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Der bedrohte Plan

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Schwerwiegende Gründe weisen die europäischen Festlandstaaten seit dem Kriegs-e- ' - unabweislicher als je auf eine Einigung \m stärksten sollte wohl das Ver-U nach Unabhängigkeit und Freiheit wirken und der Wunsch, sich aus Rivalitätskämpfen der großen Mächte herauszuhalten. Die Macht solcher Einsicht hat seinerzeit die Schweizer Kantone und die nordamerikanischen Staaten zusammengedrängt. Keiner der europäischen Kontinentalstaaten, außer Rußland, kann heute noch die Hoffnung hegen, seine Freiheit mit Erfolg zu verteidigen, solange er auf sich selbst angewiesen bleibt. Aber ebenso müssen die ungeheueren wirtschaftlichen Schwierigkeiten, vor die sich jedes der europäischen Länder in seiner Isoliertheit gestellt sieht, das Zusammengehen für ein gemeinsames Wiederaufbau-programm verlangen.

Sind das nicht so imperative Gebote, daß man angesichts der inneren Spannungen und der äußeren Gefahren hätte erwarten können, der Anstoß zu einem Zusammenschluß auf der einen oder anderen Grundlage würde aus dem Schöße der europäischen Festlandstaaten selbst erfolgen? Aber, wie Krankheit ansteckend ist und nicht Gesundheit, so erwiesen sich bisher die aus dem Kriege zurückgebliebenen Kräfte als stärker denn alle vernünftigen und zur Gesundung drängenden Erwägungen. Es blieb den Amerikanern vorbehalten, mit einem Plan auf das große, gemeinsame Interesse der europäischen Staaten hinzuweisen und sogar den Beistand für seine Verwirklichung anzubieten.

Wenn der sogenannte Marshall-Plan von der Presse gleich als europäischer Unionsplan bezeichnet wurde, so war das zunächst viel zuviel gesagt. Es war ein Beweis staatsmännischer Feinfühligkeit für die internationale Lage, daß der amerikanische Staatssekretär des Äußern nicht den formellen Abschluß einer europäischen Wirtsdiaftsunion “ vorschlug, überhaupt nicht etwas, das ein politisches Interesse verriet, sondern einfach die amerikanische Hilfe zum Zwecke einer die europäischen Staaten umfassenden Wirtschaftsregeneration anbot. Er überließ es den europäischen Regierungen, alles weitere zu tun, und er vermied es ebenso taktvoll, an die zwei schwierigsten Fragen zu rühren, die bisher jede europäische Einigung verhindert haben: die der Begrenzung nach Westen und besonders nach Osten und die Frage der Mitwirkung Deutschlands.

Die zusagende Antwort, mit der Sowjetrußland die Einladung Englands und Frankreichs zur Teilnahme an den Besprechungen über diesen Hilfsvorschlag erwiderte, enthielt vor allem zwei Äußerungen, die bei aller Vorsicht gewisse Hoffnungen auf eine Entspannung erwecken konnten: die Bezeugung des Verständnisses für die Notwendigkeit eines großzügigen Planes zur wirtschaftlichen „Rehabilitierung“ der europäischen Länder und die Anerkennung des Wertes einer amerikanischen Hilfe bei der Verwirklichung eines solchen Planes. Keine Anspielung deutete auf das von der russischen Presse gegenüber der amerikanischen Europapolitik bisher häufig verwendete Argument, die Vereinigten Staaten seien darauf aus, die europäischen Länder unter den Einfluß des amerikanischen Großkapitals zu bringen. ■

So ließ sich der Anfang der Pariser Konferenz nicht ungünstig an. Aber das Bild wendete sich. Der eingangs der Konferenz gefaßte Beschluß, die Beratungen der Konferenz vertraulich zu gestalten und die Pressemitteilungen karg zu halten, wurde so einleuchtend seine Gründe waren, schon am dritten Konferenztaee durch sowjetrussische Veröffentlichungen über Bord geworfen. Was man da erfuhr, verbreitete auf der einen Seite, wo man angesichts der amerikanischen Milliarden schon den Gim-

mel voller Geigen gesehen hatte, lähmendes Entsetzen und be^, den vorsichtigeren Zeitgenossen die Bestätigung einer Annahme, mit der man an die Konferenz herangegangen war. So groß das Fest der Nationen gewesen wäre, hätte noch diese Woche Herr Molotow seine Unterschrift unter ein fertiges Abkommen für den neuen Europaplan gesetzt, so muß man doch verstehen, daß Rußland auf jede Weise einer auch nur entfernten Möglichkeit vorbeugen will, daß sich unter dem Titel wirtschaftlicher Bindungen eine gegen seine Interessen gerichtete Blockbildung aufrichte. Wer den Kopf kühl behalten hat, wird der Feststellung beipflichten, die das Londoner Organ der Labour-Party dem lauten Getue der Erschreckten entgegensetzte, offensichtlich bestünden zwischen der russischen und der britisch-französischen Ansicht große Unterschiede, aber bereits vor der Abreise Bevins und Molotows nach Paris habe niemand an ein sofortiges Übereinkommen gedacht.

Aber sollte sich auch die sowjetrussische Regierung im weiteren Verlaufe der Verhandlungen aus dem einen oder andern Grund entschließen, sich von dem Projekt eines europäischen Wiederaufbaues auf gemeinsamer Grundlage zurückzuziehen und auch eine Reihe von Oststaaten zu einem gleichen Schritte zu veranlassen, so müßte das nicht notwendigerweise das Scheitern des Hilfsplanes, sondern nur dessen Durchführung innerhalb eines um die Oststaaten verkleinerten Europa bedeuten. Da aber schwer anzunehmen ist, daß die Moskauer Regierung in einer solchen Entwicklung einen Vorteil für ihre Stellung erblicken würde, darf man vielleicht auch bei Fortbestehen der zunächst aufgetauchten Schwierigkeiten schließlich ein Kompromiß erwarten, etwa in der Weise, daß das Verhältnis der Sowjetunion und das Großbritanniens zu der alle europäischen Festlandstaaten umfassenden Wiederaufbauaktion in paritätischer Weise geregelt würde.

Die Abgrenzung des Bereiches für die Verwirklichung des amerikanischen Aufbauplanes ist nicht das einzige Problem, das die europäisdien „Großen Drei“ vorerst zu lösen hätten. Das andere liegt in der Mitwirkung Deutschlands. Daß ohne die Einbeziehung der Arbeitskraft 70 Millionen Deutscher, der deutschen Naturschätze und des deutschen Industriepotentials die ganze Aktion nicht gelingen könnte, über diese Grundfrage besteht zwischen den Regierungen Englands, Rußlands und Frankreichs sicher Übereinstimmung. Die Schwierigkeit ist das Wie dieser Einbeziehung. Auch hier überragt alle anderen Probleme wieder die Frage, ob eine Formel, eine Konstruktion gefunden werden könnte, um die in jüngster Zeit so stark entwickelte Spaltung Deutschlands in eine West- und eine Ostzone in irgendeiner Weise zu überwinden.

So wird sich die diplomatische Verhandlung über den Marshall-Plan als ein Prüfstein für die künftig zu erwartende Weltlage erweisen. Die Entscheidung wird nun nicht länger mehr hinauszuschieben sein. Es ist auf das sehnlichste zu wünschen, daß großzügige Auffassung, Weitblick, Duldsamkeit, gegenseitiges Verständnis, kluge Taktik, mit einem Worte: guter Wille, unermüdlich guter Wille hier endlich zum Worte kommen.

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