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Der Feiertag

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Das Bundesgesetz über den Nationalfedertag wurde im Vorjahr am

25. Oktober, am Vorabend des Tages beschlossen, an dem vor damals zehn Jahren die immerwährende Neutralität zum Gesetzesbeschluß erhoben wurde; seit dem Wiedererstehen Österreichs waren es schon zwanzig Jahre.

Es ist eigentlich verwunderlich, daß es zur Beschlußfassung über den Nationalfeiertag so lange gedauert hat. Denn eindeutig kann festgestellt werden, daß die Voraussetzungen, einen Nationalfeiertag zu begehen, in dem neu erstandenen Österreich andere sind als in der Ersten Republik.

• In der Ersten Republik fehlte es weitgehend an einem Bekenntnis zu dem damals neu entstandenen Staat. Man sprach daher auch später von einem Staate, den niemand wollte. Typisch ist der Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vom 12. November 1918, der bestimmte: „Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.“ Selbst die Abgeordneten konnten sich einen selbständigen Bestand Österreichs nicht vorstellen.

Wie anders war die Einstellung im neuerstandenen Österreich im Jahr 1945. Die Proklamation der politischen Parteien vom 27. April, die sogenannte Unabhängigkeitserklärung, bestimmt im Artikel I: „Die demokratische Republik Österreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten.“ Der Artikel II bestimmt: „Der im Jahre 1938 dem österreichischen Volke aufgezwungene Anschluß ist null und nichtig.“

• In der Ersten Republik fehlte der Glaube an die Lebensfähigkeit des neuen Staates. Geradezu als Dogma galt der Satz: Österreich ist nicht lebensfähig. Nur wenige waren es, die sich bemühten, die Österreicher aus dieser Lebenshaltung herauszureißen. Der Erfolg dieser Bemühungen war gering.

Wie anders war doch die Einstellung 1945 im wiedererstandenen Österreich! Trotz der ungeheuren Vernichtungen und Zerstörungen und trotz der zunächst sehr geringen Anzeichen für die Möglichkeit eines baldigen Wiederaufstieges! So unwahrscheinlich es zunächst schient Man glaubte an das neuerstandene Österreich und an seine Zukunft. Selbst solche, die an dem Untergang Österreichs mitgewirkt hatten, bemühten sich, mit dabei sein zu können, als es galt, die Existenz des neuen Österreich und seiner Menschen wieder aufzubauen.

• In der Ersten Republik bestand eine tiefe Kluft zwischen den beiden großen Gruppen der Bevölkerung, zwischen dem christlichen und dem sozialistischen Lager. Diese Kluft machte sich auch im täglichen Leiben bis in die kleinsten Ortschaften bemerkbar. Es gaib regelmäßig militärische Aufmärsche der beiden feindlichen Lager. Die staatlichen Stellen hatten die größte Mühe, Zu sammenstöße zu vermeiden. Schließlich kam es aber doch zu einem regelrechten Bürgerkrieg.

Auf Grun'd der bösen Erfahrungen, auch in der Zeit des nationalsozialistischen Machtregimes, verstand man es nach 1945, nicht mehr in erster Linie das Trennende zu sehen. Man war bemüht, in gemeinsamer Arbeit die schwierigen Aufgaben zu lösen, die in reicher Fülle gestellt waren. Es kostete viel gemeinsames Bemühen, um Fortschritte zu erzielen auf den Gebieten des staatlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens. Nicht nur die gemeinisame Not, sondern auch die Tatsache der vierfachen Besetzung waren für uns ein strenger Lehrmeister, der uns beibrachte: Es geht besser mit einander als gegeneinander.

Ja, es ist eigentlich verwunderlich, daß nicht schon anläßlich des Staatsvertrages und des Beschlusses über die immerwährende Neutralität, wodurch die erfolgreiche Arbeit des ersten Jahrzehntes im wiedererstandenen Österreich abgeschlossen wurde, das Bedürfnis bestand, des Erreichten in einem gemeinsamen Nationalfeiertag zu gedenken. Liegt der Hauptgrund hierfür nicht darin, daß man sich über den Tag, an dem der Nationalfeiertag begangen werden sollte, nicht einigen konnte? Strittig waren zwischen den beiden Lagern der Regierungsparteien mit den verschiedenen Dafür und Dagegen vor allem folgende Termine: der 12. November als der Gründungstag der Ersten Republik, der 27. April als der Tag der Unabhängigkeitserklärung des wiedererstandenen Österreich, der 1. Mai als der Tag der Arbeit, der 15. Mai als der Tag des Abschlusses des Staatsvertrages und der 26. Oktober als der Tag der Beschlußfassung über die immerwährende Neutralität.

Es hat zwanzig Jahre seit dem Bestand des neuen Österreich und zehn Jahre seit dem Abschluß des Staatsvertrages und seit dem Gesetz über die immerwährende Neutralität gedauert, bis im Parlament das Gesetz über den Nationalfeiertag beschlossen wurde. Heuer wird noch beschlossen werden, daß der Natio nalfeiertag zunächst für heuer als arbeitsfreier Tag gilt, da ein Großteil der Bevölkerung der Auffassung ist, daß nur in diesem Fall der Feiertagsrang eines Nationalfeiertages entsprechend anerkannt wird.

Im Vorjahre wäre es zu dem Gesetz über den Nationalfeiertag nicht gekommen, wenn nicht unter Führung des österreichischen National- institutes breite Schichten der Bevölkerung auf die Unmöglichkeit der Tatsache verwiesen hätten, daß selbst in dem Jahre, in dem der zwanzigjährige Bestand des neuen Österreich gefeiert wurde, die Frage des Nationalfeiertages immer noch nicht geklärt ist.

Es ist zweckmäßig, daß alle, die in der Frage des Nationalfeiertages initiativ waren, sich nun darum bemühen, daß das Verständnis für ein richtiges Begehen des Nationalfeiertages immer stärker wird. Es ist vor allem wichtig, den breiten Schlichten der Bevölkerung und insbesondere auch der Jugend immer mehr lebendig zu machen, wie sinnvoll es ist, den Nationalfeiertag nicht nur als einen Gedenktag für das gemeinsame Vaterland Österreich, für seine Republik und unsere demokratische Zusammenarbeit zu begehen, sondern insbesondere auch lebendig zu machen, wie der von uns gewählte Status der immerwährenden Neutralität unserer österreichischen Mentalität entspricht und geeignet ist, auch für die Zukunft unser Wirken sinnvoll zu gestalten.

In diesem Zusammenhang soll in Erinnerung gebracht werden, was zu der von uns beschlossenen immerwährenden Neutralität von berufener Seite ausgeführt wurde:

Bundeskanzler Ing. Julius Raab hat in der Sitzung des österreichischen Nationalrates vom 26. Oktober

1955 zur Neutralitätserklärung unter anderem ausgeführt:

„Der Staatsvertrag hat für Österreich zum ersten Male seit der Gründung der Republik im Jahre

1918 die Möglichkeit einer wirklich aktiven und konstruktiven Außenpolitik eröffnet. Für diese Außenpolitik wird unsere Neutralität die neue, zukunftreiche und dauernde Grundlage dar stellen. Wenn diese Neutralität im vorliegenden Gesetzentwurf als immerwährend bezeichnet wird, so ist dies von ausschlaggebender Bedeutung. Unsere Neutralität ist keine provisorische, widerrufliche Beschränkung unserer Souveränität, die wir etwa unter dem Zwang der Verhältnisse widerstrebend auf uns genommen haben, sondern die dauernde Basis für eine Außenpolitik, die unserer Zukunft Frieden und Wohlstand gewährleisten soll.“

„Mit dem heutigen Tag wird der Unterschied gegenüber der seelischen Verfassung des österreichischen Volkes im Jahre 1918 voll sichtbar: das österreichische

Volk bejaht heute einmütig seinen Staat. Das österreichische Selbstbewußtsein hat sich — trotz oder gerade infolge der zahlreichen erlittenen Unbilden — bis zu einem eigenständigen, österreichischen Nationalbewußtsein gesteigert.“

In der Regierungserklärung des Kabinetts Raab II hat dieser namens der ganzen Regierung in der Nationalratssitzung vom 4. Juli 1956 unter anderem wörtlich erklärt:

„In unserem Lande war neben dem Einfluß der deutschen Kultur ebenso der des romanischen Raumes fühlbar, welcher besonders in der Baukunst spürbar wurde. Italienische Meister schufen gerade auf österreichischem Boden unsterbliche Werke. Und als dritte große Komponente unseres Volkscharakters ist der slawische — sowohl der nord- wie der südslawische — Einfluß in unserem Lande zu verzeichnen. Österreich liegt somit als einziger europäischer Staat im Schnittpunkt der drei großen Kulturräume, deren Einflüsse sich immer geltend machten und auch heute noch spürbar sind.“

„Die Auswirkungen dieser drei großen Kulturkreise, die den alten Kontinent und seine Menschen beherrschen, haben den Österreicher geformt und haben unserem Vaterland die große Aufgabe zugewiesen, aus gleichender Faktor zu sein."

Übersehen wir nicht, daß ein geordnetes Staatswesen, insbesondere auch ein Staatsvolk, Symbole benötigt, in denen das Zusammengehörigkeitsbewußtsein und seine Einheit zum Ausdruck kommen. Dazu gehören neben der Funktion des Staatsoberhauptes besonders die Fahne mit den Staatsfarben und neben der Bundeshymne insbesondere auch der Nationalfeiertag. Nützen wir die Möglichkeiten, die in der Feier des Nationalfeiertages gegeben sind, um in allen Österreichern das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu stärken und damit die Grundlagen für eine weitere vernünftige Zusammenarbeit zu festigen.

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