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„Der falsche Weg“

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WOTRUBA: Was ich bis jetzt nicht begriffen habe, ist, warum die Architekten nicht die Gelegenheit ergriffen haben, bei diesem Wettbewerb mit einem wirklichen Projekt zu zeigen, was sie können. Das lasse ich mir nicht ausreden, daß die Architektenschaft hier ohne Rücksicht auf Häusln und Fenster endlich einmal zeigen hätte können, ob sie überhaupt ein formales Gefühl hat. Diese Gelegenheit war da bei einem Objekt von 20 Meter Höhe.

„DIE FURCHE“: Die Floriani-

kirche ist ja nicht durch ein Naturereignis weggekommen, sondern der Fall hat eine moralische Vorgeschichte

WOTRUBA: Die Kirche war in einem sehr vernachlässigten Zustand. Im letzten Moment ist erst die Architektenschaft eingesprungen, als der Abbruch unvermeidlich war. Man hätte die Kirche mit vielen Millionen herrichten müssen.

„DIE FURCHE“: Gut, aber das Wahrzeichen kostet auch eine Kleinigkeit.

WOTRUBA: Sicher. Zuerst war ich selbst gegen den Abbruch, weil die Kirche in der Straße einen ganz schönen Eindruck gemacht hat. Aber ich habe auch gesehen, was dort für eine Gefahr für den Verkehr war. Also wenn man dort eine Einfahrt braucht — jetzt ist immerhin eine breitere Fahrbahn gewonnen.

„DIE FURCHE“: Diese Breite müßte man im weiteren Verlauf der Wiedner Hauptstraße durch die Bäume und durch die Paulaner- kirche gewinnen. Damit sagt man, daß die auch weggehören.

WOTRUBA: Das weiß ich nicht.

„DIE FURCHE“: Im Planungskonzept Rainers, dessen Grundzüge ja beschlossen worden sind, ist vorgesehen, daß die Wiedner Hauptstraße als Geschäftsstraße — ähnlich wie die Mariahilferstraße — nicht für den Durchfahrtsverkehr herangezogen werden soll, sondern die Prinz-Eugen-Straße.

WOTRUBA: Der Abbruch war aber nicht mehr aufzuhalten. Und wie lange wird ein solcher Widerstand der Architekten dauern? Wir wissen doch, daß die demnächst wieder umfallen werden, bei Wohnbauten und so weiter.

„DIE FURCHE“: Immerhin gab es seit Kriegsende keinen Fall einer solchen Einmütigkeit der Bevölkerung. Die Gemeinde hat sich dieser einhelligen Meinung entgegengestellt. Und die Proteste datieren auch nicht erst vom letzten Jahr, sondern gehen fast zehn Jahre zurück.

WOTRUBA: Das hat einen tief sentimentalen Hintergrund gehabt.

Ich bedaure prinzipiell, daß ein Mann wie der Rainer mit seinen Fähigkeiten nicht mehr gehört wird, daß da leider scheinbar unüberbrückbare Gegensätze entstanden sind, die ich für die Stadt bedaure, weil ein Mann wie der Rainer nicht ersetzt werden kann, jedenfalls nicht so schnell, wenn überhaupt. Dieser Verlust scheint für die städtebauliche Entwicklung Wiens unüberbrückbar.

„DIE FURCHE“: Rainer war entschieden gegen den Abbruch und gegen den Wettbewerb.

WOTRUBA: Das weiß ich. Ich bin mit ihm sehr befreundet, aber wir haben immer noch zwei Meinungen in manchen Dingen. Was man hier mit der Plorianikirche aufgeführt hat, ist reine Sentimentalität, und dagegen stelle ich mich.

„DIE FURCHE“: Der Protest hatte auch eine sachliche Berechtigung. Die Begründung für den Abbruch war der Tunnel — und bis heute steht nicht fest, was in den Tunnel schließlich hineinkommen wird. Ursprünglich hätte es eine Straßenbahnlinie werden sollen, von der man nicht wußte, wie sie am Gürtel und am Karlsplatz weitergehen würde, inzwischen ist die „Ustraba“ zur U-Bahn ausgewachsen, und nun stellt sich heraus, daß durch diesen Tunnel wahrscheinlich nie eine U-Bahn fahren wird, weil eine

U-Bahnlinie durch die Favoritenstraße gehen wird. Dies war der sachliche Grund für den Protest: daß die Kirche nicht einer zusammenhängenden überzeugenden Planung geopfert wurde, sondern einem zufälligen Bauvorhaben.

WOTRUBA: Das ändert nichts daran, daß eine Kirche nicht neben einer eben fertiggestellten neuen stehenbleiben kann, wenn sie nicht ein großes Kunstwerk ist.

„DIE FURCHE“: Warum soll nicht die alte Kirche weiterhin stehenbleiben und vielleicht einem anderen Zweck dienen? Welchen Zweck hat denn das Wahrzeichen?

WOTRUBA: Die Kirche war eben zu groß. Das war doch eine Riesen- kistn. Über andere Dinge regt man sich nicht auf, nicht über die Garnisonskirche, nicht über die Sterngassenhäuser. Der Stephansdom steht heute noch jämmerlich da und niemand regt sich auf über diese fatalen — diese Buden, die da herumstehen. Hier müßten die Architekten sagen: Wir wollen endlich die Unterzone des Doms sehen, wir wollen in den Grundriß hihein- sehen, der eine der wichtigsten Sachen in der Gotik ist. Diese Kirche da oben, die es hundertfach gibt in Österreich und noch lange geben wird, über die regt man sich so auf? Ich versteh’ es nicht.

Die Gemeinde kann machen ,was sie will

„DIE FURCHE“: Entscheidend war nicht der Wert des Bauwerks, sondern der Punkt, wo es war. Jeder Wiener hat gewußt, daß dort mitten auf der Straße eine Kirche gestanden ist.

WOTRUBA: Ich hätte mir gedacht: Wenn schon nichts zu machen ist, dann macht man den Versuch, daß man was Gutes hinstellt. Das könnte doch einen heutigen Architekten interessieren. Ich sehe überhaupt diese Bedenken nicht. Zum Teufel, jetzt ist halt die Kirche weg — was wäre, wenn sie durch eine Bombe zerstört worden wäre?

„DIE FURCHE’: Zunächst wäre die Straße leer geblieben

WOTRUBA: Die Kirche wollte dort auf jeden Fall einen Glockenturm haben. Wenn ich die Gelegenheit habe, muß ich sie nützen und eben in unserem Jahrhundert etwas bauen, was dem Alten gleichkommt. Wenn schon die Unvernunft so groß ist — immerhin war die Gemeinde bereit, jetzt etwas zu machen. Dann hätte man doch sagen sollen: Ihr gebt es zu, gut, wir greifen die Sache auf, wir fangen an. Es ist unsere Stadt, wir wollen das Beste machen. Und was ist geschehen?

Wie ich hineingekommen bin — ich hab’ geglaubt, mich trifft der Schlag. So einen Dreck hab’ ich überhaupt noch nicht gesehen.

„DIE FURCHE“: Glauben Sie nicht, daß jedes solche Wahrzeichen den Makel behalten wird, an der Stelle eines zerstörten Baudenkmals errichtet zu sein?

WOTRUBA: In einem Jahr haben die Leute das vergessen. Wenn ich mich grundsätzlich fragen würde: Wo werden meine Sachen aufgestellt, kann ich mich heute auf- hängen. Mit dieser Methode kommt man nicht weiter. Wenn man schon mit einer Gemeinde arbeiten muß wie der hier, wenn die Gemeinde den Fehler eingesehen hat, wenn sie den Protest zur Kenntnis genommen hat

„DIE FURCHE“: Den Protest hat sie nicht zur Kenntnis genommen. Der war schon vor dem Abbruch da.

WOTRUBA: Ja, aber sie hat ihn insofern zur Kenntnis .genommen, als sie gesagt hat: Wir müssen dort etwas hinstellen, wir können das nicht so lassen.

„DIE FURCHE“: Aber sie hat letzten Endes recht behalten mit den, was sie wollte: dem Abbruch

WOTRUBA: Deswegen sage ich ja: Was für ein Fehler! Die Gemeinde kann als politische Macht zuletzt alles machen, was sie will. Im Prinzip ist sie, wenn sie sich nur kitschiger Mittel bedient, der großen Mehrzahl der Bevölkerung sicher. Ich bin dafür, daß man nicht beleidigt bei der Tür hinausgeht — da muß man retten, was man retten kann. Wenn man eine Chance hat, greift man zu.

Nein, ich verstehe diesen Standpunkt nicht — weil vor allem die Architektur in Österreich nicht so großartig ist, daß sie sich das erlauben kann. Zeigen Sie mir, was da entstanden ist, nach 1945 — in aller Freiheit! Nichts, gar nichts, überhaupt nichts! Die ganzen Gelegenheiten sind verpfuscht worden! Über den Kai redet niemand! Und was noch verpfuscht wird, ist der ganze Karlsplatz! Da, wo zwei, drei Architekten stillschweigend ein Geschäft machen können; da kommt ihr zu spät, meine Herren, da wird das gebaut werden, was Geld bringt. Nach meiner Ansidit müßte man jetzt dort anfangen mit der Gemeinde und eine Gesamtplanung durchführen und nicht ein Häusl nach dem anderen hinstellen.

Man hätte bei diesem Wettbewerb zeigen können, daß man über künstlerische Potenzen verfügt, und hätte jetzt verlangen können, daß von nun an überhaupt mehrere Leute gefragt werden, wenn man ein großes Projekt unternimmt. Das war die Chance.

Was nützen Proteste? Da sagt einer: Verbrennt die Künstler und ihre Kunstwerke; und derjenige, der sagt, das sind Dummheiten, wenn Sie sich dabei auf Albert Schweitzer stützen, der wird dann verurteilt. Also, was wollen Sie in so einem Land? Es war ein Protest, in dem man sich zu sehr auf die Sentimentalität einer Bevölkerung gestützt hat, die man sonst nicht belasten darf mit künstlerischen Fragen. Das halte ich für falsch. Ich verbinde mich nicht bei einer wichtigen Sache mit einer Majorität, von der ich weiß, daß sie midi morgen zum Henker schickt. Künstlerische Probleme werden nicht mit der Masse gelöst. Denn die, die dort hingegangen sind und Kerzen angesteckt haben und so weiter — wenn das ein mieser Bau gewesen wäre, hätten sie’s genauso gemacht. Da waren irgendwelche Gefühle angerührt, sonst nichts. Ich bin nicht der Ansicht, daß das die beste Methode war.

Wenn man mit einer Verwaltung zu rechnen hat, und wenn einem das wichtig ist, was in der Stadt geschieht, dann muß man manche Unzulänglichkeit in Kauf nehmen, aber man muß eine Gelegenheit sofort nützen.

„DIE FURCHE“: Das Ziel war aber gewesen, die Kirche zu retten.

WOTRUBA: Die Kirche war nicht so wichtig. Niemand in der Welt wird sagen, diese Kirche ist un ersetzlich. Ein paar Sentimentale werden das sagen, aber ich sage es nicht. Es war ganz schön, aber es gibt andere Sachen, die fehlen und immer fehlen werden. Und jetzt aber waren die Vertreter der Gemeinde Wien bereit, auf die Suche nach einem erstklassigen Projekt zu gehen.

„DIE FURCHE": Glauben Sie, daß da jetzt ein Gesinnungswandel stattgefunden hat?

WOTRUBA: Um das geht’s hier nicht. Wir hätten jetzt jedes Projekt durchsetzen können, wenn es gut gewesen wäre. Diesmal ja. Das weiß ich.

„DIE FURCHE“: Ja, im Rahmen dieser Ausschreibung. Diese Ausschreibung war sehr begrenzt, sie hat einen Platz von sechs mal sechs Meter vorgesehen, auf den man etwas hinstellen konnte. Dadurch, daß die Kirche weg war und durch die Festlegung dieses Platzes und der Höhe des Objektes ist das städtebauliche Problem praktisch erledigt; es ist dann sozusagen egal, was im Detail dort steht.

WOTRUBA: Das ist nicht egal. Sechs mal sechs Meter ist ein ziemliches Ausmaß, wenn man etwas will, etwas zeigen will.

„DIE FURCHE": Das ist ein plastisches Thema, aber kein architektonisch-städtebauliches mehr.

WOTRUBA: Ich weiß nicht, ob nicht heutige Architektur in so einem Pall, wo sie in voller Freiheit arbeiten könnte, wirklich ein Stück Skulptur geworden wäre. Und umgekehrt — ich hätte an dem Wettbewerb teilgenommen, wenn ich nicht in der Jury gewesen wäre. Vielleicht machen überhaupt die Architekten heute nicht die Architektur, die ich mache — das könnte ich auch sagen. Mir gefällt meine Architektur viel besser als die der meisten Architekten heute. Wo wollen Sie mir denn eine Architektur zeigen, wo es sich lohnt? Die letzte war die von Corbusier. Die plastische Architektur, die machen wir seit langem schon. Wer macht sie denn? Woher kommen die Formen? Die sind ja von uns! Also darüber brauchen wir uns nicht streiten.

Es geht darum, ob Ideen da sind, ob überhaupt fähige Leute da sind. Mir scheint, die Leute haben nicht nur aus Protest nicht mitgemacht, sondern auch weil sie nicht sicher waren, ob sie die Aufgabe bewältigen.

Wenn die Gemeinde Wien einen falschen Weg eingeschlagen hat, dann hat ihn die Architektenschaft ganz anständig weiter verhunzt.

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