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Der fallende Stern

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Tschu En-lai war nach seinem letzten Indienbesuch etwas überrascht. Gewohnt, seinen „indischen Freunden“ unliebsame Wirklichkeiten durch tönendes Lob schmackhaft zu machen, hatte er sich nach dem triumphalen Erfolg seines früheren Besuches trotz allem etwas mehr erwartet. Ein Essen bei Verteidigungsminister Krishna Mennon war eigentlich alles und wurde zudem von der Öffentlichkeit übel vermerkt. Man schied, wie bekannt, ohne irgendwelche nennenswerte Erfolge, wahrte mit Mühe das Gesicht und „ließ die Tür für weitere Verhandlungen offen“. Es kam zwar zu keinen größeren Protestaktionen, und die wenigen, die mit schwarzen Fahnen zum Flugplatz marschierten, wurden kurzerhand eingesperrt, aber es blieb die Verstimmung auf allen Seiten, in Peking, in Neu-Delhi und in Moskau. Doch Jubel in gewissen westlichen Kreisen: Nehru und mit ihm Indien haben den schönen Traum friedlicher Koexistenz ausgeträumt!

Sicher, Nehru hat einen entscheidenden Schlag einstecken müssen, und die — von ihm in besseren Jahren gewünschte — „fruchtbare Opposition“ beginnt sich zu regen, aber ein „Kontinent“ wie Indien ändert seine Meinung nicht in einer Nacht, und sei sie noch so •chwarz.

Heimat des Kommunismus ist für Indien immer noch Rußland, dessen nutzbringende Freundschaft man zu schätzen weiß, zumal sie (vom Bau großer Stahlwerke, bei dem sich russische Ingenieure wesentlich menschlicher zeigten als „westliche“, ganz abgesehen), wenn nötig, so weit gehen konnte, die eigenen indischen Genossen zu opfern. So wurden zum Beispiel die Kommunisten in der wichtigen Wahl von Andhra geschlagen, weil die gesamte Moskauer Presse die Kongreßpartei Nehrus in Tönen pries, gegen die die indischen Genossen einfach machtlos waren.

Umgekehrt konnte die Freundschaft zwischen Neu-Delhi und Moskau den kommunistischen Wahlsieg in Kerala kaum verhindern, im Gegenteil. Kommunistische Denkart war bereits zu tief eingedrungen. Der Intellektuelle, der fließend russisch und ziemlich gut deutsch spricht, der die Rassenpolitik Südafrikas schonungslos verurteilt, aber ungläubig im Zuge fragt, ob es im Osten wirklich Konzentrationslager gebe, der kleine Mann, der sich den teuren kommunistischen „Blitz“ hält, und der relative Wahlsieg in Kerala, ein halbes Jahr nach der „großen Revolution“, sind nur einige äußere Zeichen.

Daneben steht die Planungskommission, die durch ihre Fünfjahrpläne das ganze Leben des

Staates beherrscht, die Steuerpolitik, die eine private Initiative weithin unterbindet, der schon zum großen Teil verstaatlichte Lebensmittelhandel, und man ist trotz aller Enttäuschungen durchaus gewillt, eher noch weiter zu gehen.

So nahm bereits im Jänner 1959 die Kongreßpartei auf ihrer Jahresversammlung in Nagpur trotz warnender Stimmen die neue Landwirtschaftsresolution an, deren Endziel schließlich die Kolchose sein wird. In Zukunft soll jedenfalls eine Familie nur so viel Land besitzen, daß sie höchstens eine Ernte im Werte von 3600 Rupien pro Jahr erzielen kann. Wenn man weiß, daß ein junger Zollbeamter schon mehr als 4000 Rupien jährlich bekommt, kann man ermessen, was dieser Schritt für einen gesunden Bauernstand bedeuten muß. Man verspricht zwar eine Entschädigung, aber der Staat behält sich alle „Einzelheiten“ ausdrücklich vor.

Außerdem sollen in Zukunft die Bauern durch eine konsequente Politik dazu gebracht werden, ihre1 Höfe auf „kooperativer Basis zu organisieren“. Ziel müsse die Kollektivierung der Landwirtschaft sein und der einzelne müsse letztlich zum vollständigen Verzicht auf persönlichen Landbesitz gebracht werden. Eine gewählte Kommission werde statt dessen das Land besitzen, die Arbeit verteilen und die Ernte einbringen. Selbstverständlich alles auf freiwilliger Basis, aber das Wort „freiwillig“ könne ja ähnlich aufgefaßt werden wie das Wort „kooperativ“. Jedenfalls habe man genug Mittel zur Hand, um die Bauern von der Richtigkeit der zu treffenden Maßnahmen zu überzeugen . . . Diese internen Vorgänge zeigen den wirklichen Stand der Dinge mindestens ebenso deutlich, wie das Schweigen Nehrus zu Ungarn und Tibet.

Man hat demgegenüber wiederholt auf das Exempel Kerala verwiesen, aber gerade dort steht keineswegs alles zum besten! Im Widerstand gegen Nambudiripad und seine Genossen war man sich allenfalls noch einig. Daß der Burgfriede nicht sehr tief reicht, zeigte bereits die Verteilung der Sitze in der gesetzgebenden Versammlung. Die Christen erhielten nach dem Wahlergebnis von den 96 Sitzen statt 34 nur 24, die Moslems statt 26 nur 19, dagegen die Nair und Namibudiri 32 statt 19 und die Ezhava 13 statt 11; andere 6 statt 4. Die Hindugruppen bekamen also 50 von 96 Sitzen, obwohl sie nttP4 ?rb'zerirTäer' SfinSmen beaMüclfen“ konnten.

•'NatüflfciY spielet BeF'der Wahl dieserKandi-daten immer einige Faktoren mit, die nicht gerade demokratisch sind. Also wartete man auf die Verteilung der Ministersessel. Hier hätte einiges wieder geglättet werden können. Aber gerade hier bekamen die Hindugruppen acht Ministersitze, die Christen zwei und die Moslems einen.

Von Demokratie, die man doch so tapfer gegen die Kommunisten verteidigt hat, ist man also noch weit entfernt! Die Hindus betrachten sich immer noch, bewußt oder unbewußt, als die herrschende Klasse. Dazu kommt zudem, daß die Zentralleitung der Kongreßpartei der Moslemliga nicht einmal einen einzigen Ministersessel zubilligen wollte, weil sie kommu-nalistisch sei, das heißt von Gruppenegoismus inspiriert werde. Sicher, die Moslemliga war an der Gründung Pakistans mit all ihren blutigen Nebenerscheinungen maßgebend beteiligt. In Kerala aber hat sie es nie zu irgendwelchen Ausschreitungen kommen lassen, und die Gründe, die Neu-Delhi anführt, sind mehr als fadenscheinig.

Sei's drum, gegenwärtig hofft man also, daß sich die Hindus, einmal im Amt, demokratischer verhalten werden. Allzu viele Gründe hat man freilich nicht dazu, aber immerhin, im Hintergrund steht die furchtbare Gefahr, wenn die kommunistische Herrschaft die streitenden Brüder ein zweites Mal ablösen würde. /

So hat es Nehru nicht leicht, neben diesen kleinlichen Zwistigkeiten im eigenen Lager die großen Probleme anzupacken, den Hunger und das Elend auf der einen und die Hab- und Machtgier mächtiger pressure-groups auf der anderen Seite. Demgegenüber bilden jene Quadratkilometer, die China im Norden eingesteckt hat, zwar eine provozierende Geste, aber den hungernden Mann auf der Straße beunruhigen andere Dinge.

Nehru sieht die Gefahr im eigenen Lande. Er hat sich bereits sehr stark nach links abdrängen lassen. Man ist mit ihm unzufrieden. Die neu gegründete demokratische Svatantra-Party (Freiheitspartei), die in scharfem Gegensatz zu Nehru steht und gerade deshalb großen Zulauf hat, zeigt das nur allzu deutlich.

Bis jetzt konnte die Kongreßpartei tun. was sie wollte, und was sie wollte, bestimmte Nehru. In Zukunft wird das anders sein. Nehrus Glanz ist etwas verdunkelt. Ob zum Segen für sein Land, ist allerdings eine andere Frage ...

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