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Der General in Warschau

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Zwischen dem königlichen Schloß von Wilanow, dem Todesblock von Auschwitz und dem von Polen wiedererbauten Danzig liegen die Stationen der zweiten Reise de Gaulles nach Osteuropa, die er jetzt in Warschau begonnen hat. „Die Zukunft währt lange“, philosophiert der General in seinen Memoiren, als er von seiner Weigerung berichtet, 1944 das Lubliner Komitee der polnischen Kommunisten anzuerkennen, wie ihm damals Stalin empfahl. Jene Zukunft hatte begonnen, als Oharies de Gaulle 1920 in der Uniform eines polnischen Majors an der Weichsel die Rote Armee zurückschlagen half, aber sie währte lange genug, um die gleiche Armee heute an der Elbe stehen und Polens neue Grenze an Oder und Neiße garantieren zu las-

sen. Für de Gaulles ausgeprägten historischen Sinn, in dem sich politische Raison und Romantik mischen, fügen sich all diese Elemente, das Vergangene wie das Gegenwärtige, zum Entwurf seiner europäischen Ostpolitik. In ihr ist Polens Rang durch seine Nachbarschaft zu Deutschland und Rußland bestimmt; im Frieden zwischen den drei Nationen sieht der General heute den Schlüssel der europäischen Befriedung. Hat er ihn im Reisegepäck? Kann er den Polen, zumal den regierenden Kommunisten, begreiflich machen, daß ihnen im künftigen Europa weder die Rolle der westlichen Vormauer noch die des östlichen Prellbocks zugedacht ist? Kann er sie überzeugen, daß die deutsche Frage, die er selbst „das europäische

Problem par excellence“ genannt hat, nichts Bedrohliches für sie enthält?

Bei aller Sympathie, mit der die Polen — Kommunisten ebenso wie Katholiken — de Gaulles Politik betrachten, sie tun es nüchterner als er selbst. Gewiß ist man in Warschau froh, daß der General durch seine Moskauer und Pariser Gespräche mit den sowjetischen Führern jeden Verdacht ausgeräumt hat, er wolle das östliche Bündnis stören; die leichte Abkühlung, die der General im Verhältnis zu Moskau aufsässigen rumänischen Freunden eintreten ließ (er verschob seine Bukarestreise aufs kommende Jahr) hat diesen Argwohn vollends besänftigt. Bei den Polen hat sich de Gaulle wachsendes Vertrauen erworben, seit er die Wiedervereinigung Deutschlands an die Voraussetzung knüpfte, „daß dabei die gegenwärtigen Grenzen im Westen, Osten, Süden und Norden nicht angetastet werden“ (25. März 1959) und seit er die Bewaffnung Deutschlands „durch eine Einigung mit allen seinen Nachbarn, im Osten wie im Westen“ geregelt, also begrenzt sehen will (6. Februar 1956). Die traditionelle Zuneigung der Polen zu Frankreich, die durch de Gaulles Abkehr von der NATO ein neues Alibi erhielt, macht sie auch nachsichtig, wenn Paris sich internationalen Abkommen zur atomaren Rüstungsbegrenzung entzieht — solange Paris die Deutschen von der gefährlichen Waffe fernhalten will. Aber so sehr all diese Gemeinsamkeiten (zu denen noch die gleiche Beurteilung von Vietnamfcrieg und .Nahostkrise gehört) jetzt in den offiziellen Reden anklingen, in Warschau sieht man dennoch den Stachel, der in der Konzeption des Generals steckt:

„Es ist kein Geheimnis, daß der französische Standpunkt gegenüber der DDR noch weit von dem der Sowjetunion, Polens und der anderen sozialistischen Länder entfernt ist“, schrieb die „Trybuna Ludu“ am 10. Juli. So hoch man es dem General anrechnet, daß er bei seinem letzten Bonner Besuch dem deutschen Bundeskanzler die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nahelegte, dieser Schritt — den sich Bonn irrigerweise noch immer als „Tauschobjekt“ aufsparen möchte — hat für Polen heute nur noch zweitrangigen, ja überhaupt keinen Wert, wenn er nicht mit einem geregelten Modus vivendi zwischen Bonn und Ost-Berlin verknüpft wird. Das vor allem bekommt de Gaulle in Warschau zu hören, wenn er für Bonns „neue Ostpolitik“ wirbt.

Auch wird man ihm nicht verschweigen, daß für Polen die geographische Entfernung Amerikas politisch doch geringer wiegt als für den General. Beides nämlich, die Realität zweier Supermächte und zweier Staaten in Deutschland, gehört für die Polen zum Bild des Status quo, den sie gewahrt sehen möchten. Will ihn de Gaulle eigentlich im Ernst antasten? Seine Polenreise könnte ihn veranlassen, sich deutlicher als bisher zum Status quo zu bekennen. Greifbaren Gewinn könnte ihm das in Warschau freilich erst eintragen, wenn er zugleich von der Bereitschaft der Deutschen, zwischen Rhein und Oder zu koexistieren, überzeugen könnte. Doch nicht einmal in der Oder-Neiße-Frage konnte ihm Kiesinger glaubwürdige Beweise mitgeben. In dieser Lage muß ihn nun jedes deutliche Wort zugunsten des Status quo von Bonn weiter entfernen — und jede weitere Entfernung von Bonn macht es ihm schwerer, für eine Europakonzeption zu werben, die ohne Bonn, ohne das Mittun der Deutschen, ein Gebäude ohne Dach bleiben muß. Auch die schönsten Gesten auf der Polenreise des Generals können diesen fatalen Stand der Dinge nicht ändern. Nur Bonn könnte es. Wenn dort der Mut zum Handeln mit den Erkenntnissen einer „neuen Ostpolitik“ Schritt hielte.

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