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Der alte Mann und nichts mehr

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Antonin Nowotny — sein Name heißt auf deutsch „Neumann“ — ist nicht mehr Präsident der Moldauer Republik. Er ist Altpräsident, verschwunden in der Versenkung.

Fast keiner der bisherigen Präsidenten der Tschechoslowakei konnte sein Amt In der vorgeschriebenen Dauer ausüben. Massaryk war 1935 so krank geworden, daß er sein Amt niederlegen mußte. Benesch, der im Dezember 1935 auf Grund eines unerhörten Intrigenspieles sein Nachfolger geworden war, trat am 5. Oktober 1938 zurück, als die Nazitrup- pen schon den Großteil des Sudetenlandes besetzt hatten und an diesem Abend die letzten Züge aus den noch nicht okkupierten Gebieten mit vielen Flüchtlingen in Prag eintrafen. Hacha, der einzige Präsident der Zweiten Republik, starb 1945 im Gefängnis, in das ihn die Benesch- Regierung ganz zu Unrecht gebracht hatte. Am 7. Juni 1948 dankte Benesch ein zweitesmal ab, nachdem im Februar vorher sein Land in eine Volksdemokratie umgewandelt worden war. Sein Nachfolger Klemens Gottwald starb 1953 knapp nach dem Begräbnis Stalins, an dem er noch teilgenommen hatte.

Auch Antonin Nowotny mußte vorzeitig zurücktreten, obwohl er sich lange und zäh gehalten hatte und die Virtuosität seines Volkes, alles zu überstehen, geradezu genial beherrschte. Aber dieses Talent war vielleicht das einzige, das er besaß. Dank dieser Gabe konnte er sich halten, als Stalin stürzte, als Räkosi ging, als der Aufstand in Ungarn ausbrach, als sich Rußland und China entzweiten. Er hielt von sich sehr viel und glaubte, alles zu können. Wie Hitler glaubte er an den Primat der Politik. Die Wirtschaft der so reichen Tschechoslowakei kam immer mehr herunter und näherte sich einer Katastrophe. Vielfach wurde dies von seiner Umgebung erkannt, aber alle Reformen, die vorgeschlagen wurden, sabotierte der Präsident. Die kommunistische Partei der Tschechoslowakei mußte schließlich gegen ihn sein, wenn sie ihre Existenz retten wollte. Dieses Argument war so stichhaltig, daß Rußland nichts gegen seine Absetzung einzuwenden hatte.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Bei seiner Absetzung zeigte sich ein weiteres Phänomen des Landes: Alle Revolutionen gehen so gut wie unblutig und äußerlich legal vor sich. Barrikaden wachsen nur selten in Prag aus dem Boden und wenn, dann haben sie mehr die Funktion von Kulissen. So war es im Jahre 1918 und 1938, 1948 und so ist es wieder jetzt. Aber der freie Westen jubelt und glaubt, es handle sich um eine Demokratisierung des Landes und eine Liberalisierung und sieht nicht, daß nur alter Wein in neue Schläuche gegossen wird, damit das Regime um so fester im Sattel sitzt.

Der vom Westen so begeistert gepriesene Parteichef Dubcek hat in einer Rede in Brünn versichert, daß er die Rückkehr der Vergangenheit verhindern und dem neuen progres siven Kurs weiter Auftrieb verschaffen werde. Die Außenpolitik, sagte er weiter, sei klar auf Moskau ausgerichtet. Die permanente Basis der Außenpolitik Prags bestehe in der Stärkung der tschechoslowakischen Allianz mit der Sowjetunion. Auch betonte er es als eine Aufgabe des Zentralkomitees der Partei, alle Liberalisierungsprozesse scharf zu überwachen und zu deuten. Aber alle diese Worte hat der Westen überhört und wiegt sich weiter in Illusionen.

Ohne Programm

Bei diesen Vorgängen in der Tschechoslowakei offenbarte sich auch eine Tragödie. Eine Tragödie, die darin besteht, daß die Gegner des Regimes, die ja jetzt hie und da zu Wort kommen können, kein Programm haben. Ihr Programm erschöpft sich in dem Wunsch nach Erfüllung einiger weniger menschlicher Forderungen im bescheidenen Maß: Etwas mehr persönliche Freiheit, Abschaffung der rechtlichen

Unsicherheit, bessere Verdienstmöglichkeiten, die Chance, etwas für sein Geld zu bekommen, die Möglichkeit, ungehindert ins Ausland reisen zu können. Das sind die einzigen Programmpunkte, die die Gegner des Regimes, und diese umfassen immerhin 90 Prozent, erfüllt sehen wollen.

Es ist ein sehr geringes Programm. Niemand hat ein politisches, wirtschaftliches und soziales Konzept, niemand kann Auskunft geben, welchen Idealzustand er sich einmal für seine Heimat wünscht. Das einzige, das diese Menschen wissen, ist die Sicherheit, daß die alten Zeiten nicht wiederkehren werden. Diese Haltung ist eine Garantie, daß wesentliche politische Änderungen in der Tschechoslowakei wie in allen Ostblockstaaten nie von unten, sondern nur immer von oben kommen können. Die Revolte in Ungarn im Jahre 1956 war eine kommunistische Revolte, und auch die jetzigen Veränderungen in der Tschechoslowakei gehen von oben, von der Partei aus.

Nicht einmal die Katholiken haben ein Programm

Das einzige, das sie verlangen, ist eine Revision der Prozesse gegen die Geistlichen und deren Rückkehr auf ihre ehemaligen Seelsorgestellen. Aber Priester sind so gut wie keine mehr in Haft. Wohl aber dürfen viele nicht ihrem priesterlichen Beruf nachgehen, sondern müssen als Arbeiter ihr Leben fristen. Seit langem allerdings bilden diese Arbeiterpriester eine Verlegenheit für das Regime, und schon lange will sie der Staat wieder zu ihrer seelsorglichen Arbeit zurücklassen. Denn auf ihren Posten hatten diese Arbeiter einen ungeahnten seelsorglichen Erfolg, der ihnen bisher kaum beschie- den war. Sie kamen mit Schichten zusammen, die bisher immer der Kirche ferngeblieben waren, und das Beispiel ihres Lebens wirkte auf viele ihrer Kameraden derart, daß sie ein neues Verhältnis zur Religion bekamen.

Bekannt ist, daß diese Arbeiterpriester fast immer zu Verwaltern der Kassen der Kolchosen und ähnlicher Einrichtungen berufen werden, da sie die einzigen sind, die nicht stehlen. Der einzige echte Programmpunkt, den die Katholiken äußerten, war die Umwandlung der bisherigen Friedensbewegung der katholischen Geistlichen der Republik, an deren Spitze der Minister für Gesundheitswesen, Plojhar steht, ein Geistlicher der römisch-katholi- schen Kirche.

Ein Mann namens Plojhar

Priesterpolitiker gibt es heute nicht einmal mehr in Spanien und Irland. Bis in die dreißger Jahre gab es sehr profilierte Politiker unter den Priestern, wie Ignaz Seipel in Österreich, Prälat Kaas in Deutsch land und Don Sturzo in Italien. Mit dem Aufkommen der faschistischen Bewegungen verschwanden diese Priesterpolitiker und kehrten auch nicht wieder, als die faschistischen Regime zusammenbrachen. Politiker im Priesterkleid kann man heute nur noch in den Ostblockstaaten antreffen, wie den Vizepräsidenten des ungarischen Parlaments oder den tschechoslowakischen Minister für Gesundheit.

Minister Plojhar stammt aus der Diözese Budweis. In dieser Stadt war er nicht nur als Priester, sondern auch als Funktionär der katholischen tschechischen Volkspartei tätig, als die Nazis Böhmen besetzten. Ende 1939 wurde er, wie die meisten Politiker der Volkspartei, verhelftet und ins KZ gebracht, zuerst nach Flossenburg und dann nach Dachau. Schon in diesem Konzentrationslager fiel es vielen seiner Mitgefangenen, wie dem Wiener Bürgermeister Richard Schmitz auf, daß er einen für einen Priester maßlosen Haß gegen seine Feinde hege und von ausgesprochen rassophiler Gesinnung sei. Nach dem Krieg stürzte er sich wieder sofort in die Politik.

Im Februar 1948, als die Tschechoslowakei eine Volksdemokratie wurde, brachte er eine Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Volkspartei zusammen. Die Leitung der Volkspartei und ein Ministersessel waren der Lohn. Ein Ministersessel, den er bis jetzt, also durch 20 Jahre, innehaben konnte.

Berans Verhaftung

Kurz nach den Februarereignissen 1948 verbot der tschechoslowakische Episkopat allen Priestern eine politische Betätigung. Plojhar hielt sich nicht daran. Da hatte Erzbischof Beran von Prag den Mut, ihn zu suspendieren. Diese Strafe soll ihn nicht sehr hart getroffen haben, da er nur gelegentlich mehr die Messe zelebrierte. Als Erzbischof Beran verhaftet wurde und in Prag ein Kapitelvikar „gewählt“ wurde, hob dieser die Suspendierung wieder auf. Die theologische Fakultät verlieh Plojhar sogar das Ehrendoktorat. Auch wurde er zum Vorsitzenden der Friedenspriesterbewegung gewählt, jener Vereinigung, die die Priester auf die Seite des Staates ziehen sollte.

Minister Plojhar trug und trägt immer sein Kolare. Aus Protest gegen seine Haltung gehen fast alle Priester der Tschechoslowakei jetzt ohne Kolare. Eines Tages munkelte man sogar, daß er zu einer besonderen kirchlichen Würde auserkoren sei. Er sollte Patriarch einer von Rom losgelösten, mit dem Moskauer Patriarchat „unierten“ lateinischen Kirche werden. Aber die Synode, die diese Union proklamieren sollte, kam nie zustande. Selbst auf schärfsten Druck hin fand sich kein katholischer Geistlicher bereit, an dieser Synode tedlzunehman. Sowohl als Minister wie als Präsident der Friedensbewegung hielt er viele anti- amerikanische Reden, auch manchmal versteckte Angriffe gegen den Papst.

Die Proteste gegen seine Haltung waren jetzt so stark, daß er von seinem Posten als Präsident der Friedenspriester zurüoktreten mußte Ob er als Minister bleiben wird? Höchstwahrscheinlich nicht. Und kaum auch als Vorsitzender der noch immer existierenden katholischen Valkspartei. Obwohl man sich jetzt wieder stärker erinnern wird, daß er sehr oft erklärte, Marxismus und Katholizismus seien auf vielen Gebieten nicht vereinbar. Anderseits war er nur ziu oft das Aushängeschild für das Regime. So ist noch alles ungewiß und es bleibt dennoch die Hoffnung, daß auch ihn eines Tages das „unauslöschliche Siegel“‘, das er besitzt, veranlaßt, andere Wege zu gehen.

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