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Der alte Gott und der moderne Mensch

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Mit dem Publikum diskutierten: Prof. Dr. Erwin Schneider (Dekan der ev.-theol. Fakultät), Prof. Otto Mauer, P. Dr. Alfred F o c k e S. J. und Dozent Dr. Kurt Schubert

Die Volkshochschule Wien-West eröffnete ihr .Forum der Diskussionen“ mit diesem aktuellen Thema. Der Organisator dieser zeitgemäßen Aussprachen, Diplombibliothekar F. S. Vetter, verwies in seinen einleitenden Worten auf die Krisensituation der modernen Weltanschauungen und zitierte in diesem Zusammenhang das bemerkenswerte Buch des französischen Jesuiten Henri de L u b a c : „Die Tragödie des Humanismus ohne Gott“, in dem die geistesgeschichtliche Entwicklung der letzten 150 Jahre untersucht und eine Diagnose „unseres eigenen fast tödlichen Zusammenbruchs“ gestellt wird. Dieses Werk, aus dem zwingend hervorgeht, daß wir es bei den außerchristlichen Philosophien des letzten Säkulums und der Gegenwart mit „pervertierten Gottelvorstel-lungen“ zu tun haben, hatte ihn angeregt, die Theologen zu dieser Diskussion mit dem Publikum einzuladen.

Dekan Schneider unterschied Weltbild, Weltanschauung und Lebensauffassung. Am Weltbild arbeitet die gesamte Naturforschung. An der Weltanschauung arbeiten die Kosmologie, die Naturphilosophie und zum Teil die Geschichtsphilosophie. Um die Lebensauffassung bemühen sich Soziologie und Juristen, die Ethiker und die Pädagogen, die Kulturphilosophen überhaupt. Die Theologen haben die wissenschaftliche Arbeit an der Schaffung eines allgemein gülligen Weltbildes zu verfolgen. Sie haben mitzuarbeiten an einer hieb- und stichfesten Weltanschauung. Vor allem ist es die Aufgabe des christlichen Theologen, eine Lebensauffassung darzustellen und zu lehren, welche über alles die unbedingte Verantwortlichkeit des Menschen vor seinem Schöpfer und Herrn zur Geltung zu bringen hat. Von der Lebensauffassung führt eine letzter entscheidender Schritt zur Lebensgestaltung. Hier hat der Theologe immer auf das regulative Prinzip bedacht zu sein: alle eure Dinge lasset in der Liebe geschehen (1. Ko. 16/14), nämlich in Gottes- und Nächstenliebe.

Dozent Schubert betonte, daß der Begriff „Glaube“ aus der alltestament-lichen Religion stamme. Dieser Glaube bot die Grundlage für das Christentum und war auch die Voraussetzung für die nachchristliche jüdische Theologie. Das kollektive und unbedingte Messiasbild ist schon im Alten Testament vorhanden. Der Jude will nicht mit einer erlöslen Seele in einem unerlösten Körper auf einer unerlösten Welt wohnen (das ist die jüdische Antwort auf die christliche Messiastheologie). Das Judentum ist selbst der Erlösung wirkende, nicht ein durch einen Erlöser Erlösung empfangende Faktor. Der Begriff der Auserwäh-lung besteht in einem potenzierten Gebundensein Israels an die Geschicke der Welt, das Judentum hat auch zur Geschichte eine heilsgeschichtliche Beziehung. Zeichen der Auserwählung ist das Gesstz. Der Mensch ist verantwortungsvoller Träger der auf die Erlösung hinwirkenden göttlichen Kräfte. Er ist der entscheidende Faktor, das Werkzeug Gottes, das durch seinen Entscheid und der daraus folgenden Handlung entweder auf die Erlösung hinwirkt oder das Kommen der Erlösung verzögert. Jede schlechte Tat eines Menschen muß durch eine gute Tat dieses oder eines andern wieder aufgewogen werden.

Weltanschauung im Sinn einer totalen Weltanschauung, führte Prof. Mauer aus, das heißt, einer metaphysischen Betrachtung des Seins und des Existierenden, hat selbstverständlich mit Religion, das heißt mit Glaube und Sittlichkeit zu tun. In diesem Sinne wären zu kennzeichnen: der Fortschrittsglaube (Chilias-mus, Messianismus). Er zeigt eine willkürliche und' eine militante Form (Nationalsozialismus, Kommunismus). Er will ein Reich des Menschen unter Aussparung oder Ausrottung des Menschentums aufrichten. Das unbegründete, optimistische Weltgefühl vor dem ersten Weltkrieg schlägt anläßlich der Katastrophen der Zeit in sein Gegenteil um: Tragizismus, Nihilismus, Existentialismus. Sosehr diese Atmosphäre die Einsicht in die Kreatürlichkeit des Menschen und seine Erlösungsbedürftigkeit befördert, führt doch das praktische Bewußtsein letztlich zu Atheismus und Nihilismus. Pantheismus ist „höflicher Atheismus“ und getarnte Aufhebung wahrer Religion. Der dialektische Materialismus stellt eine der Weltgefährdungen der Religion dar. Er leugnet die Existenz der geistigen unsterblichen Seele wie die Existenz des absoluten geistigen Gottes. In ihm steckt die Häresie des Kollektivismus, der die Personalität des Menschen zugunsten des massenhaften Ganzen auszulöschen versucht und sie den politischen Zwecken des Staates unterordnet. In der Häresie der Welttechnokratie lebt die Häresie des Mönches Pelagius wieder auf. Religion wird nicht bekämpft, aber als 'überflüssiges Requisit aus einem magischen Zeitalter der Menschheit ausgeschieden. Demgegenüber sprechen die Ergebnisse einer vorurteilslosen wissenschaftlichen Forschung, die mit dem christlichen Glauben in keinem Punkt kollidieren. Glaube und Wissen sind keine Gegensätze und können keine sein. Konflikte können nur dort entstehen, wo die Wissenschaft irrige Hypothesen, die in tendenziöser Weise gegen die Dogmen der Kirche ausgespielt werden, als exakte wissenschaftliche Gesetze vorträgt. Erfreulicherweise ist insbesondere die Naturwissenschaft heute weit davon entfernt, weltanschauliche Folgerungen aus ihren fachlichen Ergebnissen zu ziehen. Sie überläßt es vernünftigerweise immer mehr der Philosophie und Theologie, diese Aufgabe zu leisten.

P. Dr. F o c k e fragte nach den wesentlichen Tatsachen im Gottesglauben. D i e erste Tatsache ist, daß es tatsächlich noch kein Volk gegeben hat, das absolut religionslos, atheistisch gewesen wäre. — Christi historische Existenz vermag heute nicht mehr angezweifelt zu werden. Christus hat seinen Gottesbeweis geführt. Eine Tatsache, an der niemand vorbeikommt. Ebenso die Kirche Christi, als der fortlebende Christus: ohne Waffen und Macht hat sie das Angesicht des Abendlandes verändert, ihren äußeren und inneren Feinden widerstanden, ja selbst ihre eigene Schlechtigkeit konnte sie nicht untergraben. — Wenn man also gerade ein Verhältnis der modernen Zeit und ihrer Geister zu Gott sucht, kann man an diesen nüchternen Tatsachen nicht vorübergehen!

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