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Der Fall Draganovic

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Vielleicht ist der „Fall Draganovic“, jenes mysteriöse Verschwinden des seit Jahren in Österreich lebenden kroatischen Priesters und Wissenschaftlers bereits gelöst, wenn diese Zeilen erscheinen. Anzunehmen ist es nicht. Denn zweifellos hat diese Causa einen sehr schwer zu durchleuchtenden politischen background. Fraglich bleibt, wieweit

und in welche Kreise dieser politische background reicht. Aber man wird wohl weder der Person des Professors noch der ganzen Affäre gerecht, wenn man in ihm bloß eine Zentralflgur des über die ganze Welt verstreuten Exilfcroatentums sieht, was er sicherlich war oder ist, und darüber hinaus außer acht läßt, daß er primär Wissenschaftler und Priester ist. Denn gerade seine wissenschaftliche Arbeit steht wohl in einem Zusammenhang mit seinem Verschwinden.

Wer ist Professor Draganoviö?

Rekapitulieren wir kurz die in der Presse sensationell aufgemachten Nachrichten der letzten Wochen. Draganovic kam von einem Aufenthalt in Rom nicht mehr nach Österreich zurück, obwohl er seine Rückkehr mehrfach und kurzfristig angekündigt hatte. In Rom soll er noch angeblich in den Zug Richtung Norden eingestiegen sein. In Österreich kam er aber nie an. In Triest soll er noch gesehen worden und ab dort von der Bildfläche verschwunden sein. Italienische und österreichische Behörden sowie das im Exil angesiedelte kroatische „Nationalkomitee“ schalteten sich ein. Recherchen sollen ergeben haben, daß Draganovic von Triest nach Jugoslawien entführt und in einem Agramer Gefängnis inhaftiert worden sei. Agram dementierte, wie nicht anders zu erwarten war, letzteres.

Wer ist nun dieser Mann, der im Mittelpunkt dieser Affäre steht? Krunoslav Stefan Draganovic wurde 1903 in Bröko in Kroatien geboren. Er studierte zunächst an der Technik in Wien, wechselte aber bald — einer inneren Berufung folgend — zur Theologie über. 1928 empfing er die Priesterweihe. Von der Weihe bis in die Gegenwart blieb

Draganovit Priester der Diözese Sarajewo, obwohl er dieser seit Jahrzehnten praktisch nicht mehr zur Verfügung steht. In der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg dozierte er an der Theologischen Fakultät in Agram Kirchengeschdchte. Der historischen Forschung blieb er auch bis in die Gegenwart treu. Da ihm aus der Zeit seines Technikstudiums Liebe und Talent insbesondere zur Statistik erhalten geblieben waren, schuf er in seiner Sarajewoer Zerit unter anderem einen Schematismus, also einen Personalstand der geistlichen Berufe, für ganz Jugoslawien sowie detaillierte Karten über seine Diözese Sarajewo.

1943 verließ er die Heimat. Die nächsten eineinhalb Jahrzehnte verbrachte er hauptsächlich in Rom, wo er zeitweise dm dortigen kroatischen Kolleg wohnte. Nach dem Krieg stellte er seine ganze Kraft in den Dienst der Hilfe für kroatische Flüchtlinge. In dieser Flüchtlingshilfe stellte Draganovic ein Organisationszentrum dar. Als die ärgste Flüchtlingsnot überwunden war, konzentrierte er sich wieder auf seine wissenschaftlichen Arbeiten. Im Jahr 1956 erwarb er die österreichische Staatsbürgerschaft. 1963 ließ er such ganz in Österreich niedier. Er wohnte fortan im Sacrö-Cceur in Preßbaum bei Wien, wo er neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten bei Messe, Predigt und Seelsorge regelmäßig aushalf.

Von politischer „Bedeutung?“

Spielte nun Draganovic in den Jahren seit dem zweiten Weltkrieg und insbesondere in seiner „Preß-baumer Zeit“ eine politische Rolle? Nun, man muß berücksichtigen, daß es unter den im Ausland lebenden > Kroaten hinsichtlich der Meinungen über kirchenpolitische Fragen und insbesondere über das Verhältnis Kirche-Staat in der Heimat weit differenziertere Standorte gibt als etwa unter den Exilungarn oder Exiltschechoslowaken, bei denen zwei, höchstens drei Richtungen feststellbar sind. In dieser reichhaltigen Palette der Standorte von Exilkroaten ist Draganovic — um dieses zweifellos vereinfachende oder auch verfälschende Wort zu gebrauten — wohl eher „rechts“ gestan-

den. Dafür sprechen seine offene Ablehnung des Abkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und der jugoslawischen Regierung ebenso wie seine weltweiten Kontakte zu Exilkroaten mit „Kreuzzugsansichten“. Und dennoch war er alles andere als ein „reaktionärer Finsterling“ oder gar ein verborgen lebender Geheimagent. Denn er lebte im Preßbaumer Sacre-Cceur zwar bescheiden, aber keineswegs abgeschlossen. Er hat in Österreich unter seinen Landsleuten wie unter geborenen Österreichern Bekannte und Freunde. Er pflegte im In- und Ausland Kontakte zu Exilkroaten aller Schattierungen. Und nicht zu vergessen: Seine Kontakte reichten auch zu seinen Landsleuten in der alten Heimat. Inwie-

weit sich diese Kontakte auch auf die heutige Hierarchie in Jugoslawien erstreckten, bleibt offen. Jedenfalls distanzierte er sich nie von der unter der kommunistischen Herrschaft Jugoslawiens wirkenden jetzigen Hierarchie seiner Heimat, wenngleich er in kirchenpolitischen Fragen — um nur ein Beispiel zu nennen — etwa der Haltung eines Kardinals Stepinac näher gestanden haben mag, als der des Nachfolgers Seper.

Die Schatten der blutigen Maitage 1945

Seine verschiedenen historischen Arbeiten mögen primärer Anlaß für seine weitreichenden Kontakte gewesen sein. Er wollte authentisches Material und Augenzeugenberichte

für seine Arbeiten sammeln. Auslandsreisen führten ihn unter anderem nach Nord- und Südamerika, wo er Freunde und wohl auch Gönner hatte. Seine kirchengeschichtlichen Arbeiten brachten auch Kontakte mit Fachkollegen auf der Universität Wien mit sich. In den letzten Jahren bereitete er verschiedene wissenschaftliche Veröffentlichungen vor. Im Vordergrund standen dabei Arbeiten zu einer Dokumentation über das Massaker, das Partisanen in den ersten Maitageh 1945 unter kroatischen Militäreinheiten, aber auch Zivilisten angerichtet hatten. Diese Kroaten waren damals nach Westen geströmt. Viele überlebten es — konnten in den Westen weiterfliehen oder in die Heimat zurückkehren. Die Zahl derer, die in diesem Massaker ihr Leben lassen mußten, ist unbekannt. Die Zahl 100.000 erscheint ungewöhnlich hoch, wird aber in diesem Zusammenhang immer wieder genannt.

Mysteriöser Zwischenaufenthalt

Viellaicht war Draganovic für manche Kreise an sich eine potentielle politische Gefahr. Vielleicht sollte auch die Veröffentlichung von Details dieses Massakers verhindert werden. Feststeht, daß Draganovic gegen Ende seines Romaufenthaltes (wo er vermutlich das Manuskript für seine Dokumentation mit sich führte) Anfang September äußerte,

er werde in den nächsten Tagen nach Österreich zurückkehren — und zwar über Triest zurückkehren, was an sich eine ungewöhnliche Route darstellt. In Wien lebende Freunde des Professors halten es für möglich, daß er in Triest weiteres Material für seine Dokumentationen sammeln wollte. Sensationelle Presseberichte sprachen davon, daß er in Triest

eine „Mission“ zu erfüllen gehabt hatte. Am 6. September schrieb er jedenfalls nach Österreich eine Karte, in der er ankündigte „morgen“, also am 7., nach Wien zurückkehren zu wollen. Hier kam er nie an. Unbestätigten Meldungen zufolge soll er am 12. September in Rom in den Zug gestiegen und am 15. noch in Triest gesehen worden sein. Von dort soll er mit einem Auto mit Diplomatenkennzeichen nach Jugoslawien gebracht worden sein. Offen bleibt die Frage, wie er in diesen Wagen kam und — wenn diese Vermutungen überhaupt zutreffen — warum er sich an der italienisch-jugoslawischen Grenze nicht wehrte. Sicher ist, daß das kroatische „Nationalkomitee“ von Berlin aus seine Stimme zugunsten einer Auffindung Draganovics erhob. Ebenso wurde Bundeskanzler Dr. Klaus um Intervention gebeten.

Konkrete und aktuelle Drohungen waren — soweit seinen Freunden in Wien bekannt ist — an Draganovi6 in jüngster Zeit nicht ergangen. Aber in einem jüngst von einem bis vor kurzem in Argentinien lebenden exilkroatischen Schriftsteller veröffentlichten Buch über das to aller Welt verstreute Exilkroaten-tum, in dem Krunoslav Draganovi6 viele Seiten gewidmet sind, befindet sich ein Zitat, in dem Draganovi6 meint, er müsse jederzeit damit rechnen, verschleppt oder überhaupt beseitigt zu werden.

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