6638234-1957_28_09.jpg
Digital In Arbeit

Der gefesselte „Schatzgräber“

Werbung
Werbung
Werbung

1.

Drei Farben sind es nach einem Dichterworte, welche das Kleid des Waldviertels bereiten: der Heide Rot, das Gold der Haferbreiten und das Grün der Höhen. Nun ist eine vierte Farbe, ein goldenes Braun, dazugekommen, das Wasser des Kamp, den man wegen dieses Goldbrauns in alten Zeiten „den Schatzgräber" nannte. Nun, das Wässer führt nicht mehr Gold als jedes andere Flußgerinne. Aber in einem anderen Sinne ist das Wort vom „Schatzgräber“ wahrgeworden. Nachdem bereits im Jahre 1952 im Stromkilometer 66,7 das Ausgleichswerk Thurn- berg-Wegscheid und im Jahre darauf das Spitzenkraftwerk Dobra-Krumau eröffnet wurden, stand im Kilometer 87,5 noch eine Aufgabe bevor, welche die begonnene Arbeit sinnvoll runden sollte: das war das Pumpspeicherwerk Ottenstein, dessen erster Maschinensatz im vorigen Herbst die Stromerzeugung aufnahm und das dieser Tage auf volle Touren gelaufen ist. Die Pläne für die Nutzung des Kamp sind älter, als sich mancher denkt: sie gehen nämlich bis ins Jahr 1910 zurück. Im Rädergang der Zeiten sind die technischen Voraussetzungen, die Zielsetzungen andere geworden. Damals, in der Zeit vor dem ersten Weltkriege, war das stille goldbraune Gewässer nur eines von vielen hundert eines großen Reiches; damals stand diesem Lande eine gewaltige Energiereserve zur Verfügung; damals war dieses Waldviertel keine Grenzlandschaft. Heute ist das alles anders geworden. Und es liegt ein zweiter Krieg dazwischen, der auch in diese stillen Gegenden LInruhė und Zerstörung brachte.

2.

Zwischen Ottenstein und westlich der Dobrasperre sprang ursprünglich die Grenze des Truppenübungsplatzes Döllersheim in einer Breite von mehr als vier Kilometern und in einer Tiefe von rund zwei Kilometern über den Kamp nach Süden vor. Solange hier die Platzverhältnisse nicht geklärt waren, sagten die Ewig-Klugen, bliebe jede Arbeit fragwürdig. Und dazu das Besatzungsregime! Es kann heute, rückschauend, nicht genug gewürdigt werden, ,daß,.:iA 9j4 ,, sechs Jahre r dem Abschluß des StaatsvqtJrägqs,. Nįederos.terreich - frischweg an die Arbeit ging. Die Kamptalwerke stellten die erste Großbaustelle des Landes dar. Und das zu einer Zeit; da noch niemand genau die Zukunft voraussagen konnte, als man noch nicht bequem auf der Fettschicht der Konjunktur schwamm, und vor allem alles ohne ausländische finanzielle Unterstützung, wie sie unter verschiedenen ..Zeichen dem Westen Oesterreichs, der damals sicherer schien, in reichstem Maße zugeflossen ist. Nun, .dafür haben eben die tausend Arbeiter, die hier werkten, sich tun so fester ins Zeug gelegt. Acht von ihnen leben nicht mehr, ihnen tönte das Lied vom Guten Kameraden ins Grab nach, während blaugelb und rotweißrot die Fahnen im heißen Sommerwinde flatterten. Diese tausend Arbeiter waren ein Stück unseres Glaubens an die Zukunft. Und gerade an jener Stelle, wo man zwischen den Krampenhieben den Donner der Artillerie fremder Machthaber von Norden her oft genug vernahm.

3.

Wenn man heute im Schatten der Staumauer von Ottenstein steht, welche die Wasser eines Einzugsgebietes von 890 Quadratkilometern mit einer Riesenfaust von 65 Meter Höhe aufhält, dann sehen die Menschen oben auf der Dammkrone wie Fliegen auf einem in die Hälfte geschnittenen und mit der Schnittfläche nach oben gestellten Emmentalerlaib aus. Elf Stockwerke zählt allein das Krafthaus. Steht man nach sausender Fahrt im Aufzug, der 23 Personen fassen kann, auf dem Dache, dann ragt noch immer der Damm wie in den Himmel. 1st es etwas stiller geworden mit den Reden der Besucher, dann hört man deutlich, wie aus dem Berginnern kommend, dumpfes Rollen. Das ist die Sprache der Maschinen, die 284.000 Kilowattstunden im Tage erzeugen, das sind die Schatzgräber von heute. Hinter dem Damme können fast ebensoviel Wassermässen gestaut werden wie in Kaprun. Der Stausee reicht von Ottenstein bis nahe an das Stift Zwettl. Das sind rund 14 Kilometer, und entspricht der Strecke vom Stephansplatz bis Purkersdorf oder Perchtoldsdorf. Eine neue Landschaft ist hier entstanden. Die niederösterreichische Landesregierung hat die Gebiete um die Stauseen Dobra und Ottenstein zu Naturschutzgebieten erklärt. Und das tat sie in kluger Erwägung. Hier soll ein neues Fremdenverkehrszentrum entstehen, aber die Technik und die Notwendigkeiten des Reiseverkehrs sollen nicht in Widerspruch stehen zur Tektonik und Land schaftscharakteristik. Das bedeutet große und ständige Aufgaben für den Architekten, Wachsamkeit für den Naturschutz. Wenn man die neue Werksiedlung für 25 Familien, welche die Newag in unmittelbarer Nähe des Ottensteiner Werkes errichtet hat, aus der Nähe und dann aus der Ferne, vom nördlichen Ufer, kritisch betrachtet, kann man den Bauherren das Zeug nis ausstellen, daß sie nicht nur Licht zu erzeugen verstehen, sondern daß sie das Licht der Natur nirgends verdunkeln. Das hört sich so leicht gesagt an. Aber wir haben es von anderen Bauherren und anderswo leider nicht immer so lichtvoll erlebt, dieses Zueinanderstehen und Ineinandergehen von Zweckbauten und Landschaft.

4.

Reden wir zunächst vom Zweck. Die energiewirtschaftliche Bedeutung liegt am Kamp nicht in einer imposanten Kilowattzahl, obschon die 13 5,5 Millionen der drei Kampwerke kein Pappenstiel sind; sondern darin, daß 54 Prozent der Jahreserzeugung auf die energiearmen Wintermonate fallen, welche bekanntlich dem Herrn Bundeslastverteiler fortwährend Sorgen machten. Nicht bloß in den turbulenten Nachkriegsjahren mit den Netzzusammenbrüchen; sondern auch heute, und heute noch viel mehr. Denn der Energiebedarf steigt unablässig, in Niederösterreich zum Beispiel jährlich um 15 Prozent. Die Bedeutung def Kampwerke liegt in der Beziehung von Speicherwerk und Lage zum Konsumzentrum und in der Abschätzung, welche Industriezweige hier Platz finden könnten. Gerade Niederösterreich, das von den Kriegsereignissen am meisten betroffen wurde und das am längsten warten mußte, bis man ihm helfend beisprang (manche behaupten, es müsse auf dieses und jenes immer noch gewartet werden), gerade dieses Land wird eine solche Energieplanung zu schätzen wissen.

5.

Solche Arbeiten kosten Geld. Die Bundesregierung ist sich, wie der Kanzler bei seiner Eröffnungsansprache ausführte, bewußt, daß die östlichen Landesteile wirtschaftlich gefördert werden müssen. Um so mehr, da diese Gebiete in schwierigsten Zeiten einen Beweis ihres Zukunftsglaubens geliefert haben. Es gilt in Niederösterreich den Vorsprung aufzuholen, den kreditmäßig begünstigte Staatsteile in den

Jahren der Besatzung erzielten. In den Voranschlag der Bundesregierung wurde daher ein Betrag von 3 5 Millionen Schilling aus Counterpartmitteln für Energiebauten in Niederösterreich aufgenommen. Es ist anzunehmen, daß von amerikanischer Seite diese Dotierung zustimmend zur Kenntnis genommen werden wird. Jede Erhöhung des Produktionsvolumens auf dem Energiesektor bedeutet eine Verankerung mehr für die Unabhängigkeit unseres Landes von den Zufälligkeiten der Energieversorgung. Es ist auch anzunehmen, daß eine vermehrte Stromerzeugung anregend wirkt auf die Herstellung der Verbrauchsgeräte, weiche das Land und seine Wirtschaft im Zeitalter der Technisierung brauchen. Auf dem Wege über die

Schaffung preiswerter Energie eröffnet sich für geeignete Landesteile im Norden und Osten Niederösterreichs die Möglichkeit, Industrien anzukurbeln, die hier landschaftsgebunden sind. Also vor allem die Textilwirtschaft, die H61z- verarbeitung, aber auch die Glasproduktion.

6.

Als Kennvers auf der Landesviertelkarte von 1672 hat der Topograph Vischer daraufgeschrieben:

„Holtz, teiche, weid und Schafferey Macht das ich zu genüssen sei.“

Und Sixsey, ein Jahr später, spricht im „Unter- Oesterreichischen Land-Compaß" von Feldern, die klein und gering, seien, dąs „ipehriste. Einkommen.“ läge -in der Viehzucht und -anderen ;gefährlichen -Wirtschaften“.1 Das ist heute anders und die Stromerzeugung ist jene

Arbeit, die sich zwischen 1922 und 1956 allein bei der Newag von 20 Millionen auf 700 Millionen Kilowatt erhöht hat. Es dürfte keine „gefährliche Wirtschaft“ bedeuten, über die Milliarde hinauszugelangen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung