztelegramm: „Walküre rückgängig machen ... Befehlen von Fromm, Witzleben ist keine Folge zu leisten.“ („Wal-

„Die Furche“

küre“ war das Stichwort für Bereitstellung und Inmarschsetzen von Verbänden des Ersatzheeres.)

„Ist .Walküre' denn ausgegeben worden?“

„Ja, schon vor langer Zeit. Das wird ein Durcheinander geben.“

Nun war es Nacht. Spärliches Licht in den öden, endlosen Gängen. Das Zimmer, in dem man die zwei SS-Männer bewacht hatte, war noch beleuchtet, aber leer. Der Posten war fort. Gegen 22.30 Uhr befahl Oberst Olbricht alle Offiziere des Allgemeinen Heeresamtes zu sich. Er stand neben seinem' Schreibtisch, und etwa dreißig Offiziere hörten seine Ausführungen an. Der General erzählte (anders kann ich seine Redeweise nicht bezeichnen), daß er Nachrichten über den Tod des Führers habe und nun auch Nachrichten vom Gegenteil. Er wisse nicht recht, was man glauben solle. Achselzuckend und mit hin und wieder ausgebreiteten Händen bewegte er sich vor uns. Schließlich hielt er eine Bewachung des „Bendlerblocks“ durch uns für angebracht. Ganz unmilitärisch wurde dies allgemein erwogen, bis sich Ulbrichts Meinung durchsetzte: die Offiziere sollten sich nacheinander ablösen und die Reihenfolge untereinander besprechen. Ganz im unklaren darüber, was im Hause bisher vor sich gegangen sei, zerstreuten wir uns.

Irgendwo in einem der Gänge huschten zwei Schatten an mir vorbei. Eine heisere Stimme: „Wir brauchen einige handfeste Leute!“ Weiter hinten, in einem der vielen Zimmer, saßen zwei angeschlagene Majore: Sperber und Amnion. Sie berichteten, daß unten an der Wache einige Soldaten sie bei der Rückkehr vom Abendessen so zugerichtet hätten, ohne sie überhaupt zu befragen. Dienstliche Ordnung und Disziplin zersetzten sich augenscheinlich immer mehr.

An einer Treppe, einsam, stand Oberstleutnant Bernardis. Ich kannte ihn von unseren alltäglichen Omnibusfahrten her, abends nach Potsdam und morgens zurück nach Berlin. Unser Stab, zu dem er gehörte, arbeitete und schlief nachts dort in der Holtzendorf-Kaserne.

Jetzt belebten sich die stundenlang so leer gewesenen Gänge des ..Bendlerblocks“ zusehends, jemand rief Bernardis zu: „Hitler lebt!“ Das käsig erblassende 'Gesicht des Oberstleutnants verschwand irgendwo.

„Schnell, schnell nach oben!“ Ich eilte mit anderen einen Stock höher. In einem hell erleuchteten Zimmer war der Fußboden bedeckt mit fabrikneuen, noch eingefetteten Schußwaffen. Eine Stimme: „Die haben wir aus

Spandau auf Umwegen noch gerade hierher durchschmuggeln können. Los, tani“ Einige Offiziere standen herum: „Wer kann die Dinger bedienen?“ Ich griff nach einer Maschinenpistole, dann in eine Kiste nach einem Magazin, setzte es mit dem gedrillten Griff des ehemaligen Kompanieführers an, lud und gab die Waffe weiter, und so weiter.

„Was nun?---Los!---Aber schnell!“

Einige Offiziere eilten mit großen Schritten fort und sausten die Treppen hinunter. Ich, äußerst gespannt, ihnen nach, die Maschinenpistole unterm Arm und eine Pistole in der Tasche der langen Hose.

„Was wird das geben?“

Ziel war das Zimmer General Olbrichts. Im Vorzimmer drängten sich Offiziere, unentschlossen, abwartend, irgend etwas murmelnd. Ein Bewaffneter aus der herangezauberten Waffenkammer brach ich Bahn. Sofort betrat er das Chefzimmer, dessen Tür offen stand. General Olbricht saß hinter seinem Schreibtisch, sah auf, erhob sich und trat zur Mitte des Raumes. Der Offizier stellte sich ihm entgegen:

„Herr General, sind Sie für oder sind Sie gegen den Führer?“

„Ich ... ich ...“ Olbricht sah sein Gegenüber nicht an.

„Herr General, ich muß Sie jetzt festnehmen!“ Der Offizier nahm ihm sogleich die Pistole ab.

Einen General so unbotmäßig und verwegen anzupacken, schien mir das Soldatentum auf den Kopf zu stellen. Ich hatte das Gefühl, der Boden unter mir wankte. Instinktiv drehte ich mich um, nach der Türöffnung zum Vorzimmer hin, und sah — Stauffenberg, seinen runden Kopf, sein einziges Auge, dieses Auge, auf die Szene im Zimmer zielend, wie die Rohrmündung einer Waffe. Eine Sekunde. Dann war er verschwunden. Wenig später stand ich allein.

Draußen im Gang ein oder zwei scharfe Schüsse. Ich lief vor und schrie: „Nicht schießen ... nicht schießen!“ (Wie kann man in der Heimat schießen?) Das Vorzimmer war leer. Olbrichts Zimmer war leer. Nirgends ein Mensch oder ein Laut. Ich spürte die neue, noch fettige Maschinenpistole in meinem Arm. Im Gang draußen trübes Licht und niemand zu sehen. Ich entsicherte meine Maschinenpistole und ging in Richtung Bendlerstraße vor. In einem dielenartigen Vorplatz stand ein einbeiniger Offizier, ganz verstört an die Wand gelehnt. Ich erkannte den Adjutanten des Generalobersten Fromm.

„Was ist hier los?“ fragte ich ihn hart.

Ein Achselzucken.

„Was ist los, was ist hier im Haus passiert?“ Er wußte es nicht, sagte nichts, sah mich nur an.

„Der Generaloberst wird es wissen. Wo ist er? „In seiner Wohnung.“ „Wo?“

„In seiner Dienstwohnung, drüben, nebenan.“ Der Adjutant bewegte seinen Kopf zur Seite. „Was macht er da?“

„Er wollte Radio hören, die neuesten Meldungen.“ „Ich werde zu ihm gehen.“ „Er ist bewacht. Leonrod steht vor der Tür!“ Ich entsann mich, daß die Dienstwohnung, eine Art Stadtquartier, in Richtung Tiergarten liegen mußte, zumal der Adjutant dorthin gewiesen hatte. „So, dann will ich mal nachsehen.“ Ich ging und schaute nach der Tür. Niemand stand dort. Merkwürdig. Ich trat näher, besann mich einen Augenblick und drückte auf den Klingelknopf. Ich wartete. Drinnen kamen Schritte näher. Die Tür öffnete sich langsam. Ich sah eine Frau. Sie sagte nichts, nur ihre Augen fragten unruhig. Es war wohl die Hausdame.

„Bitte, ist der Herr Generaloberst zu sprechen?“

Sie betrachtete mich, den unbekannten Offizier ohne Koppel, mit langen Hosen, die Maschinenpistole an die Seite geklemmt.

Dann verschwand sie in einem Zimmer. Nach geraumer Zeit kam sie zurück und sagte: „Bitte.“

Ich betrat den Flur der kleinen Wohnung. „Einen Augenblick.“ Sie verschwand wiederum. Es war nichts zu vernehmen. Offenbar unterhielt man sich leise. Plötzlich trat der Generaloberst heraus. Ein baumlanger Mann. Ich stand still. Er sah mich reserviert und prüfend an. Er kannte mich nicht.

„Herr Generaloberst, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich in diesem Aufzuge mit einer Maschinenpistole hier eingetreten bin, aber ich weiß nicht mehr, was schwarz und was weiß ist hier im Hause.“

Er betrachtete mich aufmerksam, ergriff meine Hand, umfaßte sie mit warmem Druck und sagte bewegt: „Ich danke Ihnen, daß Sie zu mir gekommen sind ... Ich werde Ihnen zeigen, was los ist!“

Kurz überlegte er, bat mich' abzuwarten und verschwand in einem Zimmer. Bald kam er zurück. Anscheinend hatte er etwas gesucht. Er rief der Frau zu: „Ich finde meine Pistole nicht.“

Ich griff in die Hosentasche und bot ihm die meine an. Er nahm sie, sah sie an und ging sogleich aus der Wohnung. Ich folgte seinen langen, zielsicheren Schritten in Richtung seiner engeren Diensträume. Sie bestanden aus seinem eigenen Zimmer, das rückwärtig an einem Lichthof lag, und dem Arbeitszimmer Staufenbergs, dem Chef seines Stabes, zur Bendlerstraße hin. Beide verband ein Kartenzimmer. Es war zu Stauffenbergs Raum hin mit einer Glastür verschlossen, während sich in Fromms Zimmer, hinter einer bühnenartigen Türöffnung, dieses Bild bot: vorn links ein kleiner Tisch, unter dem mit gelber Flamme einige Papiere brannten. Rechts daneben, also vorn in der Mitte, stand Stauffenberg, die Höhle seines herausgeschossenen Auges durch keine Klappe mehr verdeckt, den einzigen Arm mit den zwei Fingern leicht gebeugt. Wütend und drohend sah. er auf Fromm. Rechts vor Stauffenberg stand Oberst Mertz von Quirnheim, Ulbrichts Chef des Stabes, schweigend und abweisend zu Boden

sehend. Rechts an der Wand, etwas weiter hinten, lehnte sich Oberleutnant von Haeften, aufrecht stehend, mit den Händen auf dem Rücken leicht gegen die Wand. Er sah mit geschlossenen Lidern vor sich nieder, in einem inneren Gleichgewicht höheren Grades, das mich bei Unterhaltungen mit ihm früher schon angezogen hatte. Ganz vorne links, hinter dem Tisch, unter dem die Papiere brannten, saß ein älterer Herr in Zivil. Nach längerer Betrachtung entsann ich mich, einmal Bilder von ihm in den Zeitungen gesehen zu haben. Es mußte der Generaloberst Beck sein. Auch er sah vor sich hin, ohne sich zu rühren. Hinter Stauffenberg stand ein großer Tisch inmitten des Zimmers. Hinter diesem saß merkwürdigerweise General Ulbricht, der doch soeben verhaftet worden war. Dies Absonderliche fiel mir aber damals nicht auf. Ganz im Hintergrund, neben Fromms Schreibtisch am Fenster, ragte die große Gestalt des Generalobersten Hoepner, von einer Stehlampe von unten hell beschienen.

Der Generaloberst Fromm postierte sich in der Türöffnung. Ich trat rechts hinter ihm näher. Links von Fromm hatte sich der Ger.e-ralstabsoffizier Harhack eingefunden.

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