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Der Geist des Mahdi

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Sechsunddreißig Sicherheitsbeamte und eine unbekannte Anzahl von Regierungsgegnern kamen bei den jüngsten Unruhen in der sudanischen Metropole Khartum und in ihrer Schwesterstadt Omdurman ums Leben. Anhänger der militanten muselmanischen „Ansar“-Sekfe und der von ihr gesteuerten (verbotenen) „Umma“-Partei planten erfolglos den Sturz des erst vor knapp einem Jahr, zu Pfingsten 1969, durch einen unblutigen Staatsstreich zur Macht gelangten nasseristischen Offiziersregimes.

Dies war bereits der zweite Restaurationsversuch; schon im Juli vorigen Jahres wollten die Organisation der „Freien Neger“ und der frühere Innenminister Es-Saijid Achmed Abderrachman El-Mahdi (ein Enkel des derzeitigen Imams) die parlamentarischen Verhältnisse wiederherstellen.

„Im Reich des Mahdi“ — so nannte Karl May um die Jahrhundertwende den Sudan — herrscht auch fünfundachtzig Jahre nach dem Schlachtentod des „Propheten“ Mohammed Achmed noch immer der Geist von ,M-Mahdi“ (Der von Gott Geleitete“). In „El-Mahdi“ erwarten die sunnitischen Moslems einen aus dem Geschlecht Fatimas, der jüngsten Tochter Mohammeds, hervorgehenden endzeitlichen Erlöser. Diesen Glauben zunutze machte sich in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein sudanischer Abenteurer. Er errang innerhalb von vier Jahren die Vorherrschaft über das anglo-ägyptische Kondominium, belagerte, besetzte und zerstörte Khartum und ermordete den britischen Generalgouverneur Gordon Pascha. Er fanatisierte Hunderttausende und beanspruchte göttliche Ehren. 1885 fiel er im Kampf gegen die Truppen Lord Kitcheners. Bis heute ruht er in einem die Moslemhochburg Omdurman am Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nils überragenden schneeweißen Mausoleum mit vergoldeter Kuppel. Es ist das wichtigste Heiligtum der Ansaris. Obgleich sein prosaischer Tod hätte beweisen sollen, daß er keineswegs göttlicher Abkunft war, genießt er im Sudan noch immer ähnliche Verehrung wie der Prophet Mohammed. Seine leiblichen Nachkommen begründeten sogar eine religiöse und politische Dynastie. Deren gegenwärtiges Oberhaupt ist ein Enkel Mohammeds, Imam El-Hadsch Es-Sai-jid Abderrachman El-Mahdi. Er ist der geistige Kopf der „Umma“-Par-tei, bis zum Umsturz eine der beiden maßgeblichen politischen Sammlungsbewegungen des Sudans. Ihre Gegenspielerin, die lange die Regierung beherrschte, war die aus der „Khatmia“-Sekte hervorgegangene „National Union Party“. Letztere spielt keine sichtbare Rolle mehr, seit ihr Chef, der letzte demokratische Ministerpräsident Ismail El-Ashari, im August 1969 plötzlich verstarb.

Die „Umma“ zerfiel bereits vor einiger Zeit in zwei Flügel. Der konservative wurde angeführt vom Imam, der progressive von seinem Neffen Saddik El-Mahdi, Dieser vertrat einen demokratischen Sozialismus. Die Regierung macht die Ansaris sowohl für den Umsturzversuch verantwortlich als auch für den Anschlag auf Ga'afar El-Numeiri. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich die beiden Parteiflügel der „Umma“ unter dem Eindruck des Todes von El-Mahdi, der an der Grenfte nach Äthiopien erschossen wurde, wieder versöhnen werden. Der greise Imam und seine Ansaris genießen im ganzen Land nach wie vor großen und für das Offiziersregime gefährlichen Einfluß. Bei den Wirren der vergangenen Tage lieferten sie den regierungstreuen Sicherheitskräften regelrechte Straßenkämpfe, und man entdeckte hinterher eines ihrer wohlgefüllten geheimen Waffendepots.

Die Ursache der Kämpfe ist neben der auch durch die Militärs nicht behobenen innerpolitischen Instabilität und Korruption vor allem die verzweifelte wirtschaftliche und finanzielle Situation des Sudans. Das bei der Unabhängigkeitserklärung, 1956, vollständig sanierte und über fast unerschöpfliche natürliche Rohstoff- und Hilfsquellen verfügende Land ,,auf der Schwelle zwischen Kamel und Kanu“ gleicht heute einem Armenhaus. Handel und Wandel stagnieren, die Bürokratie funktioniert nicht mehr, und die Staatskasse ist leer. Grumd für diese Misere ist weniger das mißglückte Experiment mit der parlamentarischen Demokratie englischen Musters als der Bürgerkrieg gegen die teils christlichen, teils animistischen Neger in den Südprovinzen. Die Offiziere versprachen zwar, ihn bald zu beenden, hielten sich aber bis jetzt nicht an ihr Versprechen. Doch auch die Mahdisten würden sich wohl kaum dazu verstehen, das sinnlose und kräftezehrende Ringen abzukürzen. Ihre Haltung ist noch betonter isla-, misch-arabisch-intolerant

Für die bedrohten Militärs ist der einzige •sichtbare Ausweg offenbar die Föderation mit Ägypten und Libyen. Die Pläne dazu erhalten jetzt wahrscheinlich neuen Auftrieb: Kurz nach den Unruhen flogen der Kairoer Vizepräsident Anwar Es-Sadat und der Tripolitaner Revolutionspolitiker Abdes-sala'am Dschul-lud nach Khartum.

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