6630897-1956_37_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Besuch in der Villa Maria Pia

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist durchaus ungewiß, ob der 21. August 1956 jene große Wende in den Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Sowjetunion eingeleitet hat, wie einige übersensibili-erte politische Beobachter meinen; es besteht größere Wahrscheinlichkeit, daß der Tag, wenn er überhaupt von der Geschichte verzeichnet werden sollte, nur einen mißlungenen Versuch der sowjetischen Diplomatie bedeutete, die katholische Kirche in ein propagandistisches Manöver mit weiterem Aktionsradius einzu-beziehen.

Am 21. August hat zum erstenmal ein sowjetischer Diplomat, der Geschäftsträger der russischen Botschaft in Rom, Pogidajew, den Fuß auf vatikanstaatlichen Boden gesetzt, genauer, er betrat die mit dem Recht der Extraterritorialität ausgestattete Villa Maria Pia in der Via Nomentana, Sitz der Apostolischen Nuntiatur bei der italienischen Regierung. Der Hausherr, der Nuntius Monsignore Giuseppe Fietta, empfing ihn mit jener vollendeten und doch distanzierten Höflichkeit, die den vatikanischen Diplomaten in der Accademia Ponti-ficia gelehrt wird. Es kann auch nicht gesagt werden, daß der Geschäftsträger sofort offene Türen gefunden hat, im Gegenteil, Monsignore Fietta hat sich des Protokolls bedient, um der Sowjetbotschaft eine kleine Lehre in diplomatischem Anstand zu erteilen. Als Pogidajew einige Tage zuvor dem Nuntius mitteilte, er habe die Absicht, ihm in seiner Eigenschaft als Geschäftsträger des Sowjetbotschafters Bogo-molow eine Höflichkeitsvisite abzustatten, hatte ihm Fietta geantwortet, er ignoriere die Existenz des Geschäftsträgers, denn entgegen den diplomatischen Gepflogenheiten habe man es unterlassen, ihm als Doyen des Diplomatischen Korps von der Abreise des Botschafters Mitteilung zu machen. Pogidajew mußte der Besuch sehr am Herzen liegen, denn er schickte einige Tage später die offizielle Mitteilung von der Ernennung zum Geschäftsträger. Der Visite stand nun nichts mehr im Wege. Sie dauerte eine Viertelstunde, nach deren Ablauf Pogidajew ersuchte, zwei Dokumente überreichen zu dürfen. Fietta erwiderte, es sei nicht üblich, anläßlich von Höflichkeitsbesuchen Dokumente zu überreichen, doch wolle er sie aus Gründen der Courtoisie entgegennehmen. Es handelte sich um das Memorandum des Obersten Sowjets über die Abrüstung und um die Erklärung der Moskauer Regierung zur Suezfrage.

Der genaue Hergang ist von Belang, wie auch die Behandlung der Angelegenheit seitens des Nuntius, durch eine strenge und fast bürokratische Anwendung des Protokolls, einem wohl vorbedachten politischen Zweck entsprach. Monsignore Fietta wollte nämlich von vornherein klarmachen, daß der Schritt der Sowjetbotschaft einer einseitigen Initiative entsprang und vor der Weltöffentlichkeit nicht als, eine Art Aufnahme der offiziellen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Sowjetunion ausgelegt werden dürfe. In diesem Fall hätte die Annäherung dem Wunsch beider Seiten entsprechen und die Ankündigung gleichzeitig auf beiden Seiten erfolgen müssen. Das war keineswegs der Fall.

Im Vatikan bewahrte man über den Besuch zunächst strengstes Stillschweigen. Man erfuhr von ihm erst durch eine von Radio Moskau in italienischer: Sprache verbreitete Nachricht, in der es hieß, die Sowjetunion habe auf diese Weise ihren ersten offiziellen Kontakt mit dem Vatikan aufgenommen. Es wurde allerdings nicht präzisiert, in welcher Weise der Kontakt hergestellt worden sei. Das erfuhr man aus einer Fettdruckmeldung des offiziellen kommunistischen Organs „Unitä“, die in allen sowjetischen Dingen begreiflicherweise bestens informiert ist. Den Journalisten, die jenseits der bronzenen Pforte, im Staatssekretariat oder beim Informationsbüro, Kommentare oder Bestätigungen einholen wollten, wurde immer nur ein „no comment“ als Antwort zuteil. Es schien, als ob der Heilige Stuhl oder der vatikanische „Osservatore Romano“ in keiner Weise die Zurückhaltung über die eher als lästig betrachtete Angelegenheit aufgeben wolle. Aber inzwischen hatte die Nachricht die Runde um die Welt gemacht und einen gewissen sensationellen Anstrich erhalten. Einzelne Kommentare der Presse und Ausdrücke wie „Tauwetter“ und „Sondierungen“ ließen es als ratsam erscheinen, einige Erklärungen durch den Mund des Monsignore Fietta selbst zu geben.

„Es ist schnell getan, nichtexistierende Beziehungen in alle Winde zu verkünden, wenn noch die mindeste unumgänglich notwendige Grundlage für sie fehlen, nämlich die religiöse Freiheit in der Sowjetunion. Ich habe mich mit meinem Besucher über die ernste religiöse Situation in Rußland unterhalten und erklärt, daß die Sicherung der Religionsfreiheit vor jedem weiteren Schritt notwendig sei.“ ?

Davon hatte Radio Moskau freilich nichts zu melden gewußt. Es hatte hinzugefügt, der Appell. sei nicht an den Papst als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gerichtet gewesen, sondern an Pius XII., Souverän der Vatikanstadt: „Pius XII. hat mehrmals in seinen Reden zugunsten der Abrüstung Stellung bezogen. Wir können daher hoffen, daß der Vatikan und seine Führer ihren Beitrag, der auch sehr wertvoll sein kann, für die Lösung des großen Problems unserer Zeit liefern werden, indem sie für die Abrüstung und einen dauerhaften Frieden kämpfen.“ Die „Unitä“ hatte noch hinzugesetzt, die gleichen Dokumente seien zugleich dem Konsul der Republik San Marino überreicht worden. Sollte der Apostolische Nuntius mit dem Konsul der derzeit kommunistisch regierten Zwergrepublik gleichgesetzt werden? Konnte man bei einer derartigen Plumpheit mit einer wohlwollenden Aufnahme des Appells beim Heiligen Stuhl rechnen?

Gegen den Kommentar des Moskauer Senders ist mancherlei einzuwenden. Zunächst ist es sachlich unrichtig, daß zwischen dem Heiligen Stuhl und der Sowjetunion niemals offizielle Kontakte bestanden hätten. Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg befand sich eine Päpstliche Hilfskommission in der Sowjetunion, um Lebensmittel und andere Geschenke an. die von Hungersnot betroffene Bevölkerung zu verteilen. Die vatikanische Hilfe war damals auch der revolutionären Regierung hochwillkommen gewesen. Ferner hat Pius XII. seine Friedensappelle niemals in der Eigenschaft eines Souveräns der Vatikanstadt. an die Welt gerichtet, sondern als verantwortlicher Lenker einer geistigen Macht, eben der römisch-katholischen Kirche. Was könnte der „Oberbefehlshaber“ (um dem sowjetischen Gedankengang zu folgen) von siebzig Schweizergardisten und einer noch geringeren Zahl von Gendarmen für einen „sehr wertvollen Beitrag“ zur Abrüstung liefern? Die Unterstützung, die Moskau eventuell suchte, richtete sich also, durchaus an das Haupt der Kirche.

Davon abgesehen, daß zur Zeit der wirklich ersten Kontakte zwischen dem Heiligen Stuhl und der Sowjetunion, also in den Hungerjahren nach dem ersten Weltkrieg, die territoriale Souveränität des Vatikans noch gar nicht anerkannt war, bedeutet die Herabsetzung des Papstes zu einem Duodezfürsten und Besitzer einer Paradekompanie eine solche Taktlosigkeit, daß der angestrebte Erfolg der Initiative von vornherein in Frage gestellt sein rmrßte. Aber hat die Sowjetunion mit einem derartigen Erfolg überhaupt gerechnet? Die Unbekümmert-heit Moskaus um die psychologische Grundlage der Aktion hat verschiedene politische Beobachter zu dem Schluß geführt, daß der Zweck der Initiative wieder einmal ein rein propagandistischer war.

Vom Standpunkt diplomatischer Praktik aus betrachtet, ist die Aktion der sowjetischen Regierung ohne Beispiel. Die Dokumente seien dem Nuntius als Doyen des Diplomatischen Korps überreicht worden, damit er sie dem vatikanischen Staatsoberhaupt weiterleite. Aber auch als Aeltester im Diplomatischen Korps bleibt Monsignore Fietta ein bei der italienischen Regierung akkreditierter Botschafter, während das Staatssekretariat nur von einem beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten Memoranden entgegennehmen dürfe. Beim Heiligen Stuhl, das ist beim Haupt der katholischen Kirche, für den die Vatikanstadt lediglich Garantie seiner Freiheit und Unabhängigkeit ist. Die Unterscheidung ist wichtig, denn als die amerikanischen Protestanten vor Jahren einen Ausweg suchten, der dem jetzt von Moskau gewählten ähnlich war, wurde er vom Staatssekretariat rundweg abgelehnt.

Die offiziellen Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Sowjetunion können in dem Augenblick wieder aufgenommen werden, da die Verfolgung kirchlicher Persönlichkeiten in Rußland und den von ihm kontrollierten Ländern ein Ende findet. Erst dann und nicht eher.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung