Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Der doppelte Draht
Caseroli will auch mit prominenten Laien reden. Es gehört zu den Kabinettstücken der vatikanischen Diplomatie, daß es ihr gelang, für diese schwierige Phase einen doppelten Draht zwischen Rom und Warschau zu spannen: Während der päpstliche Vertrauensmann durch Polen reist, weilt der Vertraute des polnischen Episkopats, der Breslauer Erzbischof, Kominek, in Rom, um — gleichsam als ausgleichende Kraft zwischen Wyszynskis Bedenken und Gomulkas Mißtrauen — polnische Interpretationen zu Case-rolis Eindrücken au geben. Kominek such Caserolis angekündigt wurde, berief er zum Tage der Ankunft des päpstlichen Diplomaten die Bischofskonferenz nach Warschau ein, um Caseroli Gelegenheit zu geben, mit der Gesamtheit der Bischöfe in seiner, des Kardinals Anwesenheit, Fühlung zu nehmen. Wyszynski war einigermaßen erstaunt, als sich Caseroli nicht damit begnügte, die päpstliche Ostpolitik nur bei dieser Gelegenheit darzulegen, daß er sich vielmehr entschloß, seinen Aufenthalt wesentlich zu verlängern und nun auf einer Rundreise nicht nur die örtliche Lage zu sondieren, sondern — begleitet von dem aus Krakau stammenden Kurien-Prälaten Deskur — jedem Bischof einzeln die Ostpolitik des Papstes zu erläutern.wird in diesen Tagen auch einen Abstecher nach Jugoslawien unternehmen, um dort die Wirksamkeit des im letzten Sommer geschlossenen vatikanisch-jugoslawischen Abkommens zu studieren.
Auslösendes Moment für all diese Aktivität war zweifellos der Pod-gomy-Besuch beim Papst am 30. Jänner. Am 1. Februar empfing Kardinal Wyszynski zum erstenmal seit über einem Jahr wieder die katholischen Abgeordneten der „Znak-Gruppe“, deren Vorsitzender Dr. Stomma im Dezember in einer sehr kritischen Parlamentsrede eine „Generalrevision“ des Verhältnisses von Kirche und Staat durch Verhandlungen gefordert hatte — und zwar durch Gespräche sowohl zwischen Regierung und Episkopat wie auch zwischen Regierung und Vatikan. Am 3. Februar sprach der Papst in einer zweistündigen Privataudienz mit Erzbischof Kominek, der als erster polnischer Kirchenfürst seit dem Millenniuimsstreit Rom besuchen konnte. Am 12. Februar, dem Tag vor der Abreise Caserolis nach Warschau, veröffentlichte der vatikanische „Osservatore Romano“ einen Brief, den der Papst schon im November letzten Jahres an Jugoslawiens Staatschef Tito gerichtet hatte. Dieses Schreiben nennt die Prinzipien, die der Ostpolitik des Vatikans überall zugrunde liegen sollen. Die katholischen Bürger wie auch die Kirche „in dem ihr zukommenden Bereich“ wollen bewußt zum Fortschritt und Gedeihen des Landes beitragen, ihrerseits aber erwarten sie „Respektierung ihrer Rechte und gesetzliche Freiheit ihrer Tätigkeit, die auf nichts anderes als auf den geistigen und moralischen Vorteil ihrer Mitglieder und der Nationen, in denen sie leben, gerichtet ist“.
Ob bis zum Ramfoesuoh des polnischen Staatspräsidenten Ochab (Anfang April) schon eine Übereinkunft zwischen Warschau und dem Vatikan gefunden ist, bezweifeln Kenner der Materie. Doch ein Besuch Ochabs beim Papst (möglicherweise mit einer „nachgeholten“ Einladung an Paul VI. zur Pilgerfahrt nach Tschenstochau) wäre in jedem Falle möglich und würde weitere Perspektiven eröffnen. Zumal man im Vatikan entschlossen ist, die leidig Oder-Neiße-Frage im polnischen Sinne zu erledigen —, und zwar kirchenrechtlich, nicht völkerrechtlich.
Für Paul VI. hat die Ostpolitik Vorrang — einfach deshalb, weil sie dem Frieden in Europa dient, ohne den sich eine weitsichtige Diplomatie, wie die vatikanische, heute auch den inneren Frieden einzelner Länder nicht mehr vorstellen kann.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!