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Der Bonner Kanzler in Wien

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Mitten am einem Wahlkampf, der, wie alle Zeichen zeigen, der härteste und schärfste Wahlkampf in Deutschland seit den großen Wahlschlachten 1932/33 zu werden veispricht, kommt Dr. Konrad Adenauer zum Staatsbesuch nach Wien.

Es lohnt sich, den erstaunlichen Umschwung zu betrachten, den diese in ihrer Weise einzigartige Persönlichkeit im Laufe eines knappen Jahres erkämpft hat. Im Frühsommer des vergangenen Jahres glaubten selbst enge Mitarbeiter seiner Partei von einem Erlahmen seiner Energie sprechen zu können. Die Debatten im Bonner Bundestag brachten manche Schlappen für seine Regierungspolitik ein. Die inneren Auseinandersetzungen in Regierung und führender Regierungspartei erreichten in diesem vergangenen Jahr einen gefährlichen Grad der Oeffentlichkeit, zumal durch die Differenzen mit den wichtigsten und prominentesten Repräsentanten, welche die Wirtschaftsmacht der Bundesrepublik und ihre Weltgeltung auf diesem Gebiet verkörperten, Erhard und Schaffer. Das erzwungene Ausscheiden der CDU aus der Regierung des im gegenwärtigen Wahlkampf um- kämpftesten und wichtigsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen war ein Alarmzeichen ersten Ranges, nachdem bereits zuvor in Bayern die Ausbootung der CSU aus der Regierung die Fahnen der innenpolitischen Auseinandersetzung auf Sturm gesetzt hatten. Die relative Beruhigung der Weltlage — in den Monaten vor der Erhebung und der Katastrophe in Ungarn — gab ebenfalls den innenpolitischen und außenpolitischen Gegnern des rheinischen Staatsmannes Auftrieb für ihre Segel, war er doch völlig zu Unrecht als ein Mann des Kalten Krieges und ein Nutznießer der weltweiten Zerklüftung verschrien.

Nun, in dem knappen Zeitraum eines Jahres, hat der Kölner Löwe mit einer Jugendkraft, um die ihn Freunde und Gegner beneiden, das Steuer des scheinbar schwankend gewordenen Regierungsschiffes an sich genommen, wie kaum je zuvor: Entschlossen, den Wahlkampf zu gewinnen, ja ihn zu einem einzigartigen Triumph zu gestalten und die achtjährige Herrschaft seiner Partei in der Bonner Regierung für weitere vier Jahre zu sichern. Der Hamburger Parteitag dieses Jahres stand ganz im Zeichen eines überwältigenden Bekenntnisses zu seiner Person. Wie weggewischt waren da alle die alten inneren Gegner und Gegensätze: machtvollst wurde seine Politik geradezu durch die Männer der Wirtschaft und Währung vertreten; der prominenteste Sprecher des evangelischen Flügels seiner Partei, Bundestagspräsident Gerstenmaier, vereinigte die liberalen, konfessionell nicht gebundenen freiheitlichen Elemente unter der Fahne der Partei, indem er die Entideologisie- rung verkündete. Der Vertreter des sozialen Flügels, der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jahrelang von Leuten, die es besser zu wissen meinten, als innenparteilicher Gegner Dr. Adenauers und Kronprinz angesehen, bekannte sich nicht nur rückhaltlos zur Politik des Staatsmannes Adenauer, sondern sprach, wie allgemein bemerkt wurde, so, daß seine Rede auf weiten Strecken auch von Minister Erhard hätte gesprochen werden können.

Dieses Hamburger Bekenntnis zur Person des Kanzlers, der selbst keine große Rede hielt, allein durch sein Erscheinen und wenige skizzenhafte Worte wirkte, erhielt nun in den letzten Wochen noch verstärkte Resonanz durch das außerordentliche Engagement des westdeutschen Katholizismus in diesem Wahlkampf für inn. Man muü sich von leilnehmern den Enthusiasmus und die Begeisterung schildern lassen, die da, bei den nächtlichen Wahlkundgebungen etwa in Würzburg und Passau, die katholischen Männer und die Bevölkerung ergreift. Die Alternative, die da der Staatsmann und Politiker Adenauer den Massen vorstellt, scheint einfach und verständlich: er vertritt die Ueberzeugung, daß die kommenden Wahlen darüber entscheiden werden, ob Deutschland christlich sein werde oder kollektivistisch und in den Abgrund der Zersetzung und endlich der Tyrannei schlittern werde.

Mit der ihm eigenen Entschiedenheit hat Doktor Adenauer allen Befürchtungen und Spekulationen seiner vielen Gegner das Wasser abgegraben, ist vor wenigen Wochen nach Amerika geflogen und hat dort in langen, ernsten Gesprächen mit Präsident Eisenhower und Staatssekretär Dulles die Versicherung erhalten, daß die’ Absprachen der Zukunft mit den Russen nicht auf Kosten Deutschlands geschehen sollen. Er hat damit nicht nur für seine Partei und Regierung eine außerordentlich wichtige Unterstützung im Wahlkampf eingebracht, eine Beute, die allein die Fahrt nach Amerika reichlich lohnen würde, sondern auch vielen Europäern außerhalb der Grenze der Bundesrepublik die Hoffnung gestärkt, daß Amerika Europa in dem bevorstehenden zähen und schweren politischen Ringen um eine Fixierung der Weltkräfte in einem Gleichgewicht nicht verlassen, nicht preisgeben wird.

Dr. Konrad Adenauer kommt also auf dem Höhepunkt seiner Macht nach Wien. Ein künftiger Wahlsieg könnte diese Macht nur äußerlich bestätigen, nicht mehr erhöhen. Und hier darf wohl von einer für uns Oesterreicher besonders wichtigen Tatsache, einem Phänomen außerordentlichen Ranges, gesprochen werden. Der rheinische Politiker Adenauer, der den Kampf um die Macht so ungewöhnlich geschickt zu führen weiß und den Instinkt für Macht besitzt, wie wenige Politiker, ist selbst kein Gläubiger der Macht. Das ist vielleicht seine geheimste Stärke und macht den Zauber seiner Persönlichkeit aus. Leiderfahren in einem langen Leben, ein Kenner seines Volkes, wie wenige außer ihm, ein Kenner also auch der typisch deutschen Versuchungen, hat er es, sehr zum Erstaunen seiner Gegner und zum Verdruß mancher seiner kurzsichtigen Parteifreunde, verstanden, Macht zu üben und Macht zu gewinnen durch viele Enthaltungen. Konrad Adenauer hat eben deshalb nach dem überraschenden Erfolg seiner Partei bei den letzten Wahlen, die es ihr gestattet hätten, allein die Regierung zu bilden, auf einer Koalition bestanden, und hat sofort das Streben ungezügelter Kreise, Gruppen und Personen, die innenpolitisch zu totaler Machtübernahme drängten, gezügelt und zurückgewiesen. Der Kölner Oberbürgermeister und Bonner Bundeskanzler, gewohnt, allein zu entscheiden, von Haus aus, in seiner Familie bereits, wie seine autorisierte Biographie berichtet, der starke Mann, ist, bei all der Zentrierung seiner Willenskräfte und Entscheidungen auf seinen harten Schädel und sein starkes Herz, kein Diktator. Er könnte es seinem Naturell nach sein, ist es aber nicht, weil er die Menschen zu gut kennt und weiß, daß Macht, schrankenlos eingesetzt, sich selbst und zuerst ihre Ziele vernichtet. In dieser seiner Enthaltung hat Doktor Adenauer immer wieder zeit seines Lebens eine Zivilcourage bewiesen, eine persönliche Kühnheit, die seine Freunde, Anhänger und Gegner verblüfft. In eben diesen Tagen hat ein eben erst veröffentlichter Briefwechsel mit Politikern des Saarlandes Erstaunen erregt. Der Bonner Bundeskanzler schrieb da damals im „Kampf um die Saar”, der von vielen Beobachtern mit dem Kampf Hitlers um die Saar verglichen, als Testfall für die Europa-Willigkeit der Bundesrepublik gewertet wurde und denn auch tatsächlich von manchen Politikern und Gruppen mit einer Zügellosigkeit der Diffamierung des Gegners und der Aufpeitschung aller nationalen, ja nationalistischen Leidenschaften und Instinkte geführt wurde — da schrieb nun Dr. Adenauer, daß er die Anhänger des Saar-Statuts als ebenso gute Deutsche wie die anderen betrachte. Das Saarstatut für das der als „Franzosensöldling” diffamierte frühere Ministerpräsident Hoffmann eintrat, war bekanntlich der Dorn im Auge aller zum Anschluß an Deutschland treibenden Kräfte, die denn auch den Wahlkampf gewannen — ihn aber nicht für engnationalistische Zwecke ausbeuten konnten, weil der Staatsmann Adenauer durch sein ungemein geduldiges Verhandeln mit Frankreich aus der Saar, dem alten Zankapfel, eine Brücke in Europa schuf.

Es ist also zunächst diese Note seiner Persönlichkeit, die uns Oesterreicher sosehr persönlich und politisch angeht und berührt: Dr. Adenauer, auf dem Höhepunkt seiner Macht nach Wien kommend, ist kein Verehrer, kein Gläubiger der Macht. Er weiß um ihre Grenzen und Grenzüberschreitungen.

Und dann das zweite, ebenso wichtige: Doktor Konrad Adenauer kommt nicht als Parteimann und Parteipolitiker nach Wien, sondern als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in das befreundete Oesterreich. Er kommt aus den Wogen eines innenpolitischen Kampfes, der in manchem an vergangene Perioden, nicht zuletzt des Kulturkampfes erinnert, in ein Land, in dem ein anderes inneres Klima herrscht. Dies verdient gerade gegenwärtig festgehalten zu werden, da auch bei uns breite Schatten der Vergangenheit den Weg in die Zukunft, offen für alle, für neue Formen des Sichzusammenstreitens und Zusammenlebens, hemmen, hemmen wollen. Immer ist ja Oesterreich, groß wie vor hund t Jahren und klein wie heute, ein getreues Spiegelbild der Weltverhältnisse.

Der Bonner Kanzler hat, was viel beobachtet wurde, in sein österreichisches Besuchsprogramm einen Punkt aufgenommen, der sehr am Rande zu liegen scheint: Klosterneuburg. Der alte Freund von Maria-Laach, diesem Zentrum benediktinisch-friedsamer innerer Selbstfindung und Erneuerung des deutschen Katholizismus von den Wurzein her, der Mann, der in den harten Stürmen der Verfolgung und Ausschaltung dort Ruhe, Sammlung und innere Kraft gefunden hat, wird in Klosterneuburg das Maria- Laach Oesterreichs aufsuchen. Klosterneuburg ist heute aber in aller Welt, von der Arktis, von den Eskimos über beide Amerika bis weit nach Asien, Japan, China hinein, bekannt durch sein volksliturgisches Apostolat, durch die Bewegung der Verinnerlichung, der Personbildung des Christen aus den heiligsten Quellen der Liturgie, des Meßopfers. Sein Gründer, Pius Parsch, hat die Inspiration zu diesem weltgültigsten Werk des heutigen österreichischen Katholizismus, im ersten Weltkrieg, als Seelsorger der altösterreichischen Armee, in Kiew erhalten, als er da erschreckend sehen mußte, wie unbetreut die Seelen, nicht nur die Leiber unserer westeuropäischen Christenmensche sind …

Es läßt sich kein größerer Gegenpol denken zu einem gewissen Wesen des heute in allen Winden und Wettern der Machtpolitik segelnden westdeutschen Katholizismus als die Stille Klosterneuburgs. Dieser Zelle Oesterreichs, dieser babenbergischen Pfalz, dieses „österreichischen Eskortais”, wie man es oft genannt hat, das nicht nur zeichenstark auf seinen Zinnen die Krone des Heiligen Reiches und die Kronen Oesterreichs heimgeführt und endlich geborgen hat in einer tieferen Macht, und einem größeren Frieden.

Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird von Regierung, Staat und Volk Oesterreichs herzlich begrüßt. Oesterreich ehrt und anerkennt in diesem Mann den deutschen Staatsmann, der berufen und befähigt ist, im Verein mit allen guten Europäern die Schiffe unserer Geschicke neuen Ufern zuzuführen. Den Gestaden eines wahren Friedens zu. ln ihm wird das alt-neue Verhältnis des deutschen und österreichischen Volkes jene Bergung und sorgsame Pflege erhalten, welche die besten und klarst sehenden Deutschen und Oesterreicher seit den Tagen des Wilhelm von Humboldt und Franz Grillparzer ersehnen, nüchtern bedacht und in persönlicher Existenz verwirklicht haben.

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