6558396-1948_35_03.jpg
Digital In Arbeit

Der Fanfani-Plan

Werbung
Werbung
Werbung

Der italienische Staat hat sich schon seit nahezu 50 Jahren um die Besserung der Wohnungsverhältnisse des Landes bemüht. Er begann damit im Jahre 1908, indem er eine weitgehende Förderung für solche Wohnungsbauten einführte, die von Gemeinden und öffentlichen Körperschaften sowie von Baugenossenschaften und Bauvereinen hergestellt wurden. Grundsteuererlaß auf zehn Jahre, Erleichterung der Belehnungen und Gewährung von Zinszuschüssen waren die ersten Förderungsmaßnahmen. Außerdem gründete man in den größeren Städten, so zunächst in Rom, Neapel, Mailand, Turin, Genua und Venedig, die Istituti per le Case popolari (Institute für Volkswohnhäuser), die, mit besonderen Privilegien ausgestattet, die Aufgabe hatten, Wohnhäuser für minder bemittelte Familien herzustellen und die Wohnungen zu billigen Preisen zu vermieten. Nach der Unterbrechung des ersten Weltkrieges nahmen die örtlichen und provinziellen Institute, etwa 150 an der Zahl, ihre Tätigkeit wieder auf und stellten bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges über 80.000 Wohnungen her, von denen ungefähr die eine Hälfte auf Volkswohnungen und die andere auf Mittelstandswohnungen entfiel. Finanziert wurden diese Wohnungen in der Weise, daß Sparkassen, Volksbanken und andere öffentliche Kreditinstitute die Wohnungsbauten bis zu einer Belehnungsgrenze von 75 Prozent des Bauwertes, ja sogar, wenn der Staat Zinszuschüsse leistete, bis zum vollen Bauwert belehnten. Man stellte vorzugsweise Mietwohnungen in Hochbauten und in wesentlich geringerem Umfang auch Einzelhäuser her, die verkauft oder mit Kaufanwartschaft vermietet wurden.

Unter der Herrschaft des Faschismus wandte sich die Siedlungspolitik auch der Besiedlung des flachen Landes zu, um der Auswanderung der ländlichen Bevölkerung und ihrer Abwanderung in die Städte zu steuern. Für die umfangreichen Meliorationen, Bauarbeiten und Besiedlungen im Mutterlande und in den Kolonien wurden große staatliche Mittel eingesetzt. Am bekanntesten ist die Urbarmachung und Besiedlung der Pontinischen Sümpfe geworden, die im Jahre 1940 mit der Einweihung der fünften und letzten pontinischen Stadt, Pomezia, ihren Abschluß fand. Insgesamt hatte man dort in neun Jahren auf 55.000 Hektar Siedlungsland eine Bevölkerung von 30.000 Menschen in fünf Städten und fünfzehn Dorfgemeinden angesiedelt. Ein noch großzügigeres Projekt für die Herstellung von 20.000 Bauernhöfen auf 500.000 Hektar Land in Sizilien kam nicht mehr zur Ausführung.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges befand sich der Staat in einer so trostlosen Finanzlage, daß an irgendwelchen Einsatz von Staatsmitteln im Wohnungsbau und Siedlungswesen nicht zu denken war. Zu dieser Zerrüttung der Finanzen kamen die schweren Erschütterungen der innerpolitischen Kämpfe, die erst in diesem Jahre mit der Bildung einer stabilen Regierung einen vorläufigen Abschluß gefunden haben. Die Regierung de Gasperi geht nun, nachdem auch der letzte Umsturzversuch mißlungen ist, mit Ernst an die Durchführung der versprochenen sozialen Reformen. Sie ist sich darüber klar, daß diese vor allem der besonderen Struktur des italienischen Volkes entsprechen müssen, die unlängst in einem Aufsatz der „Times“ zutreffend so charakterisiert wurde, daß Italien trotz aller industriellen Entwicklung, ein Volk der Bauern und Handwerker geblieben sei. In ihm habe auch das Industrieproletariat den Zusammenhang mit dem Lande nicht verloren. Schon während des Krieges ließ sich feststellen, daß die städtischen Arbeiter Lebensmittel entweder von eigenem ländlichem Kleinbesitz oder von bäuerlichen Verwandten und Freunden hereinholten und sich damit den ärgsten Ernährungsnöten entzogen. Der gleiche Zusammenhang konnte nach demselben Bericht auch während des Generalstreiks nach dem Attentat auf Togliatti beobachtet werden, als ein großer Teil der Arbeiterschaft der Parole, die Betriebe zu besetzen, nicht Folge leistete, sondern sich statt dessen zur Arbeit auf den eigenen kleinen Grundbesitz begab.

Solchen eigenen Besitz zu schaffen und zu mehren und damit breite Schichten der Bevölkerung aus der besitzlosen Masse herauszuheben, ist der Grundgedanke des vom italienischen Ministerrat beschlossenen Planes zur Schaffung besserer Wohnverhältnisse, der nach dem Namen seines Urhebers, des Arbeitsministers Fanfani, als Fanfani-Plan bezeichnet und vom christlich-demokratischen Teil der Gewerkschaften unterstützt wird. Es ist geplant, innerhalb eines Zeitraumes von sieben Jahren mit einem Kostenaufwand von 350 Milliarden Lire für 3 0 0.0 0 0 Familien 1,2 0 0.0 00 Wohnräume herzustellen. Zugleich hofft man bei diesen Bauten, mehr als 10 0.0 00 Erwerbslose zusätzlich zu beschäftigen. Ein Vergleich mit den oben angeführten Zahlen über die Erfolge der Istituti popolari zeigt die gewaltige Größe der hier gestellten Aufgabe. Bei diesem Plane verläßt man bewußt das bisher vorherrschende System des Baues von großen Miethäusern, um statt dessen im Sondereigentum stehende Kleinhäuser zu schaffen.

Da der Stand der italienischen Finanzen erhebliche Subventionen wie in früheren Zeiten nicht gestattet, sieht der Plan als finanzielle Grundlage einen Bausparfonds vor, zu dem der Arbeiter einen bestimmten Teil der ihm zustehenden Weihnachtsgratifikation und der Privatangestellte und öffentliche Beamte einen gewissen Teil des ihm zustehenden 13. Monatsgehalts beitragen soll. Die Höhe dieser Beiträge soll je nach der besonderen Lage des beisteuernden Familienoberhaupts (Kinderzahl und anderes) gestaffelt werden. Ob diese Leistungen freiwillig oder auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung aufgebracht werden sollen, bedarf noch der Klärung. Jeder Sparer erhält in Höhe seiner Leistung Wohnungsgutscheine, die der Staat mit fünf bis sechs Prozent verzinsen wird. Die Arbeitgeber sollen gesetzlich verpflichtet werden, ein bis zwei vom Hundert der ausgezahlten Löhne an den Fonds abzuführen, ohne daß hier eine Verzinsung oder Gutschrift stattfindet. Alljährlich sollen die Wohnungen, die man mit den Fondsmitteln hergestellt hat, ausgelost und verteilt werden. Wer dann innerhalb der sieben Jahre bei den Auslosungen nicht zum Zuge gekommen ist, erhält den vollen Nennwert seiner Wohnungsgutscheine zurück vergütet.

Dies sind die allgemeinen Umrisse des Plaines, der' in seiner Großzügigkeit alle Wohnbäiiförderungsaktionen der Vergangenheit in den Schatten stellt. Er -beruht auf einem Zusammen wirken von Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Aufbringung de'f Mittel. Von ihnen haben die beiden ersteren verlorene Zuschüsse zu leisten; der Staat in den Zinszahlungen auf die Arbeiterbeiträge und die Arbeitgeber mit der Gesamtheit ihrer Beiträge, während die Arbeiter und Beamten sich nur für einen bestimmten Zeitraum und gegen eine normale Verzinsung der Verfügung über einen Bruchteil ihres Einkommens entäußern sollen. Sie erhalten den Gegenwert ihrer Leistungen in deren Gutschrift beim Erwerb derWoh- nung oder aber in der Rückvergütung ihrer Guthaben nach dem Ablauf von sieben Jahren.

Bei näherer Betrachtung wird man finden, daß hier der Gedanke der Gemeinschaftshilfe im Bausparen in einem, bisher nicht dagewesenen Umfang und nach,einem ganz neuen System verwirklicht werden soll. Man hat durch Befristung der Spar- und Wartezeit und durch die dann erfolgende Rückzahlung nicht verwerteter Guthaben dem Übelstande vorgebeugt, daß ein großer Teil der Bausparer eine unübersehbare. Zeit auf Zuteilung warten muß, ein Übelstand, der beim Bausparen soviel Mißvergnügen erregt und zur Diskreditierung gewisser Bausparkassen geführt hat. Über die Einzelheiten der Durchführung liegen Nachrichten noch nicht .vor, es wird hier natürlich an organisatorischen Schwierigkeiten nicht fehlen; so muß beispielsweise für den Fall, daß der Wohnungsbewerber, der während der Sparzeit in den Besitz eines Hauses gelangt ist, stirbt oder arbeitslos wird, Vorsorge getroffen werden und vieles andere mehr. Aber das sind technische Details, die auf die eine oder andere Weise nach vorhandenen Vorbildern .des Bausparkassenwesens gelöst werden können.

Man wird besonders darauf gespannt sein, können, ob es sich hier um einen freiwilligen Zusammenschluß oder um ein Zwangssparen handelt. Es ist klar, daß die politischen Gegner der Regierung mit allen Mitteln gegen den Fanfani-Plan Sturm laufen werden. Sie werden ihre Opposition, falls der Weg des Zwangssparens gewählt wird, ohne Zweifel damit begründen, daß es sich hier um nichts anderes als um einen Anschlag auf das Einkommen . der arbeitenden Klasse und eine neue Besteuerung handle. Bedenken von anderer Seite, richten sich gegen die technische Durchführbarkeit. Nun ist der Bau von 40.000 Familienwohnungen jährlich keine so ganz außerordentliche Leistung. Man hat vergleichsweise in Deutschland in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in einigen Jahren, mehr als 300.000 Wohnungen jährlich gebaut. Es muß nur dafür gesorgt werden, daß das Bauprogramm von fachkundigen Trägern durchgeführt wird und die entstehende Anspannung des Baumarktes nicht zur Erhöhung der Materialpreise und der Löhne führt, wie das bei einer Übersteigerung staatlich subventionierter Bauten vielfach der , Fall war.

Was man aber auch immer einwenden mag, man wird nicht umhin können, die Kühnheit und Großzügigkeit des Planes zu bewundern. Er entspringt jener strengen Auffassung der Demochristiani von der Notwendigkeit sozialer Reformen, -über die in dem Aufsatz über Italiens christliche Demokratie („Furche“ Nr. 33) berichtet worden ist. Der Arheitsminister Fanfani steht in der vordersten Reihe dieser Reformbewegung, für die die Erkenntnis richtunggebend ist, der Schiller in „Wallensteins Lager“ so unübertrefflich Ausdruck verliehen hat:

„Etwas muß er sein eigen nennen,

Oder der Mensch muß morden und brennen." So will auch der Fanfäni-Plan die s o- ziale Schicht der landsässigen und ein Eigenheim besitzenden Arbeiter und Angestellten verstärken und sie aus der besitzlosen Masse herausheben. Zur sozialen Befriedung soll auch der Arbeiter am heimischen Boden Anteil erhalten und es soll ihm und seiner Familie in einer einwandfreien Wohnung jener bescheidene Lebensraum gewährt werden, der ihm das Leben lebenswert fnächen soll.

Es sind die gleichen Gedankengänge, die in Deutschland in der Zeit der. großen Erwerbslosigkeit den Plan der Kleinsiedlung ins Leben gerufen und zu einem schönen Erfolge geführt haben. Ich entsinne mich noch einer Unterhaltung, die ich damals in kleinem Kreise mit dem bekannten Botschafter Frankreichs, Franęois Poncet, hatte, der auch für alle innerdeutschen Probleme einen offenen Blick und ein hervorragendes Verständnis zeigte. Er bezeichnete das Gesetz über die : Erwerbslosensiedlung, das die Grundlage für die Kleinsiedlung wurde, als das bedeutsamste, das in jener Zeit erlassen worden sei, weil es auf die soziale Struktur Einfluß übe. Es seien, wie er sagte, die arbeitenden Klassen Frankreichs in Krisen-

Zeiten durch zwei Faktoren am wirksamsten gegen Verelendung geschützt; einmal dadurch, daß sie zum großen Teil Land und Eigenheim besäßen, und zum andern dadurch, daß sie über fachliche Kenntnisse in verschiedenen Handwerken verfügten und dadurch nicht an einen einzigen Beruf gefesselt wären. Der beste Rückhalt sei aber immer Heim und Land.

Man wird dem italienischen Volke von Herzen wünschen, daß der im Fanfani-Plan gewiesene Weg bei aller gebotenen Vorsicht zur Vermeidung von Fehlschlägen mit jenem Eifer und Erfolg beschritten werden möge, den die hohe ethische Zielsetzung der Planung verdient.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung