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Der Archivdirekior Grillparzer

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Im Vorjahr wurde am Hofkammerarchiv in Wien eine einfache Gedenktafel enthüllt. Sie gilt einem Mann, der von 1832 bis 1856 durch 24 Jahre als Direktor des Archivs gewirkt hat: Franz Grillparzer.

Der Werdegang des früh Verwaisten im österreichischen Staatsdienst ist nicht überaus bewegt gewesen, dennoch, mögen die einzelnen Stationen hier andeutungsweise verzeichnet werden, weil nicht bloß der Mensch das Amt macht, sondern auch das Amt den Menschen, und weil selbst aus den trockensten Akten und Daten ab und zu das Unerfüllte und Unerfüllbare in der Seele des Verschlossenen zu schlagen scheint.

Nach vollendeten juridisch-politischen Studien trat der damals 22jährige am 19. Februar 1813 als Praktikant in die k. k. Hofbibliothek ein, wie er 1840 in einer von ihm selbst ausgefüllten Diensttabelle berichtet, am 20. Dezember des gleichen Jahres trat er über eigenen Wunsch in derselben Eigenschaft zur niederösterreichischen Zollgefällenadministration über. Am 23. November 1814 erhielt er hier eine der beiden systemisierten Konzeptspraktikantenstellen mit 300 fl. Adjutum. Am 2. März 1815 wurde er Konzeptspraktikant der k. k. allgemeinen Hofkammer mit 400 fl. Adjutum, am 9. Juli 1823 Hof- und Ministerialkonzipist mit 900 fl., vom 19. Juli 1830 an mit 1000 fl. Gehalt. Am 23. Jänner 1832 wurde er zum Direktor des Hofkammerarchivs mit 1500 fl. ernannt, welche Summe am 2. Mai 1835 auf 1800 fl., zuzüglich 300 fl. Quartiergeld, erhöht wurde. Bis zu seiner Pensionierung wird dieses Gehalt bloß um 300 fl. Personalzulage erhöht werden. Schon 1834 strebt er die Stelle eines Vorstehers der Wiener Universitätsbibliothek an, wobei er dem damaligen Hofkammerpräsidenten Franz Grafen Klebeisberg schreibt:

„Oft von der k. k. allg. Hofkammer und immer von Eurer Exzellenz mit Güte und Huld behandelt, würde mir der Gedanke des Aastritts aus meinen bisherigen Verhältnissen unerträglich seyn, wenn ich nicht die literarische Bestimmung in mir über die ämtliche weit die Oberhand behauptend erkennte und hoffen dürfte, meinen schriftstellerischen Arbeiten wieder gegeben, mich selbst des Antheils Eurer Exzellenz würdiger zu zeigen, als es in meinem bisherigen Wirkungskreise der Fall, und mir möglich war“ (26. Mai 1834).

1844 will er zurück in die Hofbibliothek. Im gleichen Jahr beantragt der Hofkammerpräsident Baron Kübeck in einer 16 Seiten starken Eingabe für ihn eine Personalzulage von 300 fl. und betont, daß Grillparzer „als Archivs-Direktor ganz an seinem Platze ist, daß es nicht leicht seyn dürfte, ein mit so ausgebreiteten Kenntnissen, wie er sie besitzt, begabtes Individuum für diesen Dienstposten zu finden, daß es demnach dem Diensterfordernisse zusagen dürfte, ihn in seiner damaligen Stellung festzuhalten, ihm jedoch eine angemessene Verbesserung seiner Lage, welcher er als ein sehr schätzbarer und eifriger Staatsdiener eben so wie wegen seiner ausgezeichneten literarischen Leistung im vollen Maße würdig ist, zuzuwenden“.

Es war gewiß nicht leicht, in die Materie des Hofkammerarchivs einzudringen.

Der Dichter wußte das sehr wohl, als er unmittelbar nach seinem Amtsantritt am 25. Jänner 1832 in seinem Tagebuch notierte:

„Ich werde ein volles Jahr verwenden müssen, das Gesffiäft kennen zu lernen; ein volles Jahr, ohne auf Poesie anders als in verlorenen Augenblicken denken zu können. Dann freilich nach diesem Probejahre, wenn die Poesie käme, würde ich sie aufnehmen können. Aber wird sie kommen?“

Höheren Ortes wurde durchaus anerkannt, „daß er sich mit ganzer Hingebung seinen dermaligen Berufsgeschäften widmet“, allerdings wußte niemand, wie schwer es ihm zeitweise fiel:

„Diese letzten neun Monate gehören unter die furchtbarsten meines Leberis. Es war mir durchaus unmöglich, die seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder ernstlich betriebenen Amtsgeschäfte mit meinen sonstigen innern Be-* schäftigungen nur einigermaßen auszugleichen, und die letzteren zogen sich darüber so ganz zurück, daß ich mir selbst zum Grauen ward und der Gedanke eines gewaltsamen Abschlüsse einige Male ganz nahe trat“ (Tagebuchblätter: 13. Oktober 1832).

Demgegenüber wird nun wohl festzuhalten sein, daß Grillparzer gewiß in seiner Art ein musterhafter Archivbeamter war, wenngleich seine Urlaubsgesuche den Rahmen des damals wie heute Gangbaren ebenso überschritten wie die „Saumseligkeiten“ (4. Oktober 1820), die er sich leistete. Es hat sich jedoch von ihm eine Reihe seiner Art und Zeit durchaus entsprechender wissenschaftlicher Erledigungen erhalten, deren Konzepte er häufig persönlich ins Reine schrieb. Er war auch organisatorisch tätig und indizierte eigenhändig den täglichen Aktcnlauf.

Man wußte also nicht nur gut, daß er sich nicht bloß mit archivalischen Arbeiten während der Amtszeit beschäftigte, sondern billigte und förderte seine literarische Tätigkeit, obzwar man 1844 zur Kenntnis nahm, daß er

„um den in der bewegten neueren Zeit an ihn gestellten Anforderungen zu entsprechen, seiner Neigung zu literarischen Arbeiten größteritheils entsagen, somit auf jeden Nebenerwerb, den ihm seine Geistesprodukte gewähren könnten, Verzicht leisten und den Lohn seiner ämtlichen Leistungen in der vollständigen Erfüllung der Berufspflichten finden mußte“ (Kübeck s. o.).

In seinem noch heute in der alten Gestalt erhaltenen Amtszimmer mit dem breiten Biedermeierschreibtisch konnten daher — der Tradition nach vor dem schönen Stehpult mit dem kleinen Drehstuhl — neben der „Jüdin von Toledo“ und der „Libussa“ vor allem der „Bruderzwist“ Gestalt annehmen, von dem sich nachweisen läßt, daß unmittelbare Anregungen, so in bezug auf „Seitenkinder“ Rudolfs II. oder auf Melchior Khlesel, aus Anfragen und Erledigungen gewonnen werden konnten.

Vom 26. Juni bis 19. August 1848 übersiedelte er dann aus den bisherigen unzulänglichen Räumen des Hofspitalgebäudes auf dem Ballhausplatz in den seit 1843 neu aufgebauten und als Archiv adaptierten, 1615 erwachsenen Wirtschaftstrakt des ehemaligen Klein-Mariazellerhofes in der Johannesgasse mit 20.000 Faszikeln, mehr als 7000 Büchern, den Urkunden, der Patentensammlung sowie einer Menge montanistischer Mappen und Karten (vergleiche seinen Bericht vom 26. September 1848). Im folgenden Jahre erhielt er das Ritterkreuz des Leopoldordens. 1855 wird er im Personalstatus des k. k. Finanzministeriums a.uch als Ritter des königlichbayrischen Maximilianordens und des Ordens vom hl. Michael sowie als Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, wohnhaft „Stadt No. 1097“, angeführt.

Am 26. März 1856 schreibt er eigenhändig sein mit einer 30-Kreuzer-Stempelmarke versehenes Ruhestandsgesuch. In einer 15 Seiten langen Begleitschrift wird diesmal von dem Finanzminister Carl Freiherrn von Bruck am 12. April dem Kaiser ans Herz gelegt, Grill-“ parzer „nebst der normalmäßig entfallenden Pension die Beibehaltung des Quartiergeldes und der Perspnalzulage im Gesamtbetrage von 600 Gulden als Pensionszulage“ zu bewilligen, was der Kaiser genehmigt, der dem Dichter „in Anerkennung seiner langjährigen treuen Dienstleistung und insbesondere der als Schriftsteller erworbenen Verdienste den Titel eines Hofrathes taxfrei“ verleiht.

Bis zu seinem 65. Lebensjahr also hat Franz Grillparzer als österreichischer Beamter gedient, und er hat sich in diesen Belangen kaum unwohl gefühlt. Seine Vorgesetzten haben sicher ihr möglichstes getan, dem nicht leichten Untergebenen, so oft und so weit es nur anging, „nachsichtsvolle Schonung“ (18. November 1819). angedeihen zu lassen. Wenn Uebergriffe und Mißverständnisse vorkamen, so lag die Schuld meist auf beiden Seiten und wurde gewiß nicht länger als nötig rachgetragen. Wenn man (1838) Verschwörungen wittern kann, die einen aus dem Staatsdienst eliminieren wollen, dann ist man eher gerne in seinem Beruf, sonst hätte man öfter die Möglichkeit gehabt, ihn zu verlassen und als freier Schriftsteller zu leben, wozu die Einkünfte des Einsamen wohl ausgereicht hätten. Mag daher die amtliche Karriere des Begnadeten auch nicht so schnell vor sich gegangen sein wie der Flug zu den ewigen Göttern, mit denen Grillparzer „unter Faszikeln dicht“ immer gemeinsam saß (März 1855), so hat sie ihn doch nie beschwert oder gehindert, und es ist vor allem der pflichteifrige Beamte Grillparzer, der an der Stätte seines langjährigen Wirkens geehrt wurde.

(Sämtliche hier angeführte Akten befinden sich im Hofkammerarchiv.)

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