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Der Antichrist in Südtirol?

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Den Männern und Frauen, die sich in den schweren Jahren des „Tausendjährigen Reiches“ zum Widerstand entschlossen, hat vieles gefehlt. Es fehlte an Geld und Gut, an materiellen Mitteln, an Waffen. Was am meisten im Inland und Ausland fehlte, war das Verständnis breitester Volksschichten für die Notwendigkeit, für das sittliche Recht des Widerstandes, des Widerstandes gegen die „eigene“ Regierung, gegen das Regime, das nicht nur auf seine Waffen, seine ungeheure materielle und militärische Überlegenheit — über diese Einzelnen und Einsamen — pochen konnte, sondern auf sein „Recht“, auf seine Verträge.

Die seelische, die geistige, die spirituelle Einsamkeit der Menschen, die den Widerstand in den deutschsprachigen Räumen wagten, hing nicht zuletzt damit zusammen, daß ein Recht, das weit über ein halbes Jahrtausend im Kernraum Europas zu den allerwichtigsten Menschenrechten gehört hatte, so gut wie vergessen worden war. Wohl kannten es Historiker und etliche Theologen, wohl war es in dicken alten Wälzern „aufgehoben“. Für die politische Willensbildung und Gewissensbildung spielte es jedoch so gut wie keine Rolle. Wir sprechen hier von dem Widerstandsrecht.

Das verkümmerte Recht

Es gibt viele Gründe, warum im deutschen und österreichischen Katholizismus (um hier vom Luthertum zu schweigen, im Calvinismus sieht es schon etwas anders aus) das Widerstandsrecht im 19. und 20. Jahrhundert, bis zu Hitlers „Endsieg“ — und darüber hinaus — „vergessen“ wurde. Der deutsche politische Katholizismus sah im Ringen mit Bismarck und dann nach dem „Kulturkampf“ ängstlich darnach aus, nicht Reichsfeind, ja „der Reichsfeind Nr. 1“ zu werden. „Thron und Altar“ war auch hier die Devise: gerade dem protestantischen Kaiser gegenüber wollte man es nicht an Ergebenheit fehlen lassen. In Bayern kam die Anhänglichkeit an die Wittelsbacher gerade in den Jahren nach 1918 zu beredtem katholischem Ausdruck, eindruck- sam bekundet in dem Zusammenstoß zwischen Kardinal Faulhaber und Dr. Konrad Adenauer beim Katholikentag in München 1922. In diesem Oktober 1963 erinnert der Bundesminister außer Dienst, Doktor Ingenieur honoris causa Hans Schubert, daran, daß er mit der „jungen katholischen Garde“ da- 1hölS’.,,1922, deshalb voll Zorn gegen! Addtteu’bi’ füllt war Und; deshalb „noch 1949 gefühlsmäßige Vorbehalte“ gegen ihn hatte.

In Österreich konnte sich weder in der Monarchie noch in der Ersten Republik innerhalb des politischen Katholizismus ein Widerstandsdenken entwickeln, das sich auf die großen europäischen Traditionen des Widerstandsrechtes berufen konnte und stützen wollte.

Von einigen Zeitschriften-Auf- sätzen und einigen wenigen theologischen Gutachten — in Prozessen um und gegen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 — abgesehen, kam es auch nach 1945 zu keiner Renaissance des Widerstandsdenkens und des Widerstandsrechtes im deutschsprachigen Katholizismus. Der Gründe gibt es viele. Der wichtigste und massivste Grund dürfte der sein: Wozu ein Widerstandsrecht bedenken, wenn man selbst an der Macht ist oder sich zumindest an der Macht zu sein wähnt?

Wir mußten bis 1963 warten, um einen breit und gründlich angelegten Versuch, die großen Traditionen des europäischen Widerstandsrechtes in das politische Leben der Gegenwart einzuführen, präsentiert zu erhalten. Universitätsprofessor DDr. Franz Klüber (Regensburg) legte ihn vor: „Moraltheologische und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“. Erschienen ist dieser Traktat in der Schriftenreihe des „Mond- seer Arbeitskreises“ im Verlag Max Walla, Mondsee.

Die ideologische Rechtfertigung

Wir wurden auf diese Schrift von zwei Seiten aufmerksam gemacht. Die angesehene evangelische deutsche Wochenschrift „Sonntagsblatt“, herausgegeben von Bischof Hanns Lilje, brachte eine Reportage: „Gespräche mit Südtiroler Radikalen“ — unter dem Titel „Bomben für die Selbständigkeit“. Diese Südtiroler „Aktivisten“ berufen sich da auf die Schrift Klübers. „Darin werden die Sprengstoffanschläge nicht nur als Recht, sondern als Pflicht hingestellt.“ Diese theologische Schrift dient als Rechtfertigung. Übereinstimmend meinten die drei Grenzgänger: „An die Grundregeln des Universitätsprofessors Klüber halten wir uns. Sie sind unser Leitfaden und nicht neonazistisches Ge dankengut, wie es immer wieder behauptet wird.“

Zwei Tage nach dieser Reportage im Hamburger „Sonntagsblatt“ erschien eine kurze, zweiseitige Zusammenfassung der Schrift Klübers in der. zumindest offiziösen KNA, der Katholischen Nachrichtenagentur Bonn - München - Berlin -iFrankfurt - Rom, unter dem Titel: „Der Widerstandskampf Südtirols“ — „Eine Entscheidung von höchstem sittlichem Wert.“ Hier heißt es unter anderem:

„Der das Mittel der Gewalt einsetzende Widerstandskampf in Südtirol ist unter der gegebenen Bedingungen nicht Rechtsverletzung, sondern vom Gemeinwohl her legitimierter Rechtsvollzug gegenüber den das Recht mißachtenden Inhabern der Staatsgewalt. Immer wieder haben sich in der Geschichte, wenn die Würde des Menschen von Tyrannen verhöhnt und geschändet wurde, die Besten des Volkes erhoben, um im Protest des Gewissens dem Unrecht zu wehren und den Anfang freizugeben für eine Ordnung menschlichen Zusammenlebens in.: der, Wahrhaftigkeit des

Recftfisio nsripio’" ä Dieser Auszug schließt, mit den Sätzen:

„Der Kampf des Volkes — und stellvertretend der Kampf seiner politischen Eliten und organisierten Widerstandsgruppen — gegen eine entartete Staatsmacht, ist nicht Widerstand gegen den Staat und die Staatsgewalt, sondern ist Verteidigung des Staates gegen seine Verderber. Widerstand gegen den Staat leisten jene, welche die Staatsgewalt mißbrauchen. Diejenigen aber, welche den Verächtern des Rechts entgegentreten, sind keine Aufrüh rer, sondern sie sind die Hüter der Ordnung und des Rechtes, in deren Händen die Gewalt zum legalen Mittel des Rechtsvollzuges wird. Indem sie bereit sind, der Sinnbestimmung des Staates wieder Geltung zu verschaffen, und um der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und Freiheit willen ihr Leben einsetzen, gilt für sie das Wort der Schrift: Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Brüder" (Joh. 15, 13).

Wir unterbrechen hier kurz. Dieses Wort aus dem Johannes-Evangelium ist ein Locus classicus. Im ersten und zweiten Weltkrieg wurde es tausendfach in Feldpredigten und Kriegspredigten in allen christlichen Kirchen und Konfesssionen „gebraucht“ und findet sich in diesem Sinne noch heute auf nicht wenigen Kriegerdenkmälern.

I Klübers „Auszug“ in der KNA Ischließt: "Der Widerstandskampf in feüdtirol ist also moralisch undj rechtlich nicht nur erlaubt und geboten, söndOTT—cftnr DntJchcidung rfon höchstem sittlichem wert." .aViyw -" - -

TAppcII“ an Österreich

Da stehen wir also 1963 im christlichen Abendland. Während die Bomben explodieren, von hüben und drüben gesprengt wird und bereits Menschenopfer gefallen sind, während in Rom, Trient, Bozen, Wien und Innsbruck, München, Bonn und so weiter christlich-demokratische Bruderparteien die Regierung in Staat, Bundesstaat, Landtag und so weiter fest oder weniger fest innehaben, verkündet ein katholischer Moraltheologe: Widerstand mit allen Mitteln, also auch mit der Waffe und dem Terror, ist in Südtirol erlaubt, ja Pflicht. Pflicht, um es gleich zu betonen, nicht nur für die Südtiroler, sondern auch für alle Österreicher. Sein moraltheologisches Gutachten enthält nämlich ein eigenes Kapitel: „Moraltheologische Beurteilung der Unterstützung des Südfitoler Widerstandskampfes durch Österreicher innerhalb des Österreichischen Staatsgebietes.“

Hier erhalten wir folgende Anweisung:

„Das Schicksal Südtirols ist so sehr in das Österreichs einverwoben, daß die Situation Südtirols elementar und unablöslich in das gesamtstaatliche Bonum commune Österreichs integriert und von seinem Anspruch stets mitumspannt ist Aus dieser Mitverantwortung für Südtirol, die Österreich vom Gemeinwohl her aufgegeben ist, folgt für den einzelnen das Recht und die Pflicht, je nach dem Grad seiner Möglichkeiten und Kräfte der Südtiroler Volksgruppe im Kampf um ihr Daseinsrecht Hilfe zu leisten. Diese Pflicht zur Hilfeleistung erstreckt sich in der gegenwärtigen Situation auch und gerade auf die ideelle und materielle Unterstützung des aktiven Widerstandskampfes, nachdem er sich unter den gegebenen Bedingungen als erlaubtes und gebotenes Mittel erwiesen hat, der Bedrohung des aufs höchste gefährdeten geistig-kulturellen Lebensraumes der Südtiroler Volksgruppe zu begegnen. Diese dem einzelnen aufgetragene Pflicht der Hilfeleistung für Südtirol verliert weder moralisch noch rechtlich etwas vbn der Dringlichkeit, wenn im Vollzug ihrer Erfüllung die Grenzen des positiven Rechtes überschritten wer- ,den müssen.“

tpas heißt also klipp und klar:

I Ein guter Österreicher ist nur der, leier den „aktiven Widerstand in Südtirol“ unterstützt. Gut deutsch gesagt: Wer die mit der Waffe und dem Sprengstoff „arbeitenden“ Aktivisten unterstützt.

Wir danken für diese Anweisung, für diese Belehrung. Wir danken für diese Auffassung des Widerstandsrechtes und des Widerstands hier und heute. Was uns hier geboten wird, ist schlechthin eine Pervertie rung des Widerstandsdenkens und des Widerstandskampfes in Europa und nicht zuletzt im Ringen in und um Südtirol. Verbogene Handlungen folgen verbogenen Gedanken. Im Namen eines freiheitlichen Österreichs und im Namen eines Widerstandes, der sich mit keiner reaktionären Aktion — sie komme von der Linken, von der Rechten, oder aus eine fragwürdigen „Mitte“ — identifizieren und von ihr infizieren lassen darf, wenn er sich nicht selbst verderben will, erklären wir: Hier wird ein unzulässiger, gefährlicher, verwirrender Versuch gemacht, die erlauchten, großen Traditionen des europäischen Widerstandsrechtes in eine Sackgasse zu führen — in der es keinen Ausweg mehr gibt.

Die „Zeugen“

Franz Klüber scheut keinen gelehrsamen Aufwand. Er beruft Aristoteles, Thomas von Aquin, Papst Pius XII., Adalbert Stifter, Marsilius von Padua (einen „Erzketzer“ des Mittelalters und erbitterten Feind des Papsttums), er beruft die spanischen scholastischen Theologen und die calvinistischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts; Klüber versucht das gesamte abendländische Rechtsdenken — es findet sich kaum ein bedeutender Rechtsgelehrter in Vergangenheit und Gegenwart, den er nicht zitiert und anruft — in den Dienst seiner gefährlichen und unglücklichen These und Forderung zu überführen. Der terroristische Widerstandskampf in und um Südtirol sei moraltheologisch gerechtfertigt und das sittliche Gebot der Stunde.

Eine sonderbare Argumentierung

Wie seltsame Wege der Verfasser bisweilen geht, dafür hier nur ein Beispiel. Klüber erklärt:

„Es wird nur wenige Fälle im staatlich-politischen Geschehen der neueren Zeit geben, in denen das aktive Widerstandsrecht so eindeutig anerkannt werden muß, wie im Falle Südtirols. Daß beispielsweise die Erhebung am 20. Juli 1944 und der Ungarnaufstand im Jahre 1956 rechtlidh legitimiert Waren, wird nur selten bezweifelt. Aber auch der aktive und gewaltsame Widerstand mexikanischer Katholiken in den zwanziger Jahren und des Generals Franco im Jahre 1936 war nach einhelliger kirchenamtlicher und moraltheologischer Überzeugung sittlich erlaubt . Dennoch muß daran erinnert werden, daß die Entartung der Staatsmacht hier bei weitem nicht jenen Grad erreicht hatte, der im Kampf Italiens gegen Südtirol sichtbar wird. So konnte man etwa der von Franco bekämpften republikanischen Regierung trotz bedenklichen politischen Tendenzen nicht grundsätzlich das Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem von ihr regierten Staat absprechen Wenn dennoch in diesen Fällen das Recht zum aktiven Widerstand anerkannt werden muß, dann gilt dies in ungleich stärkerem Maße für Südtirol: Hier handelt es sich nicht nur um einen Machtmißbrauch, durch den dieses oder jenes Recht bedroht wird, sondern um eine Per- "bärsiöH’ det Staatsmacht, die das Recht schlechthin bis in seine letzten Positionen sich aufzulösen anschickt “

Der Weg zurück

Nein, Herr Professor! Hier handelt es sich nicht um eine Perversion der Staatsmacht, sondern zunächst um eine Perversion des Widerstandsdenkens. Wer nämlich die mexikanischen, spanischen, ungarischen Erhebungen (so in Bausch und Bogen) mit dem „Kampf“ in und um Südtirol vergleicht, dem fehlen alle europäischen, welthistorischen Perspektiven.

Wie aber kommt ein so wackerer und ehrenwerter Mann zu solchen Kurzschlüssen, auf die sich junge, verführte Menschen berufen? Franz Klüber vertritt die wahrhaft mittelalterliche These: der Antichrist ist los! In Südtirol! Die italienische Regierung vertritt den Antichrist. Er scheut sich in dankenswerter Offenheit nicht, den im ganzen Mittelalter (und darüber hinaus) berufenen Locus classicus der Antichristlehre (Paulus, 2 Thess. 2, 3 f.) auf die italienische Regierung und ihr „Wüten“ in Südtirol zu beziehen:

„Die über Südtirol herrschende Staatsgewalt zielt auf das Gegenteil der ihr im Römerbrief vorgezeichneten Wesensbestimmung, die Guten zu schützen und die Bösen zu bestrafen! (Röm 13, 3 f.) Es ist die Pervertierung der Macht ins Böse, die nun in der grundsätzlichen Verneinung der gottgegebenen Gesetze der Schöpferordnung auf die Vernich-

tung des Volkstums einer Gemeinschaft gerichtet ist. ln solcher Entartung einer Staatsgewalt, für welche die Macht das Mittel ist, um ein Volk, wie Michael Gamper sagte, ,auf den Todesmarsch’ zu schicken, offenbart sich die ,anomia’, der Mensch der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich gegen alles erhebt, was Gott oder was heilig heißt’ (2 Thess 2, 3 f.), der sich in seiner Gesetzlosigkeit zum Gesetz der Gemeinschaft macht und sie bis in ihre Fundamente zu zerstören sucht.“

Im Dschungel abwegigen Denkens

Der Antichrist in Südtirol!: Diese hier lauthals vorgetragene These, die gottlob auch in katholischen Kreisen schon heftig abgelehnt ist (unter anderen: P. Heinzei SJ., „Der Volksbote“ vom 6. Juli 1963), offenbart zumindest eines: Hier ist ein religiöspolitisches Denken in einem Dschungel angelangt, in dem sich Wunschträume, Illusionen und

Wahngebilde zu Schlinggewächsen verdichten. Man kann der italienischen Regierung viel vorwerfen und Vorhalten. Man muß es sogar. Wer jedoch heute — das Wort des Kanonikus Gamper bezog sich auf die Zeit des Faschismus — Rom als Antichrist anspricht, disqualifiziert sich und seine Gläubigen im internationalen Gespräch. Und in der notwendigen politischen Auseinandersetzung.

Hier noch ein Wort über den katholischen Ausweg aus diesem Dilemma. Im Schreiben des Papstes Paul VI. an die Bischöfe von Trient und Bozen ist der dringende Appell enthalten: Katholiken, kämpft im 20. Jahrhundert eure Konflikte mit Mitteln aus, die nicht euch selbst ruinieren — und vor den Augen einer hohnlachenden und staunenden Umwelt restlos disqualifizieren: Der Antichrist ist kein Argument im politischen Kampf; kein Argument für Christen — gegen Christen, gegen Nichtchristen.

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