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Der Anfang der „Affäre“

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Der ganze Wirrwarr sich widersprechender Erklärungen und Behauptungen läßt sich nur entwirren, wenn man an den Anfang der ganzen Affäre zurückkehrt. Seit dem Sommer 1961 ist die Amtsführung des Bundesverteidigungsministers Franz Joseph Strauß schweren Angriffen durch das Nachrichtenmagazin ausgesetzt. Im sogenannten Fibag-Skandal geriet der Minister in das Zwielicht einer Freunderlwirtschaft, das auch von dem Untersuchungsausschuß nicht ganz ausgeräumt werden konnte, dessen Bericht auffallenderweise 48 Stunden vor Beginn der Aktion gegen den Spiegel im Bundestag verabschiedet wurde.

Dies war der erste schwere Fehler des Nachrichtenmagazins. Seit dem Sommer dieses Jahres und insbesondere seit Strauß im Juni bei der Abstimmung über den ersten, vom Parlament dann mit der knappen Mehrheit von einer Stimme abgelehnten Bericht über die Fibag-Affäre selbst mit für die Annahme dieses Berichts stimmte, galt er in Bonn nicht mehr als möglicher Kandidat für das Bundeskanzleramt, sondern nur mehr als unersetzbarer Fachminister für Wehrfragen. An dieser Stelle setzte nun Augstein an. Er hat spätestens im Sommer dieses Jahres erkannt, daß Strauß nur zu stürzen war, wenn es gelang, seinen Nimbus als Fachminister zu zerstören. Hierfür gab es Anhaltspunkte. Es war bekannt, daß Strauß bei der Ausrüstung der Luftwaffe und des Heeres schwere Fehler gemacht hatte und daß insbesondere der von Strauß gegen den Willen der Amerikaner auf taktische Atomwaffen abgestellte Aufbau des Heeres, schwere Mängel aufweist. Zu dieser Frage sammelte Augstein Material und veröffentlichte es in einem Bericht über das Manöver „Fal-lex 62“.

Daß bei diesem Manöver tatsächlich schwere Mängel, sowohl in der Ausrüstung wie in den Alarmvorschriften - und dem Aufbau der Bundeswehr zum Vorschein kamen, Ist unbestritten. Nur hatte sich Augstein mit seinem Bericht aufs Glatteis begeben. Denn was er schrieb, war ohne Zweifel ein die Sicherheit Westdeutschlands gefährdender Geheimnisverrat. Aus dem Artikel ging insbesondere hervor, daß der „Spiegel“ offenbar in den Besitz geheimer Unterlagen aus dem Bundesverteidigungsministerium und dem Wehrausschuß des Bundestages gelangt war. Die Aktion gegen den „Spiegel“ bestätigte diese Annahme, und Augstein und seine verantwortlichen Redakteure sehen bei der Verschwommenheit des Begriffs „Staatsgeheimnis“, einem sicher für sie sehr gefährlichen Verfahren wegen Landesverrats entgegen.

Was die Sache etwas makaber macht, sind zwei Umstände. Einmal ist der beanstandete Artikel niemals beschlagnahmt worden und ist nur deshalb nicht mehr an jedem Zeitungskiosk erhältlich, weil er inzwischen vergriffen und aus verständlichen Gründen nicht wieder nachgedruckt worden ist. Eine Beschlagnahme hätte auch kaum einen Sinn gehabt, weil die Bundesanwaltschaft ja fast drei Wochen brauchte, um sich schlüssig zu werden, ob überhaupt Geheimnisverrat vorliegt. Daß dies durch ein Gutachten entschieden wurde, das dem vom „Spiegel“ so scharf angegriffenen Bundesverteidigungsministerium entstammt, ist nicht gerade geeignet, das geweckte Unbehagen zu beruhigen. Der zweite Umstand besteht darin, daß das in der Bundestagsdebatte vom 7. bis 9. November von Bundeskanzler Dr. Adenauer und Innenminister Höcherl so dramatisierte Staatsgeheimnis zunächst, wie „II Messaggero“ in seinem Artikel „La Germania di Strauß“ etwas überspitzt feststellte, in der Unfähigkeit des Bundesverteidigungsministers zu bestehen scheint. Die vom „Spiegel“ verratenen Tatsachen betreffen ja Fehler im Aufbau und Bewaffnung der Bundeswehr, die auf Strauß als den verantwortlichen Minister zurückgehen. Hier wird die überaus heikle Situation dieses Landesverratsverfahrens erkennbar. Der Grat, auf dem aus einer der Presse obliegenden Pflicht der Kritik an Maßnahmen der Regierung Landesverrat wird, ist äußerst schmal. Man kann auch, von der vom „Spiegel“ zu weit getriebenen5 KsÄii? pagne gegen--Strauß einmal abgesehen, kaum leugnen, daß vertuschte Fehler im Aufbau der Landesverteidigung nicht weniger gefährlich in ihren Auswirkungen sein können, als die vom „Spiegel“ darüber entfachte und vom Verdacht des Landesverrats getroffene Diskussion.

Die Angelegenheit hätte sich wahrscheinlich mit einer geringen Aufregung beilegen lassen, hätte nicht die Bundesregierung und die ausführenden Organe in der Freude, dem unbequemen „Spiegel“ eins auswischen zu könen, Fehler begangen, die das ganze Vorgehen zum Skandal werden ließen. Wie groß die Genugtuung über das Vorgehen bei manchen CSU-

Leuten war, enthüllte deren Abgeordneter Linus Memmel, als er am Mittwoch in der Bundestagsdebatte der SPD zurief, sie sollte der Regierungspartei nicht böse sein, wenn bei ihr eine gewisse Schadenfreude vorherrsche. Die begangenen Fehler griffen freilich an das rechtsstaatliche Gefüge und haben in der Bundesrepublik eine vorher noch nie erlebte Erregung hervorgerufen.

Die im In- und Ausland herrschende Erregung über das Vorgehen gegen den „Spiegel“ scheint CDU/CSU und den Bundeskanzler unvorbereitet getroffen zu haben. Insbesondere scheint von ihnen die sich am Donnerstag, den 1. November bis zur Koalitionskrise steigernde Empörung der Freien Demokraten nicht in Rechnung gestellt worden zu sein. Mußte es schon wie eine Herausforderung wirken, daß ausgerechnet die beiden zuständigen Fachminister, weil sie der FDP angehörten, der auch Augstein nahe stand, nicht informiert wurden, so wurde das Koalitionsklima noch weiter dadurch verschärft, daß die von der FDP heftig befehdete Sozialgesetzvorlage in der Woche nach dem Vorgehen gegen den „Spiegel“ ohne Beisein der FDP-Minister vom Kabinett beraten und verabschiedet wurde. Die heitere Sorglosigkeit im Lager der CDU/CSU änderte sich mit dem Rücktrittsverlangen des Bundesjustizministers Stammberger am Donnerstag abend und steigerte sich zur Panik, als am Samstag, nach einer eingehenden Sitzung des FDP-Bundesvorstandes und Bundestagsfraktion bekannt wurde, daß auch die anderen dem Kabinett angehörenden Minister sich mit Stammberger solidarisch erklärten. Verärgernd für die FDP hatte eine dilatorische Anwort Adenauer* am Freitag gewirkt, in der er die Vorkommnisse zu bagatellisieren versucht hatte.

Der Bundeskanzler eilte ganz gegen seine Gewohnheit am Samstag in da Amt, konnte aber nicht verhindern, daß die Freien Demokraten in einem bis Montag befristeten Ultimatum die Entlassung der für die Nichtorientie-rung verantwortlichen Staatssekretäre Hopf (Bundesverteidigungsministerium) und Strauß (Bundesjustizministerium) und eine genaue Untersuchung der Vorgänge durch den Bundesjustizminister verlangte. Es blieb Adenauer nichts anderes über, als trotz heftigen Widerstrebens am Montag die Forderungen der Freien Demokraten zu erfüllen.

Dieses Nachgeben wurde am Dienstag von der CDU/CSU-Fraktion heftig kritisiert. Die beiden Staatssekretäre galten als ungewöhnlich qualifizierte Beamte. Insbesondere dem Bundesverteidigungsminister wurde verübelt, daß er seinen Staatssekretär geopfert hatte. Seine Erklärung, er habe Hopf in dieser Frage seine ministeriellen Vollmachten übertragen, wirkte schockierend.

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