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Der Führer der „Schwarzen Hand“ enthüllt

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„Den Rade Malobabic habe ich als Chef der Nachrichtenabteilung des großen Generalstabes damit betraut, mir ein Nachrichtennetz in Oesterreich-Ungarn zu organisieren; er hat diese Aufgabe übernommen. Ich tat dies im Einvernehmen mit dem russischen Militärattache Artamanov, der sich mit ihm persönlich in meiner Anwesenheit traf. Malobabic hatte schon seine Tätigkeit begonnen, als ich, in der festen Meinung, daß sich Oesterreich zum Krieg gegen uns rüste, den Gedanken faßte, daß durch Beseitigung des Thronfolgers Franz Ferdinand die Kriegsströmung und die Kriegspartei, an deren Spitze er stand, ihre Stärke verlieren werde und damit die Kriegsgefahr von Serbien abgewendet oder wenigstens etwas vermindert würde. Deswegen betraute i c h den Rade Malobabic damit, mir ein Attentat auf ihn anläßlich der Anwesenheit Franz Ferdinands in Sarajewo zu organisieren. Hierzu entschloß ich mich erst endgültig, nachdem mir Artamanov die Versicherung gegeben hatte, daß uns Rußland nicht ohne Schutz lassen werde, falls uns Oesterreich angriffe. Artamanov teilte ich nichts von meinen Absichten betreffend das Attentat mit. Malobabic führte meinen Auftrag durch, organisierte und leitete das Attentat. Die Hauptteilnehmer am Attentat waren alle meine Agenten und erhielten kleine Honorare, die ich ihnen über Rade zukommen ließ. Einige ihrer Quittungen befinden sich in russischen Händen. Ich erhielt das Geld für diese Grenzarbeit nämlich in der ersten Zeit von A r tamanov, denn der große Generalstab hatte noch keinen Kredit für diese erweiterte Arbeit —“

Bewußt verbirgt diese Aussage die Zusammenhänge der Verantwortlichkeit für den verbrecherischen Anschlag gegen den Erzherzog- Thronfolger. Der Mord war eben nicht nur das Werk eines kleinen Verschwörergrätzels, es waren sehr verantwortliche Mitwisser beteiligt. Das Gerede um das angebliche persönliche Motiv des Apis, seinen Haß gegen den Thronfolger, bezeichnete mindestens nicht das einzig Ausschlaggebende. Dimitrijevic war durch seinen Nachrichtendienst sehr gut über die Persönlichkeit Franz Ferdinands unterrichtet. Nein, auch nach seinem Wissen war Franz Ferdinand nicht das Haupt einer Kriegspartei, die Serbien bewaffnet anfallen wollte, das mit seinen „paar Zwetschkenbäumen" einen Krieg wahrlich nicht lohnen würde. Der Generalstabsoberst und Chef des serbischen Nachrichtendienstes wußte zweifellos auch, was viele wußten, daß am 26. März 1913 Franz Ferdinand sich sogar gegen die vom Kriegsminister und dem Chef des Generalstabes befürwortete Mobilmachung dreier österreich-ungarischer Armeekorps gegen Serbien-Montenegro ausgesprochen hatte. Oesterreich-Ungarns Außenpolitik, Band V, Akt Nr. 6320 und 5321.

Was den Führer der „Schwarzen Hand" bewogen hat, mit seiner zurückhaltenden Aussage seinem Gegner Pasic einen großen Dienst zu tun, indem er dessen Mitschuld verschwieg, ist sein Geheimnis geblieben. Wahrscheinlich folgte er einem Appell, den Pasic im Namen des serbischen Volkes und seines in tiefes Unglück gestürzten Landes an ihn gerichtet hatte.

Im Grunde waren er, der Führer der „Schwarzen Hand", und Pasic trotz aller Zwistigkeiten Verbündete und Gesellschafter im Spiel um die Macht gewesen, manchmal Rivalen, noch öfter Freunde. Das galt überhaupt von der „Schwarzen Hand" und der Mehrheit der Regierungsmitglieder des Ministeriums Pasic. Diese Teilhaberschaft in Tat und Schuld mag für Dimitrijevic bestimmend gewesen sein, über die Rolle des politischen Führers Pasic nicht zif sprechen.

Am 23. Mai 1917 wurde Dragutin Dimitrijevic vom serbischen Militärgericht in Saloniki mit acht Mitangeklagten zum Tode verurteilt. Tatsächlich justifiziert wurden, angeblich am Jahrestag des Attentates von Sarajewo, in Wirklichkeit jedoch am 26. Juni, Dimitrijevic, Vulovic und Malobabic.

So wurde Pasic, der Mitwisser um die Vorbereitung des Sarajewoer Attentats, in dem von ihm betriebenen Saloniki-Prozeß an den Organisatoren des Mordes von Sarajewo zum Exekutor der Strafe, der sie sich bis vor kurzem in Amt und Würden in aller Freiheit hatten entziehen dürfen. Die übrigen Verurteilten erhielten nur Freiheitsstrafen.

Die Prozeßführung hatte sich, soviel sie konnte, bemüht, die anderen Belgrader Verschwörungen als eine interne Angelegenheit Serbiens auftragsgemäß zu behandeln und jede Verbindung mit Terrorakten außerhalb der serbischen Landesgrenze zu verdecken. Allen Verurteilten legte das obergerichtliche Urteil in Bestätigung der Verdikte der ersten Instanz zur Last, einen „Umsturz im Staate,, gewaltsame Aenderung der Verfassung, um die Staatsleitung durch Einführung der Militärherrschaft einer Oligarchie von 15 bis 20 Personen in die Hand zu bekommen und jedes Hindernis bei Ausführung dieses Planes gewaltsam zu beseitigen, in erster Linie aber den Throhfolger Alexander und den Ministerpräsidenten Pa sic zu ermorden". In der Begründung des Urteils „Der Saloniki-Prozeß", deutsche Uebersetzung nach dem Originaltext, nachgeprüft vom Orientalischen Seminar in Berlin, bearbeitet von Prof. Dr. Hans Uebersberger, Seite 558 wird im besonderen Dimitrijevic als „der Haupträdelsführer und Anstifter aller umstürzlerischen Anschläge und Unternehmungen" bezeichnet. Er habe auch „an der Beseitigung des Kronprinzen und dem Sturz der Dynastie Karageorgevic gearbeitet". Noch in seiner Todesstunde beteuerte Dimitrijevic seine völlige Unschuld an dem Anschlag gegen den Kronprinzen Alexander.

Wie Uebersberger vermerkt, ist der ersten gedruckten offiziellen Ausgabe der Protokolle des Saloniki-Prozesses, die in einem Brande zu-gründe ging, eine zweite gefolgt, welche die Regierung bei ihrer Rückkehr nach Serbien zuerst freigebig verteilt, dann aber infolge aufgetauchter Bedenken eingezogen hat. Der vertrauliche Bericht“, den Dimitrijevic während des Prozesses abgab, ist in dieser zweiten Ausgabe nicht enthalten.

In dem Prozeß von Saloniki ist über die Mitschuld des offiziellen Serbiens an der Untat von Sarajewo ein dichter Schleier geworfen. Aber das Schuldbuch blieb auf dem Richterstuhl der Geschichte offen aufgeschlagen.

Erschütternd ist die Anklage, die Dobrivoi R. Lazar evi c, Major im 9. serbischen Infanterieregiment, in seiner .1917 während des Saloniki-Prozesses in der Librairie. Nouvelle,

Eaüsa'nne; erschienenen Schrift „Die Schwarze Hand" erhebt:

„Kann es eine schrecklichere Strafe des Himmels geben, welche das serbische Volk getroffen hat? Kann eine irregeleitete Staatspolitik verderblichere Folgen zeitigen, als es die serbische getan hat, welche ein ganzes Volk mit seinen so teuer errungenen Institutionen zugrunde richtete? Die Dynastie und ein Teil der leitenden Persönlichkeiten, welche jahrelang rein persönliche Interessen verfolgten, vor denen die Staatsinteressen zurücktreten mußten, haben den Untergang meines Vaterlandes vorbereitet und herbeigeführt. Dieser Selbstmord eines Volkes, eines Landes, Endergebnis eines kernfaulen Regierungssystems, war das Werk der serbischen Dynastie, der ,Sch w arzen Hand', das Werk von Pasic, seinen Mitarbeitern und Freunden.“

Ein Schlußaufsatz folgt.

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