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Der Araber Sirchan

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Der Name des Mörders schockierte mehr als der des Ermordeten. Die Nachricht vom Attentat auf den amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Robert F. Kennedy erregte die arabische Öffentlichkeit weniger als die Nachricht, der Attentäter sei Araber. Die staatlich gelenkten Rundfunk- und Fernsehstationen Kairo, Damaskus und Bagdad beschränkten sich zunächst auf knappe Sondermeldungen. Die Ammaner Regierung enthielt sich einer offiziellen Stellungnahme; Ministerpräsident Bachjat Talhuni behauptete zunächst nur, es gebe keine Familie Sirchan in Jordanien.

Die Beiruter Presse beschäftigt sich ausführlich mit dem Mordanschlag sowie seinen Ursachen und Folgen. Dabei finden die Zeitungen aller politischen Richtungen von ganz links bis ganz rechts einen erstaunlich einheitlichen Ton. Sie verdammen, was hervorzuheben ist,, die Tat. Für sie brauche man sich arabi- scherseits nicht mitverantwortlich zu fühlen, denn der Täter sei zwar gebürtige Araber, gelte jedoch längst als Amerikaner. Dann aber lassen sie der Demagogie freien

Lauf. Der Mord sei kein Wunder, so heißt es fast übereinstimmend, angesichts der israelfreundlichen Außenpolitik der USA.

Die erste amtliche arabische Äußerung kam von dem (ägyptischen) stellvertretenden Generalsekretär der Araberliga, Said Nofal: „Der Geist des Hasses, den die Amerikaner auf internationaler Ebene zeigen und erzeugen“, sagte er, „hat jetzt auch sie selbst und ihre eigene Gesellschaft befallen!“

Auf jordanischer Seite besitzt man offenbar nur unzureichende Unterlagen über die Person des Mörders. Zu erfahren ist, daß der 24jährige orthodoxe Christ Sirchan Bischara Sirchan aus dem im Osten Jerusa lems gelegenen Vorort Siloach stammt, wo er am 18. März 1944 geboren wurde. Er gehörte zu einer

Jerichoer Kleinbürgerfamilie, deren jüngere Mitglieder nach dem Suezkonflikt auswanderten. Ihr Ziel waren die Vereinigten Staaten, wo etwa 20 von ihnen leben und wo der spätere Attentäter als 13jähriges Kind am 12. Jänner 1957 ankam. Auch der hochbetagte Vater, Seram Sirchan, lebte eine Zeitlang dort, wanderte aber wieder zurück. Er war früher unterer Beamter. Als einziger Familienangehöriger lebt er noch im gegenwärtig israelisch besetzten Palästina, und zwar in dem Dorf Kaibah, südöstlich von Jericho.

Saat der Gewalt

Die Behauptung des Mörders, er habe zusehen müssen, wie Juden Verwandte von ihm massakrierten, und sei dann geflüchtet, ist eine Erfindung. Im ersten Palästinakrieg, 1948, war er ein vierjähriges Kind. Er lebte in dem von der jordanischen Arabischen Legion gehaltenen Teil Alt-Jerusalems, wo er mit israelischen Soldaten überhaupt nicht in Berührung kam. Gewissen Quellen zufolge galten seine älteren Brüder, bevor sie auswanderten, als überzeugte Nasseristen. Das ist schwer nachprüfbar, wird aber bestätigt von seiner eigenen Tagebucheintragung: „Lang lebe Abdel Nasser!“

Fest steht, daß weder eine arabische Regierung noch ein arabischer Geheimdienst noch eine arabische Guerillagruppe hinter dem Mordanschlag steckte. Besonnene arabische Beobachter machen indessen die überhitzte Atmosphäre von Haß, Verhetzung und Unnachgiebigkeit für ihn mitverantwortlich, die den Nahen Osten seit mehr als einem Menschenalter verdüstere. Derunreif e Sirchan habe sich davon auch in seiner neuen Heimat nicht befreien können. Gewiß sei ihm sein Entschluß erleichtert worden durch die immer gewalttätigere Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft. Die Hauptschuldigen seien aber jene arabischen Demagogen vom Schlag des früheren Großmufti Hadschi Emin el-Husseini von Jerusalem, Gamal Abdel Nasser und Achmed es-Schukeiri, die zwar gegen den Judenstaat Krieg auf Krieg verloren hätten, aber skrupellos weiterhetzten, um ihre eigene Unfähigkeit zu verschleiern.

Politischer Mord habe in der arabischen Welt eine tragische Tradition. Noch jeder, der für eine friedliche Lösung des Palästinakonfliktes eingetreten sei, habe seinen Mörder gefunden: 1951 der ehemalige libanesische Ministerpräsident Riad es- Solh und König Abdullah von Jordanien, 1960 der jordanische Regierungschef Hassan Madschali, 1966 der libanesische Journalist Kamel Murruwe. Es veranlasse zu den Befürchtungen, daß der in Kairo und Damaskus erzeugte Haß jetzt sogar in fremde Länder übergreife.

Konfrontation mit den USA?

Amtliche arabische Stellen sind begreiflicherweise zurückhaltender. Sie gehen davon aus, der Täter sei ein vermutlich unzurechnungsfähiger Einzelgänger und zudem naturalisierter Amerikaner. In Amman ist man jedoch sehr besorgt über die möglichen Auswirkungen auf die amerikanisch-jordanischen Beziehungen. Jordanien erhielt soeben erst umfangreiche Waffenlieferungen aus den USA. Man fürchtet, daß man amerikanischerseits damit künftig zurückhaltender sein könnte.

Außerdem wird darauf hingewiesen, daß der ermordete Senator für die Washingtoner Nahostpolitik nicht verantwortlich gewesen sei. Die amerikanisch-arabischen und insbesondere die amerikanisch-Sgyptischen Beziehungen seien niemals besser gewesen als während der Administration Kennedy. Der gleichfalls ermordete Bruder des Senators habe großes Verständnis für arabische Probleme gezeigt. Er habe einen der engagiertesten Freunde der Araber, den ehemaligen Missionar Badeau, zum Botschafter in Kairo ernannt und die Weizenlieferungen an Ägypten trotz aller dagegen vorgebrachten Bedenken aufrechterhalten. In Kairo gebe es seit seinem Tod einen „John-F.-Kennedy-Platz“. Auch der jüngere Bruder Robert sei kein „Zionist“ gewesen. Israelischerseits habe man sich sogar vor seinem etwaigen Wahlsieg gefürchtet. Seine proisraelischen Meinungsäußerungen in den Vorwahlen seien vermutlich nur ein wahltaktisches Manöver gewesen, um die Stimmen der einflußreichen jüdischen Minderheit für sich zu gewinnen.

Jedenfalls befürchtet man in westlich eingestellten arabischen Kreisen jetzt eine weitere Verschlechterung des amerikanisch-arabischen Verhältnisses und ein Anwachsen der antiamerikanischen Stimmung im Nahen Osten. Dazu trug auch die Rede des syrischen Präsidenten Atassi zum Jahrestag des Sechstagekrieges bei. Atassi behauptete, hinter Israel stünden vor allem die USA. Sie seien der wahre Feind der Araber. Wäre das nicht erst wenige Stunden nach dem Mordanschlag auf Robert F. Kennedy gesagt worden, hätte man meinen können, es sei der letzte Anlaß gewesen für die schreckliche Tat des Sirchan Bischara Sirchan.

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