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Der Bischof vor Gericht

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Damit hatten die Liberalen den faktischen Bruch des Konkordats erreicht und einen großen Sieg errungen. Der erste österreichische Kulturkampf war jedoch noch nicht beendet. Im Gegenteil, er erreichte erst mit der gerichtlichen Verurteilung des Linzer Bischofs Rudigier, der in seinem Hirtenbrief vom 7. September 1868 die unveränderliche Gültigkeit des Konkordats verkündet und den Klerus zum Widerstand gegen die Durchführung der. Maigesetze aufgefordert hatte, seinen Höhepunkt. An ihr entzündete sich der Widerstand des einfachen Kirchenvolkes, das von den erbitterten Kämpfen auf parlamentarischer und publizistischer Ebene relativ lange unberührt geblieben war. Infolge des mäßigenden Einflusses des Gesamtepiskopats, unter der Führung des Wiener Kardinals Rauscher sowie des Kaisers selbst, nahm der österreichische Kulturkampf jedoch nicht die Ausmaße des preußischen an, wenn er auch bis zum Ende der siebziger Jahre mit zeitweiligen heftigen Entladungen weiterschwelte.

Das Schulgesetz vom 25. Mai 1868, das diesem Kulturkampf seine Entstehung verdankt, hatte das gesamte Schulwesen der staatlichen Aufsicht und Leitung unterstellt. Seine Nutzanwendung vollzog das Reichsvolksschulgesetz vom 14. Mai 1869, das das österreichische Pflichtschulwesen in vielen pädagogischen Belangen, vor allem aber durch seine vorbildlichen Bestimmungen über die Lehrerbildung, entscheidend verbesserte. Zu seinen Auswirkungen gehört die Herabsetzung des Prozentsatzes der Analphabeten unter der österreichischen Bevölkerung innerhalb weniger Jahre auf fast die Hälfte: 1867 66 Prozent, 1871 39 Prozent! Von der Kirche forderte es allerdings beträchtliche Einbußen und Opfer. Die konfessionellen Schulen wurden ausdrücklich zu Privatanstalten erklärt, für deren Erhaltung die Eltern der Schüler aus eigenen Mitteln aufkommen mußten. Der seinerzeit aus Kirchenvermögen geschaffene Normalschulfonds wurde nun nur noch für die interkonfessionelle Staatsschule verwendet. Doch haben bei der Gestaltung des „öffentlichen“ Schulwesens auch weiterhin Geistliche; an entscheidenden Stellen mitgewirkt, da sie auf Wunsch der Bischöfe in die neugeschaffenen Orts- Bezirks- und Landesschulräte eintraten. Mit der auf die Initiative katholischer Abgeordneter zurückgehenden Novelle zum RVG vom 2. Mai 1883, die auf das Religionsbekenntnis der Schüler ausdrücklich Rücksicht nahm, gelang dann den Katholiken auch auf dem Gesetzesweg ein beachtlicher Erfolg. Die Forderung nach der öffentlichen konfessionellen Schule hatte allerdings auch bis 1918 nur noch ein einziges Mal unter der Regierung Badeni Aussicht auf wenigstens teilweise Verwirklichung.

Der zweite österreichische Kulturkampf der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts wurzelt in der Erkenntnis der 1919 zur stärksten Partei gewordenen Sozialdemokratie, daß sie aus außenpolitischen Gründen sowohl auf die Aufrichtung einer sozialistischen Wirtschaftsordnung als auch auf die Verwirklichung der damals allen Parteien mehr oder minder gemeinsamen Anschlußidee werde verzichten müssen. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten sich die Deutschliberalen mit doppeltem Eifer auf kulturelle Fragen gestürzt, weil es ihnen nicht möglich war, die militärischen Niederlagen der Monarchie wettzumachen und den zunehmenden Nationalitätenhader wirksam zu bekämpfen. Ebenso wandten sich nun auch die Sozialdemokraten anderen Zielen zu. Sie entschlossen sich zum „Aufbau einer vom sozialen Geist erfüllten demokratischen Republik“, in dessen Rahmen sich auch die geplante Schulerneuerung einzuordnen hatte.

An der Glöckelschen Schulreform beziehungsweise an ihrem Startschuß, dem Erlaß über die Aufhebung der Verpflichtung der Lehrer zur Beaufsichtigung der Schüler bei den noch immer gesetzlich vorgeschriebenen gemeinsamen religiösen Übungen, entzündeten sich die „Differenzen hinsichtlich des Verhältnisses von Kirche und Schule“, die schon 1920 nicht der unbedeutendste Anlaß für den Bruch der Koalition waren und schließlich auch die radikale Kirchenaustrittspropaganda der Sozialdemokraten ab 1922 herbeiführten. Nach dem Bruch der Koalition war eine Einigung über die Kulturpolitik, zu der die Schulfrage ebcnson Erleg gebtrng-nicht mehr 'möglich.- Daher enthielt die neue : Verfassung vom 1. Oktober 1920 keine „Grund- und Freiheitsrechte“, in denen die kulturpolitischen Grundsätze der Republik hätten zur Sprache kommen müssen.

Der energische und hartnäckige Widerstand Ignaz Seipels und der von ihm geführten Christlich-Sozialen Partei nach dem Leitsatz „Keine Veränderungen, alle Bastionen halten!“ verhinderte sowohl in der Schul- wie in der Ehefrage einen Erfolg der Sozialdemokraten. Diese konnten nicht einmal die Ausdehnung des Reichsyolks-schulgesetzes auf das 1921 mit Österreich vereinigte Burgenland erreichen, in dem nach den ungarischen Schulgesetzen auch die öffentlichen Schulen konfessionell geführt wurden. Bei den seit 1931 in Gang befindlichen Verhandlungen über ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl hat allerdings selbst Seipel die Errichtung staatlicher katholischer Schulen aus organisatorischen Gründen für kaum möglich gehalten. Der Katholische Schulverein vertrat damals die Ansicht, daß mit dem Konkordat auch die katholischen Schulforderungen durchgesetzt werden müßten. Diese von verschiedenen Gesichtspunkten beherrschten Forderungen vereinigten sich in dem Grundsatz, „daß den katholischen Eltern ausreichend Gelegenheit geboten wird, ihre Kinder ohne besondere Kosten in konfessionelle Schulen zu schicken“.

Der österreichische Episkopat in seine Gesamtheit bezog den Standpunkt „daß in der Konkordatsfrage zwischet Ehe und Schule kein Junktim geschaffen werden soll und darf“.

In dem am 5. Juni 1933 unterzeichneten Konkordat behandelt der gegen über dem römischen Entwurf von 1931 wesentlich verkürzte und zugunster des Staates veränderte Artikel VI da; Schulwesen, wobei hinsichtlich dei konfessionellen Schulen besonders au! die schlechte Wirtschaftslage Rücksicht genommen wurde: „Wo solche Schulen eine verhältnismäßig beträchtliche Frequenz aufweisen und infolgedessen den Bestand, die Erweiterung oder Errichtung öffentlicher Schulen gleicher Art in einer Weise beeinflussen, daß der betreffende Schulerhalter eine finanzielle Entlastung erfährt, haben sie aus dem hierdurch ersparten öffentlichen Aufwand nach Maßgabe der Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse angemessene Zuschüsse zu erhalten.“

Das Konkordat wurde bekanntlich am 30. April 1934 vom österreichischen Nationalrat, aus dem seit Februar 1934 die Sozialdemokraten ausgeschlossen waren, angenommen. Bei diesem Anlaß verabschiedete sich der Sprecher der Christlich-Sozialen Partei, die in der Vaterländischen Front aufgegangen war und aus dem öffentlichen Leben Österreichs als politisch gestaltender Faktor ausscheiden sollte, im Namen seiner Partei vom Parlament. „Sozusagen als ein Anhängsel an das politische Testament“ seiner Partei richtete er dabei an die Regierung die Bitte, die Gesetzwerdung der katholischen Schulen in Österreich bei sich bietender Gelegenheit herbeizuführen.

Nach der Ratifikation des Konkordats war dem Staat Österreich noch eine Gnadenfrist von knappen vier Jahren beschieden. Sie war sogar zu kurz und die wirtschaftliche Lage zu schlecht, um das Konkordat — besonders in finanzieller Hinsicht — voll zu verwirklichen. Als die 1938 an die Macht gelangten Nationalsozialisten die konfessionellen Schulen aufhoben und die deutschen Schulgesetze einführten, gab es überhaupt kein österreichisches Parlament mehr, Auf dfe Führung eines Kulturkamp|esTyon noch nie dagewesener LInerbinHcTiVeif und Schärfe hat das nationalsozialistische Regime trotzdem nicht verzichtet...

Am Ende dieser geschichtlichen Rückschau dürfen wir feststellen, daß der vierte Kulturkampf -unserem Land erspart geblieben ist. Trotzdem wird ein Schulgesetz zustande kommen, dessen historische Bedeutung einst durchaus mit jener des Reichsvolksschulgesetzes vergleichbar sein wird und das außerdem zum erstenmal den konfessionellen Schulen einen festen finanziellen Beitrag des Staates gesetzlich sichert. Auf was immer für Ursachen weltweiter Natur und parteipolitischer Taktik dieses Phänomen zurückzuführen sein mag: Ein Historiker, der sich mit den österreichischen Kulturkämpfen der Vergangenheit beschäftigt hat, kann es nur positiv werten.

Bei der Verabschiedung der Verfassungsgesetznovelle am 18. Juli wurde im Parlament mit vollem Recht bemerkt, daß nun eine seit 1920 bestandene Lücke unserer Verfassung geschlossen werde. Der Unterrichtsminister, dessen Verdienste um das Zustandekommen der Schulgesetze unbestreitbar sind, hat nicht nur die neue geistige Gemeinsamkeit zwischen den Traditionen des christlichen Humanismus und jenen des sozialistischen Humanismus westlicher Prägung sowie den liberalen Traditionen des 19. Jahrhunderts betont, sondern auch die Notwendigkeit einer demokratischen Lösung der Schulfrage. Unter diesem Aspekt gesehen, möchten wir daher letzten Endes — im Gegensatz zur FPÖ — das österreichische Schulgesetz 1962, mag es auch manche Hoffnung nicht erfüllen, doch als bedeutenden Schritt auf dem demokratischen Weg begrüßen. Wird ihm doch zum erstenmal in der österreichischen Geschichte eine nicht nur auf einem politischen Lager basierende parlamentarische Zustimmung zuteil. Seine gesetzliche Verankerung ähnlich der Verfassung, das heißt also seine Sicherung vor Änderungen durch kleine Zufallsmehrheiten, kann daher nicht als Gefährdung der Demokratie gelten, sondern als Ausdruck des allgemeinen Wunsches unseres Volkes nach Einheit und Frieden.

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