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Der Freund des Generals

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Es mag selten vorkommen, daß der Tod eines bedeutenden engagierten Mitbürgers so einstimmig bedauert wird wie der des Nobelpreisträgers Francois Mauriac. Selbst die Kommunisten, die in dem katholischen Dichter einen erbitterten Gegner gefunden hatten, grüßten in Francois Mauriac eine noble Persönlichkeit der Literatur, einen Schriftsteller, der durch seine Romane und Theaterstücke die untergehende Welt des Großbürgertums profiliert geschildert hatte. In den Nekrologen, Fernsehsendungen und Beileidskundgebungen wurde jedoch nicht nur ein Dichter gefeiert, den man im gleichen Atemzug mit Gide, Proust, Claudel und Valery nennt. Die französische Öffentlichkeit weiß, daß mit Mauriac ein Schriftsteller einmaligen Ranges von dieser Erde geschieden ist, der durch Jahrzehnte das literarische Denken der Nation befruchtet hat. Eigenartigerweise wurde jedoch nicht das literarische Oeuvre des Romanciers untersucht, das seit langem einen gebührenden Platz einnimmt und zum Bestandteil des künstlerischen Ausdruckes Frankreichs im 20. Jahrhundert zählt. Die Kommentare beschäftigten sich weit ausführlicher mit dem Polemiker, dem politischen Philosophen, dem Gaullisten strengster Observanz, der als Gewissen der Nation aufgetreten ist.

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Es mag selten vorkommen, daß der Tod eines bedeutenden engagierten Mitbürgers so einstimmig bedauert wird wie der des Nobelpreisträgers Francois Mauriac. Selbst die Kommunisten, die in dem katholischen Dichter einen erbitterten Gegner gefunden hatten, grüßten in Francois Mauriac eine noble Persönlichkeit der Literatur, einen Schriftsteller, der durch seine Romane und Theaterstücke die untergehende Welt des Großbürgertums profiliert geschildert hatte. In den Nekrologen, Fernsehsendungen und Beileidskundgebungen wurde jedoch nicht nur ein Dichter gefeiert, den man im gleichen Atemzug mit Gide, Proust, Claudel und Valery nennt. Die französische Öffentlichkeit weiß, daß mit Mauriac ein Schriftsteller einmaligen Ranges von dieser Erde geschieden ist, der durch Jahrzehnte das literarische Denken der Nation befruchtet hat. Eigenartigerweise wurde jedoch nicht das literarische Oeuvre des Romanciers untersucht, das seit langem einen gebührenden Platz einnimmt und zum Bestandteil des künstlerischen Ausdruckes Frankreichs im 20. Jahrhundert zählt. Die Kommentare beschäftigten sich weit ausführlicher mit dem Polemiker, dem politischen Philosophen, dem Gaullisten strengster Observanz, der als Gewissen der Nation aufgetreten ist.

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Mauriac war kein bequemer Gegner und hat mit unnachsichtiger Schärfe und unter Mißachtung christlicher Nächstenliebe seine Feinde zu treffen gesucht. Er führte damit die Traditionen der christlichen Polemiker des 19. Jahrhunderts weiter, die im Kampf gegen einen grenzenlosen Liberalismus und einen militanten Antiklerikalismus die Positionen der Kirche verteidigten. Der Kultusminister Michelet unterstreicht die bedeutende Rolle, welche Francois Mauriac in der Versöhnung zwischen Katholiken und der Republik gespielt hat. Der französische Katholizismus der Jahrhundertwende, beherrscht vom Großbürgertum und einer engen Kaste führender Offiziere, sah in der republikanischen Staateform eine Verneinung der katholischen Überlieferungen des Landes. Diese stolzen Bürgerfamilien und die Land-ardstokratie huldigen erzkonservativen, ja man kann beinahe sagen reaktionären Ideen.

Die Entfremdung der Arbeiterklasse gegenüber Nation und Kirche wurde von dieser Schicht einfach nicht zur Kenntnis genommen. Es waren die frühen christlichen Demokraten, und darunter wieder der Begründer der Zeitschrift „Sillon“, Marc Sagnier, die eine revolutionäre Sozialpolitik verkündeten und die Grundlagen für eine endgültige Aussöhnung zwischen Katholiken und Republik legten. Mauriac war Schüler Marc Sa-gniers, aber gehörte in der Vierten Republik zu den schärfsten Kritikern der christlich-demokratischen Staatspartei MRP. Seiner Meinung nach begingen die Volksdemokraten schwere Gewissenssünden, indem sie ihr ursprüngliches Programm verraten hätten und konservative Neigungen förderten. Als Zielscheibe seiner Angriffe diente ihm der mehrmalige Außenminister Georges Bi-dault, den er für alle Sünden der Kolonialpolitik, besonders für die Absetzung des marokkanischen Sultans, Mahommed V., verantwortlich machte.

Die christlich-demokratische Partei hatte in vollständiger Unkenntnis der überseeischen Probleme die Leitung dieses Ressorts übernommen. Einerseits bekannte sie sich zu der Emanzipierung der bisherigen Kolonialvölker, anderseits wagte sie keine endgültigen Schritte, da ihre Wähler im wesentlichen dem nationalistischen Bürgertum entstammten.

So wurde eine Kolonialpolitik mit halben Mitteln und schlechten Methoden in die Wege geleitet, die von den sogenannten Ultras inspiriert wurden und in keiner Weise dem christlich-demokratischen Konzepl von Freiheit und Würde entsprachen. Mauriac hat immer wieder seine Stimme erhoben und ist für die Rechte der Marokkaner, Algeriei und Tunesier eingetreten. Als Nobelpreisträger besaß er wohl genügend geistiges Prestige, um solche Angriffe gegen die Kolonialpolitik zu starten, aber die Zeitschriften, welche seine Artikel veröffentlichten, wurden des öfteren beschlagnahmt. Er bewies gleichen Mut in der Verteidigung der wegen Kollaboration angeklagten Intellektuellen und Schriftsteller und unternahm alles, um das anerkannte Talent der jüngeren Generation, Robert Brasillach, zu retten. Dieser Poet war ein energischer Verkünder der nationalsozialistischen Rassenthesen geworden, aber Mauriac betrachtete ihn als ein literarisches Genie und forderte gemeinsam mit namhaften Persönlichkeiten des Pariser literarischen Lebens die Begnadigung Brasülachs, die jedoch vom provisorischen Staatschef Charles de Gaulle abgelehnt wurde.

Im zweiten Band seines monumentalen Werkes „Histoire de l'Epu-ration“ schildert der Zeithistoriker

Robert Aron die tagelangen Anstrengungen des Dichters, um seinen jungen Kollegen vor dem Letzten zu bewahren. Der Kritiker und unerbittliche Polemiker war nach Aussagen Thierry Maulniers ein Mann mit Herz. Mauriac gehörte zu den unbedingten Verteidigern der staatlichen Ordnung in der Fünften Republik und griff mit Vehemenz die putschenden Generäle in Algerien an, verdammte ihre Methoden der Kniegsführung und Folterung und prangerte das verbrecherische Treiben der Geheimarmee OAS an. Trotzdem zögerte er keinen Augenblick, um für den zum Tode verurteilten General Jouhaud das große Pardon des Staatschefs zu erlangen.

Francois Mauriac hatte seit Ende des Krieges nach jenem Politiker Ausschau gehalten, der in der Lage wäre, das leidige Kolonialerbe zu liquidieren. Vorübergehend glaubte er in Mendes-France jenen Staatsmann zu erkennen, der genügend Kühnheit besäße, um den Rückzug aus dem überseeischen Imperium einzuleiten. In diesen Jahren entwickelte Mauriac höchste Talente als politischer Journalist in der von Jean-Jacques Servan-Schreiber geleiteten Wochenschrift „Express“. Mit diesem weitaus jüngeren Mann verband ihn eine echte Freundschaft, und obwohl Servan-Schreiber schließlich Chef der Opposition wurde, hat er ihm bis zuletzt moralische Unterstützung gewährt Die grenzenlose Diebe Mau-riaos gehörte Charles de Gaulle, in dem er dem größten Staatsmann der Gegenwart zu begegnen glaubte. Der Begründer der Fünften Rapublik hat wiederum in Francois Mauriac den bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart erkannt, den er maliziös sogar dem treuen Parteigänger Mal-raux vorzog. Die Bewunderung Mau-riacs für de Gaulle ist beinahe mystischer Natur gewesen, und der Dichter hat physisch unter dem Ausgang des Referendums von 1969 gelitten.

Im Tod ist ihm sein großes Idol nachgefolgt Beide starben im Jahr 1970.

„Wie wird es jetzt langweilig sein“, klagten sogar die Zeitungen und Zeitschriften der Linken, „nachdem unser beliebtestes Angriffsziel verschwunden ist.“ Mauriac war ein aufrechter Vertreter eines scharf-profilierten politischen Journalismus und zögerte nicht, für seine Ideen auf die geistigen Barrikaden zu steigen. Man wird kaum die Geschichte der Vierten und Fünften Republik begreifen, wenn man nicht die Sammlungen der „Bloc-Notes“ studiert, die er seit 1948 zuerst in der Zeitschrift „Table Ronde“, dann Im „Express“ und ab 1961 im „Figaro Litteraire“ veröffentlichte. Mauriac kommentierte in pointierter Form wöchentlich die geistigen, politischen und literarischen Ereignisse Frankreichs und der Welt und hat damit dem kämpfenden Journalismus ein Denkmal gesetzt, das vielleicht seine Romane und Theaterstücke überdauern wird.

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