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Der Bourgeois auf dem roten Präsidentenstuhl

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Es war im Juni 1956, als vor dem Berner Bundesgericht der Prozeß gegen die vier rumänischen Emigranten lief, die am 14. Februar 1955 den Ueberfall auf die Gesandtschaft der Rumänischen Volksrepublik verübt hatten. In den Wandelgängen des Gerichtes drängten sich Presseleute und Schlachtenbummler aus aller Welt. Bukarest hatte eine „Beobachterdelegation“ geschickt, die rumänischen Exilorganisationen waren durch führende Persönlichkeiten vertreten. Man maß sich mit feindseligen Blicken, kam dann aber doch ins Gespräch. Der etwas behäbige, mit Pariser Eleganz gekleidete Leiter der Bukarester Delegation, Jon Gheorghe Maurer, heute Präsident des Präsidiums der Großen Rumänischen Nationalversammlung, also praktisch der Staatspräsident, wich dem Kontakt mit den Exilisten nicht aus, er suchte ihn vielmehr. Und in einem Gespräch mit Exilpolitikern aus Amerika ließ er eine Bemerkung fallen, die inzwischen immer wieder diskutiert worden ist. Er sagte: „Warum macht iht uns im Westen so viele Schwierigkeiten, während wir daheim mit den Stalinisten kämpfen...?“

Diese Aeußerung ist wörtlich verbürgt, und sie hat zu vielen Interpretationen Anlaß gegeben. Besonders vor dem Hintergrund der Posener und Budapester Ereignisse schien sie an Bedeutung zu gewinnen. Man hörte aus ihr — und dabei spielten Wunschvorstellungen hinsichtlich einer rumänischen Entwicklung ähnlich der polnischen, ungarischen und jugoslawischen eine nicht geringe Rolle — ein „Waffenstillstandsangebot der autochthonen rumänischen Kommunisten um Gheorghiu-Dej“ an die rumänischen Exilorganisationen im Westen heraus, von Jon Gh. Maurer zu dem Zweck lanciert, dem rumänischen „Nationalkommunismus in seinem Kampf gegen den Stalinismus, also gegen Moskau“, im Westen den Rücken freizuhalten.

Das waren kühne Kombinationen, die, da in Rumänien keinerlei Anzeichen für eine „polnische Entwicklung“ auftauchten, allmählich als Fehlspekulationen erkannt werden mußten. Noch einmal erhielten sie Auftrieb, als Bukarest 1957 in verschiedenen westlichen und überseeischen Ländern, vor allem aber in Frankreich, eine Kulturoffensive startete. Es erschienen Emmis-säre, deren bourgeoise Herkunft ebenso demonstrativ hervorgekehrt wurde wie ihre Nichtzugehörigkeit zur kommunistischen Partei, und ihre Devise lautete: Laßt uns doch zumindest auf dem kulturellen Sektor die alten Beziehungen Rumäniens zur westlichen Welt neu beleben. *

Diese Aktion der Bukarester kommunistischen Regierung war begleitet von Kontaktversuchen mit rumänischen Exilverbänden. Es stellten sich bei diesen diskret tuende Besucher ein, die unumwunden zugaben, dem rumänischen diplomatischen Korps anzugehören, und die die Frage der ideologischen Differenzen mit einer Handbewegung und mit dem Vorschlag beiseiteschoben: Warum sollen wir uns als R u m ä n e n, denen das Schicksal des Vaterlandes gleicherweise am Herzen liegt, nicht verständigen können? Lassen wir den Kommunismus beiseite, sprechen wir von den rumänischen Lebensinteressen, vor allem von der Notwendigkeit, im Westen die rumänischen kulturellen Belange gemeinsam zu fördern.

Diese Kontaktversuche fanden auf Seiten der rumänischen Exilisten jedoch keinen wirklichen Widerhall. Das Mißtrauen gegen die hintergründigen Bukarester Absichten überwog, man sagte sich in den Exilkreisen, daß diese Absichten darauf hinausliefen, die Emigration politisch zu neutralisieren, und so fanden die „diskreten Gespräche“ bald ihr Ende. Immerhin registrierte man die Bemühungen der Bukarester Regierung als eine interessante Erscheinung. Bis heute sind jene Stimmen in den rumänischen Exilkreisen nicht verstummt, die hinter der Bukarester Aktion den Salonkommunisten Jon Gh. Maurer vermuteten, der schon immer die „Politik nach zwei Seiten“ betrieben habe und der vielleicht in der Tat mit dem polnischen Modellfall einer Lockerung von Moskau liebäugele.

*

Wer ist dieser Jon Gheorghe Maurer? Mag hat ihn anläßlich seiner im Jänner erfolgten Wahl zum Präsidenten des Präsidiums der Nationalversammlung in westlichen Kommentaren als Volksdeutschen siebenbürgischer Herkunft bezeichnet, womit — ausgesprochen oder unausgesprochen — zum Ausdruck gebracht wurde: Siehe da, in Rumänien herrscht ein Regime, das es selbst Angehörigen der kleinen deutschen Minderheit ermöglicht, hohe und höchste Staatsämter zu bekleiden.

Aber Jon Gheorghe Maurer ist kein Volksdeutscher. Ehemalige Kollegen unter den Emigranten, die ihn persönlich gut kannten, erzählen, daß Maurer ein „Bukarester reinsten Wassers“ sei und seinen deutschen Namen immer als „einen Unfall“ bezeichnet habe. Er wurde um 1900 in Bukarest geboren, sein deutscher Name rührt aus der zweiten oder dritten Generation her, und er hat sich niemals in irgendeiner Weise als deutschstämmig betrachtet. Er bewegte sich im politischen und gesellschaftlichen Leben der dreißiger Jahre mit levantinischer Geschmeidigkeit, war ein bekannter Elegant und Freund der Frauen, bestach und ließ sich bestechen — nichts an ihm war revolutionär oder entsprach auch nur im entferntesten dem, was man sich unter einem kommunistischen Vorkämpfer vorstellt. Seine linkslerischen Neigungen, die ihn schließlich zu einem Anwalt der illegalen Kommunisten werden ließen, waren, wenn man seinen emigrierten Kollegen Glauben schenken darf, spekulativer Natur und nicht von echten ideologischen Ueberzeugungen getragen.

In vertraulichen Gesprächen hat Maurer seinerzeit immer wieder seiner Meinung Ausdruck gegeben, daß die „große historische Entwicklung zum Kommunismus hin“ verlaufen werde. Es scheint, daß er 1933, als er die „Gruppe Gheorghiu-Dej“ wegen eines in den Bukarester Grivitza-Werken angezettelten kommunistischen Aufruhrs vor Gericht verteidigte, seine Beziehungen zur illegalen Kommunistischen Partei in eine feste Form brachte. Sein Bündnis mit der KP war jedoch subversiver, Natur; Maurer hat sich, obwohl man wußte, daß er den Kommunisten, vor allem Gheorghiu-Dej, nahestand, niemals als kommunistischer Aktivist betätigt. Anderseits aber verdächtigte man ihn damals, er lasse einen Teil seiner Einkünfte den Kommunisten zufließen, und die Frage, ob und wann er der illegalen KP insgeheim beitrat, ist auch heute noch ungeklärt.

Ein pikantes Intermezzo in der Karriere Maurers spielte sich zwischen 193 8 und 1940 ab, als der „Königsdiktator“ Carol II. die von

der Eisernen Garde drohende Gefahr einer „Revolution von rechts“ aufzufangen versuchte: Der einäugige Ministerpräsident Carols IL, Armand Calinescu (1939 von Mitgliedern der Eisernen Garde ermordet), berief Vertreter der Sozialisten und Kommunisten zu sich und forderte sie auf, das Carol-Regime gegen die von rechts drohende Gefahr zu stützen. Auch Jon Gh. Maurer übernahm dabei eine Rolle: er wurde Administrator des von Carol II. mit großem Geldaufwand ins Leben gerufenen Regierungsblattes „Romania“, sein Chef war

Cezar P e t r e s c u, der damals das Blatt redaktionell leitete und heute zu den bevorzugtesten Schriftstellern des kommunistischen Rumäniens zählt.

Als Carol II. 1940 stürzte und . General. Antonescu an der Spitze der Eisernen Garde die Macht übernahm, zog sich Jon Gh. Maurer von der Politik zurück. Er wurde von den neuen Machthabern weder verhaftet noch verfolgt — was zweifellos für seine Wendigkeit und Geschicklichkeit, wenn nicht gar für seine guten Beziehungen auch zum Antonescu-Regime spricht —, und als dann am 23. August 1944 Rumänien kapitulierte und in das Lager der Alliierten hinüberwechselte, nahm Maurers Karriere einen steilen Aufstieg.

Zunächst zog er an der Seite seines Freundes Gheorghiu-Dej, der das Antonescu-Regime in einem Internierungslager überstanden hatte, als Rechtsberater in die Leitung der Eisenbahndirektion ein, um 1947 zum Unterstaatssekretär im Wirtschaftsministerium, das dem ehemaligen Eisenbahnarbeiter Gheorghiu-Dej anvertraut wurde, aufzurücken. Sein weiterer Werdegang: 1948 Stellvertretender Industrieminister; 1949 im Zusammenhang mit der von Stalin verdammten Balkanföderation Titos und Dimitroffs, mit der auch Gheorghiu-Dej geliebäugelt hatte, in eine Krise geraten, die er jedoch gemeinsam mit Gheorghiu-Dej überstand; 195 5 mit der Leitung der „Union der Juristen“ betraut und gleichzeitig zum Ersatzmitglied im Zentralkomitee ernannt; 1956 Direktor des Instituts für juristische Forschungen; bald darauf einer der vier Rechtsvertreter Rumäniens beim Haager Schiedsgericht; am 14. Juli 1957 schließlich von Gheorghiu-Dej auf den Posten des Außenministers vorgeschoben.

Seine politische Karriere im Kielwasser des „teuersten Sohnes des rumänischen Volkes“, Gheorghiu-Dej, war jeweils den Schwankungen ausgesetzt, die Gheorghiu-Dej selbst bedrohten. Als Anna Pauker 1949 wegen der Balkanföderationspläne gegen Gheorghiu-Dej vorging und dabei Stalin persönlich hinter sich hatte, schien es, als sei die Laufbahn des „teuersten Sohnes des rumänischen Volkes“ und damit auch die Maurers beendet. Aber Gheorghiu-Dej war geschickt genug, seinen eigenen Sturz zu bremsen, um ihn 1952, als Stalin mit dem Prozeß gegen die jüdischen Aerzte eine scheinbar antisemitische Aera einleitete, in einen Vorstoß umzuwandeln: er beseitigte Anna Pauker und deren Anhang und setzte sich in die volle Macht. Damit war auch die Gefahr für Jon Gh. Maurer gebannt.

*

Seit November 1957 scheint jedoch die Position Gheorghiu-Dejs erschüttert. Er wurde am

4. November wegen einer angeblichen „Grippe“ von der Führung der rumänischen Delegation zu den Moskauer Revolutionsfeierlichkeiten entbunden und durch den Ministerpräsidenten Chivu Stoica „vertreten“. Seither erweckt es den Eindruck, als sei Gheorghiu-Dej angestrengt bemüht, seine Stellung zu behaupten; noch ist nicht vorauszusehen, welchen Ausgang die Bukarester Positionskämpfe nehmen werden.

Die Ablösung Jon Gh. Maurers als Außenminister und seine Wahl zum Präsidenten des Präsidiums der Nationalversammlung ist zweifei-

los ein Manöver der Gegenseite gewesen, ihn auf einen repräsentativen Posten abzuschieben und praktisch kaltzustellen, denn damit verlor Gheorghiu-Dej „seinen“ Außenminister, und ob MauierfaU Staatspräsident ihm ebenso nützlich sein kann, steht noch dahin. Der neue Außenminister Avram Bunaciu ist jedenfalls nicht ein Mann Gheorghiu-Dejs; er kommt aus dem Kreis der Anna Pauker, deren Stellvertreter er bis 1952 war, als sie das Außenministerium leitete.

Mit der Wahl Jon Gheorghe Maurers haben die Bukarester Kommunisten ihre Tradition fortgesetzt, jeweils einen typischen „Bourgeois“ an die Spitze des Staates zu stellen: Der verstorbene Dr. Petre G r o z a, seiner Herkunft nach ein Kapitalist reinsten Wassers, war ebensowenig Kommunist wie sein Vorgänger, Professor P a r h o n. Das rote Bukarester Regime liebt es, nichtkommunistische Darsteller mit repräsentativen Rollen zu betrauen. Vielleicht, um nach dem Westen hin die Fiktion der Koexistenz auch auf diese Weise zu demonstrieren ...?

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