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Der Dollarsegen blieb aus

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Noch nie hat ein brasilianisches Staatsoberhaupt in so kurzer Zeit das Vertrauen des Volkes verwirtschaftet. Selbst Goularts Arbeiterpartei, eine Schöpfung des Diktators Getulio Var-gas nach faschistischem Vorbild, steht nicht mehr auf Vordermann. Und die Kommunisten, die ihn seit dessen Besuch in Peking und Moskau und seit der Errichtung der Sowjetbotschaft in Rio als brauchbare Figur in ihrem Umsturzspiel bewertet hatten, beschuldigten ihn dieser Tage in ihrem Parteiblatt „Novos Rumos“, gemeinsame Sache mit den Imperialisten und Großgrundbesitzern zu machen.

In das Hungergebiet des Nordostens ist diese wohlbegründete Verunglimpfung noch nicht gedrungen. Die Bauernligen gaben am 7. Oktober und jetzt wieder geschlossen ihre Stimme für den „Freund der Armen“. In der „Liga dos Camponeses“, einer Gründung des Gutsbesitzersohnes, Advokaten und Staatsdeputierten Francisco Juliao, der wie Fidel Castro mit Gewalt zum Kommunisten gemacht wurde, steht der Besuch des Staatspräsidenten noch frisch in Erinnerung. In Pessoa, der Hauptstadt der kleinen Provinz Paraiba, kurz vor jenen Wahlen wie einer von ihnen umjubelt, wurde vor seinen Augen die blutrote Fahne der Liga gehißt. Gewiß erinnert sie ihn mit der gekreuzten Sichel und der Schaufel in der Mitte an jene blutrote Fahne, die vor einem Jahr in Moskau zu seiner Begrüßung geweht hatte.

Ganz Brasilien weiß, was die Camponeses brauchen. Von den riesigen Ländereien wollen diese Viehhirten ein Stück Land, um ihre Familien ernähren zu können. Damit die Kinder nicht Hungers sterben, wenn die „seca“, die Dürre kommt. In Goularts Schublade liegt ein von den brasilianischen

Bischöfen genau ausgearbeiteter Plan der Bodenreform, ähnlich der in Mexiko, Bolivien, Venezuela und Kolumbien bereits eingeleiteten.

Was erzählt ihnen jetzt Goulart, der einer der größten Grundbesitzer Brasiliens ist? Und überall erzählt er es:

Mit den heutigen Latifundien muß unbedingt Schluß gemacht werden, sie stammen aus der Kolonialzeit. Eine grundlegende Reform ist notwendig, doch nicht nach dem Muster in Rußland, China und Kuba. „Brasilien muß eine eigene Lösung finden, in Friede und Harmonie“ (Beifall).

Die 20.000 Mitglieder der Bauernliga glaubten ihm. Was dann, wenn sich die betrogene Liga eines Tages nach kubanischem Vorbild in eine Freiheitsarmee verwandelt? An Waffen fehlt es nicht. Ihm ist, groß geworden in der Schule des alten Diktators Getulio Vargas, der Parlamentarismus verhaßt. Diese Fessel abzuschütteln, war seine einzige Sorge. Und nicht die elende Ernährungslage des 70-Millio-nen-Volkes. Nicht die galoppierende Schwindsucht des Cruzeiros, nicht die Berge von Auslandsverschuldungen und das Staatsdefizit.

Bis jetzt half im letzten Augenblick immer wieder der reiche Bruder aus dem Norden. Von Moskau ist nichts zu erwarten. Das vergangene Jahr gab Genosse Chruschtschow nicht eine Kopeke Entwicklungshilfe. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte Goulart den Weihnachtsmann in Washington an die „Allianz“ erinnert, nachdem Kennedy zweimal seinen Besuch abgesagt hatte. Dafür schickte dieser auf Bitten Goularts seinen Bruder Minister Robert. Auch der frühere Staatspräsident Kubitschek sprach im Weißen Haus vor — aber der gewohnte Dollarsegen blieb aus. Die erste Dollarmilliarde der „Allianz“ ist aschenlos im Hochofen der Inflation zerschmolzen. Keine einzige Bedingung die Kennedy an die Hilfe geknüpfi hatte, wurde erfüllt. Und leicht hätter wenigstens Maßnahmen gegen die Inflation ergriffen werden können. Am dem Mund des Exministerpräsidenter Dr. da Rocha erfuhren wir Presseleute Allein mit der Rückführung dei Summe, welche Brasilianer (inklusive derjenigen, welche die großen patriotischen Reden halten!) ins Ausland schoben, minimo 1,5 Milliarden Dollar, hätte die Inflation beseitigt werden können.

Bittere Pillen zu Neujahr

Die Neujahrsartikel fast aller Zeitungen waren für Goulart bittere Pillen. „Seine Exzellenz kann niemand mehr täuschen“, lesen wir im „Estade de S. Paulo“. „Doch er steht nicht auf einsamem Posten. Die Kommunisten bedienen sich seiner gerne als Werkzeug. Still sitzen sie am Schaltwerk des Regierungsapparats. Aber man spürt ihre Handschrift in der Ausdauer, mit der sie gegen Privatunternehmen, gegen Auslandskapital, gegen die EWG und besonders gegen das Bündnis für den Fortschritt wettern und warnen.“

Eines der reichsten Länder der Erde, mit allen Voraussetzungen einer künftigen Großmacht am Vorabend der Revolution? „Es riecht nach Blut“, schreibt der „Correiro“. Der zum zweitenmal gewählte Gouverneur von S. Paulo, Adhemar de Barros, einst flotter Korpsstudent in Heidelberg, vor drei Jahren einige Zeit außer Landes wegen Veruntreuung im Amte, empfahl sich in Paris und Bonn für die nächste Präsidentenwahl als der Retter. Er sagte: „Fidel Castro bereitet bei uns den Bürgerkrieg vor, Guevara hat seine Techniker geschickt. Und in Brasilien propagiert man den Neutralismus. Wir müssen aber zwischen dem Teufel und Gott wählen. Mein Wahlsieg war ein wenig vom Sieg Gottes. Und was die Agrarreform betrifft, so steht darüber in der Bibel geschrieben: Das Eigentum ist heilig.“

Erschreckend ernst klang die Weihnachtsbotschaft des Kardinals in Rio. Die Brasilianer wissen nicht, was auch für sie heute auf dem Spiel steht Lebenskünstler, die sie sind, feiern sio bereits Südamerika als die Insel der einzig Überlebenden einer atomaren Weltkatastrophe. Was aber kann bis dorthin geschehen? Carlos Prestes, der rote Führer, überschrieb am 1. Jänner seinen Aufruf: Neunzehnhundertdrei-undsechzig!

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