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Der Arbeiter im Strukturwan

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Der Arbeiterbetriebsrat des steirischen Erzberges hat am 29. März 1968 beschlossen, der Bergdirektion der Alpine die Forderung nach rascher Aufnahme von Verhandlungen über Arbeitszeitverkürzung zu überreichen. Falls es innerhalb von vier Wochen, das wäre bis Ende dieses Monats, zu keinen Verhandlungen kommen sollte, wird mit schärferen Maßnahmen gedroht.

Resolutionen und Drohungen von Betriebsräten werden von Fernerstehenden, also Menschen, die sich in gesicherten Lebenspositionen befinden, leider meist noch immer als Übergriffe unbotmäßiger Untertanen gesehen.

Verständlicher werden solche Aktionen schon, wenn man beispielsweise weiß, daß in Eisenerz allein in den letzten Jahren tausend Menschen abwanderten, weil die Lebensgrumd- lagen in dieser Stadt für diesen Personenkreis einfach nicht mehr gegeben und gesichert schienen.

In die Alltagssprache der Wirtschaft ist in den letzten Jahren ein neuer Begriff hineingekommen, nämlich Struktur und Strukturwandel. Natürlich ist das kein leerer Begriff, sondern er hat seine sehr realen Unterlagen, und zwar darin, daß sich die gesamte Weltwirtschaft ändert, auf Grund, ich muß es hier leider zum x-ten Male wiederholen, der wissenschaftlichen, technischen und soziologischen Änderungen unserer Welt, die aus all’ denselben Gründen kleiner geworden ist.

Im Zuge der politischen Blockbildung folgte die wirtschaftliche. Wenngleich sich diese Blöcke in den letzten 20 Jahren auch wieder wandelten. Auch die Wirtschaftsbeziehungen sind ständigen Änderungen unterworfen. Dies alles ändert nichts an der Tatsache, daß im selben Zeitraum eine Konzentration auf allen Wirtschaftssektoren erfolgte. Also sowohl in Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft als auch im Tertiärsektor. Ich möchte am Rande hur an die vielen Hotelgesellschaften, Urlaubsaktiengesellschaften usw. erinnern, wo es auf größeren Kapitaleinsatz und auch selbstverständlich, durch das Zusammenfassen der Betriebe in eine oder mehrere Hände, auf eine rationale Arbeitsweise ankommt.

Rationalisierung bedeutet nicht nur Einsparung, sondern bedeutet auch Änderung. Die Arbeiitnehmerseite vertritt die Ansicht, daß man alle diese Maßnahmen und Änderungen nicht allein vom redn sachlichen Standpunkt sehen darf, sondern nach wie vor den Menschen ln den Mittelpunkt stellen muß. Das ist keine Sonntagsphrase, sondern eine echte Problematik, die an uns herantritt.

Wenn sich Österreich diesem Strukturwandel unterwerfen muß, so wird es vor allem die Steiermark sein, die davon in erster Linie betroffen wird. Und die Gespräche der Verlagerung der Schwerindustrie von der Obersteiermark nach Linz, sind keine Gespräche, die 1946 verstummt wären, sondern gerade 1967 wieder in den Vordergrund traten. Wir wollen uns sicherlich nicht dagegen verschließen, weil wir es einfach nicht können und wissen, daß Konzentrationen auch in Österreich notwendig werden. Aber den Vorwurf, den die Arbeiter- und Angestelltenschaft den Verantwortlichen machen muß, ist der, daß man nicht zeitgerecht auf diese Strukturänderung eingeht. Man zerbricht sich zwar den Kopf darüber, wo man das Kapital bekommen könnte, aber man zerbricht sich nicht darüber den Kopf, wie man rechtzeitig die Werktätigen auf diese Umschichtung vorbereitet und umerzieht. Ich möchte hier nicht auf die OECD-Studie eingehen, die ja allgemein bekannt ist, aber die uns erschreckend klar vor Augen führt, was wir zu tun haben.

Schauen wir hingegen unsere Schulreformen an. Diese bleiben weit hinter den Bedürfnissen der nächsten und kommenden Jahre zurück.

Die Arbeiterschaft ist vor allem deshalb beunruhigt, weil man nichts oder fast nichts tut, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich selbst den Veränderungen der Produktionsstruktur anzupassen. Man kann nicht nur davon reden, daß für moderne Produktionsmethoden besser ausgebildete Arbeitskräfte benötigt werden, sondern man muß auch diese Arbeitskräfte besser ausbilden.

Der Koren-Plan spricht zwar von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, aber. wenn wir die letzten Arbeitslosenziffem zur Hand nehmen und die Struktur unserer Arbeitsämter anschauen, dann kann wohl nicht einmal in Ansätzen von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik gesprochen werden.

Es ist kaum etwas davon zu merken, daß die Verantwortlichen in Österreich erkennen, daß zehntausende Arbeitskräfte in den verschiedenen Produktionssparten ihre Beschäftigung werden ändern müssen. Aufgabe der Regierung wäre es, diese Beschäftigungsände- rung nicht nur zu erleichtern, sondern zeit- gerecht herbeizuführen, in der Absicht, daß jeder nach Möglichkeit die Beschäftigung erhält, die für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung richtig ist und außerdem die physische und psychische Existenz des Betroffenen sichert.

Zusammenfassend möchte ich also bemerken, die Strukturänderung unserer Wirtschaft ist eine Lebensfrage für die gesamte Steiermark. Steiermark ist aber nur ein abstrakter Begriff. Wir müssen an die Menschen denken, die Steiermark zu dem machten, was es heute ist.

Bei Aufstellungen von Plänen in diesem Zusammenhang und ihrer Verifizierung können also nicht nur Gesetzesänderungen, Fragen der Kapitalaufbringung, Maschtaeinlbeschaf- fung, Standortfragen und ähnliches im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen sondern im Mittelpunkt hat immer der Mensch zu sein, der davon betroffen wird.

Man muß den Menschen auf und für die Strukturänderung vorbeireiten. Auf kurze1 Sicht ist dies die Berufsumschulung, auf weite Sicht die Schulreform und Berufsausbildung, nach zwingenden Gegebenheiten.

Es muß sofort mit einer Kündigungspolitik, die nicht danach fragt, was mit den Menschen, die aus den Betrieben fliegen, geschieht, aufgehört werden. Es müssen auch alle Möglichkeiten der Kurzarbeit, der Halbtagsbeschäftigung und ähnliche Probleme, deren Lösung heute auf unüberwindliche Widerstände stoßen, angepackt, analysiert und in neue Farmen gegossen werden.

Viel wichtiger als der Bau von Autobahnen und der Import von hunderttausamden Pkw, ist die ernstliche Befassung mit den Menschen, die auf Grund weltweiter Änderungen auf allen Ebenen unseres Lebens in ihre nackten Existenz bedroht sind.

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