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Der Feiertag der Spekulanten

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In Florida sitzt in seiner Traumvilla — die er für 250.000 Dollar erworben hat — der Ex-diktator von Venezuela, Perez Jimenez, recht unruhig, da er von der Ausweisung bedroht ist. Als er am 23. Jänner 1958 gezwungen wurde, Venezuela zu verlassen, flog er mit seiner Familie und Gefolge davon, ließ aber eine Staatsschuldenlast von eineinhalb Milliarden Bolivar oder zwölf Milliarden Schilling zurück.

Den größten Teil hiervon haben amerikanische, europäische, aber auch inländische Firmen zu fordern, die zu günstigen Bedingungen staatliche Bauaufträge übernommen hatten. Ein Großteil hiervon waren reine Luxusbauten, zum Nachruhm des Diktators bestimmt. Nur die teuerste Autobahn der Welt, die die Hauptsadt Caracas mit dem Meer und dem Flughafen verbindet, kann hiervon ausgenommen werden. Als Beispiel eines reinen Repräsentationsbaus mag das ganz aus Glas errichtete fünfzehn Stock hohe Luxushotel auf dem Avilagipfel, dem Hausberg von Caracas, dienen. Eine Seilbahn befördert den Reisenden von 1000 Meter Stadthöhe auf den 2500 Meter hohen Berg zur oberen Station. Eine anschließende, fast ebene elektrische Straßenbahn führt zum Hotel. Dort gibt es einen gedeckten Eislaufplatz für die Gäste, einzig dastehend in den Tropen. Auf der Seeseite des Berges läßt eine zweite Seilbahn den Reisenden — der das Hotel zu Fuß nicht verlassen darf — zum Meer hinabschweben. Eine Kette von weiteren Luxusbetrieben in der Provinz — red hotelera de Conahotu — kann nur durch Subventionen in Betrieb erhalten werden.

So wurde im ganzen Land eine Scheinblüte erzeugt, ein Zustrom von Fremden brachte neue Konsumenten, auch privates Kapital baute „apartementos“ für die Neuankömmlinge. Die Höhe der staatlichen Schuldenlast, von der man bisher nur geflüstert hatte, wurde erst klar, als mit der Person des Verschwenders sich auch der letzte Rest in der Staatskasse verflüchtigte. Die Junta, die bis zu der übrigens echten, freien Wahl des jetzigen Präsidenten Don Romulo Betancourt, durch ein Jahr regierte, mußte daher die gesamte Bautätigkeit des Staates sowie die Subventionierung einstellen; ihm folgte die Unternehmerseite. Schlechter Geschäftsgang, Unruhen politischer und sozialer Art, Arbeitslosigkeit war die Folge. So hatte der neue Präsident, als er im Jänner 1959 sein Amt antrat, auch die undankbare Aufgabe, das Vertrauen in die finanzielle Gebarung des Staates wiederherzustellen.

Gerüchte, die sich immer als unwahr erwiesen und auch offiziell sofort dementiert wurden — vielleicht auch von den Anhängern des vertriebenen Diktators böswillig ausgestreut wurden —, wollen von einer drohenden Abwertung des Bolivärs, einem Devisenausfuhrverbot, einem durch Geldknappheit hervorgerufenen Bankenkrach wissen. Ängstliche verschoben riesige Summen ins Ausland und riefen damit bei den Banken, die sonst in Einlagen schwimmen, Geldknappheit und strengere Kreditnormen hervor. Um diesem Treiben ein Ende zu machen, wurde am 20. November 1959 die Einfuhr von Luxusgütern von einer Lizenzbewilligung abhängig gemacht, diese Verordnung aber am 10. Dezember 1959 wieder aufgehoben und der Einfuhrzoll für Luxusgüter mehr als verdreifacht. Zu den betroffenen Waren gehört jedes alkoholische Getränk, insbesondere auch Whisky, in den Tropen mit Eis so beliebt wie bei uns der Wein. Durch die Zollerhöhung gedachte die Regierung nicht nur den Alkoholgenuß einzuschränken, ihn zumindest auf einheimische Getränke abzulenken, sondern auch die Flucht von etwa zehn Millionen Dollar jährlich zu verhindern.

Schon während des ganzen Jahres 1959 hatte man von einer Zollerhöhung für Importe gesprochen, es war ein offenes Geheimnis, daß die bezügliche Verordnung jeden Tag erscheinen könne. Daher vermehrten die Spekulanten aller Warengattungen ihre Einkäufe im Ausland derart, daß der Finanzminister Dr. Mayobre ein stetes Absinken in den Devisenreserven feststellen mußte. Bestellungen von hunderttausend Liter Whisky waren bei Großkaufleuten keine Seltenheit. Das Resultat war, daß diese das Weihnachtsfest 1959 mit einem Lager von zwei Millionen Liter Whisky in einer Stadt von knapp einer Million Einwohnern erwarteten.

Am Tag der Erhöhung der Zollsätze erhöhten die Großverkäufer prompt den Whiskypreis um den Zollsatz, den sie nie bezahlt hatten, noch bezahlen werden. Ihr Vorrat reicht bei der zu erwartenden Konsumeinschränkung für länger als die exorbitanten Zollsätze vermutlich in Geltung stehen werden. Man hat ausgerechnet, daß der Großhandel in Whisky einen Sonderprofit von rund 50 Millionen Bolivar oder 400 Millionen Schilling einstecken wird, was einem Durchschriittsverdienst von 15 Jahren entspricht. „EL MOMENTO“, die größte Revuezeitung der Hauptstadt, hat daher vorgeschlagen, den Erscheinungstag der Verordnung zum Feiertag der Spekulanten zu erklären.

Eine rechtzeitige Bestandsaufnahme beim Großhandel und Abstempelung der Vorräte — wie in Argentinien — hätte zumindest das Ein 6 strejetiefc'de^übergroßen^Profi,vwhiwdBrtJ'h \o. “ -“ioiki Isrrftlsnsrrj' stH^c Ast rtsafursBUß Jibt

In den 28 Geschäften von Caracas, die Singvögel verkaufen, ist es still geworden. Die; Käfige sind leer, nur die Inhaber singen vielleicht, vor — Wut. Mehr als 200 Kanarienvögel singen aber wirklich im Zollager von Maiquetia, aber nicht vor Freude, daß sie nach Venezuela kamen, ordnungsgemäß mit allen Papieren versehen, sondern aus — Hunger. Sie, Kampfhähne aus Kuba, Rassehunde aus Europa, wurden von den Empfängern nicht ausgelöst, da sie kein Tier zu den um den neuen Luxuszoll erhöhten Preis verkaufen können. Ein paar kleine kubanische Papageien kosten jetzt statt 100 Schilling 1600 Schilling, gewöhnliche grüne Sittiche („cotorras“) 16.000 Schilling.

Caracas hat unter einer Million Einwohner mehr als 200 Millionäre. Die Geschichte des Aufstieges dieses Landes ist ein Märchen. Seine Devisenreserve betrug laut Ausweis 1957 vier Milliarden Bolivar. Der natürliche Reichtum Venezuelas ist enorm.

Was Europa nach der Zerstörung zweier Weltkriege gelang, soll dem reichen Venezuela, in stetem Frieden lebend, nicht gelingen? In der Kammer der Deputierten wies Dr. Domingo Rangel auf Grund von Daten und Zahlen der „banco central“ von Venezuela, nach, daß die wirtschaftliche Situation des Landes 1959 in jedem Sinne besser als die von 1958 gewesen war. Dennoch sind gewisse Krisenerscheinungen nicht abzuleugnen. Die Regierung hat begriffen, daß ihnen abgeholfen werden muß. Die Regierungskoalition unterstützt die Aufnahme einer Investitionsanleihe. Vor allem ist die Agrarreform, zweimal beschlossen und immer durch Revolution beseitigt, durchzuführen, der Wirtschaftsfrieden gegen rechts und links zu sichern und so die Arbeitslosenfrage zu lösen.

War 1959 das Jahr der Krisen, das die politische Frage entschied, wird 1960 für die wirtschaftliche Entwicklung maßgebend sein: Der politische Sieg allein bringt keine Lösung des bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Konflikts. Von ihr hängt auch die Dauer der erreichten politischen Entwicklung ab.

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