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Der Generalissimus

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Nach dem Lebensbild Erzherzog Karls, das „Die Furche“ in der letzten Folge der „Warte“ zu seinem 100. Todestag am 30. April gebracht hat, geben wir hier einer Darstellung der militärischen und staatsmännischen Bedeutung des großen Feldherrn Raum. „Die Furche“

Die immer noch lebendige Popularität Erzherzog Karls wurzelt nicht allein in seinen militärischen Erfolgen auf den vier Hauptschlachtfeldern Europas, sondern auch in seiner staatsmännischen Tätigkeit, in seinem wissenschaftlichen Erbe und in seiner Haltung als Mensch, sei es nun als Staatsbürger, als Vorgesetzter oder als Familienvater — in allen Lebenslagen dem tiefen Glauben ergeben, der einzelne könne auf keinen Fall nur den irdischen Richtern verantwortlich sein. Eine Analyse der Gesamtpersönlichkeit ergibt, daß dieser kaiserliche Prinz in seiner Stellung zu den Grundfragen der Welt- und der Staatspolitik, zur Frage des Regierungssystems, zu den volkspsychologischen Problemen und zu seiner engeren Fachwissenschaft echtes österreichertum verkörpert und auch der heutigen Generation viel Beherzigenswertes sagen kann.

Als Soldat durchlief der Erzherzog alle Grade vom niederen Truppenführer bis zum Reichs-Generalfellmarschall, Kriegsund Marineminister und Generalissimus, ebenso gewürdigt als Taktiker und Stratege wie als Heeresorganisator. Seine bei Aldenhoven, Neerwinden, Ostrach, Stockach, Amberg, Würzburg, Caldiero und Aspern (mit 75.000 gegen 90.000 Mann) erfochtenen Siege beweisen schon in ihrer bloßen Aufzählung das überragende Feldherrntum. Die größten Gegner seiner Zeit waren zu schlagen: Jourdan, Misscni und Napoleon selbst, dem niemand vorher den Lorbeer zu entreißen vermocht hatte. Vielleicht nicht minder gefährliche Gegner galt es in den eigenen Reihen zu überwinden: das veraltete österreichische Wehrsystem, die wiederhol -cn katastrophalen Rüstungsmängel, die Un-brauchbarkeit der deutschen Reichskontingente, die Unverläßlichkeit der Verbündeten, die staatsrechtlichen Schwierigkeiten in Ungarn und ein fast latenter Konflikt mit den Leitern der Außenpolitik. Doch nur aus größten Hemmungen wächst wahrer Ruhm, und Erzherzog Karl wurde un-glaublidier Schwierigkeiten Herr. Mit zäher Energie erneuerte er die Armee, angefangen vom Hofkriegsrat bis zu den letzten Einzelheiten der Kompagnieadministration, und mag er auch bei Wagram am 5. und 6. Juli 1809 (mit 128.000 gegen 181.000 Mann) nicht mehr Sieger geworden sein, konnte er dennoch einen Erfolg buchen: Napoleon verlor in dieser Schlacht mehr Tote, Verwundete, Gefangene und Feldzeichen als die Österreicher, von einer vernichtenden Niederlage derselben konnte keine Rede sein, die vom Erzherzog neugeschmiedete Armee blieb als brauchbares Werkzeug erhalten und Napoleon mußte erkennen, daß Österreich in einer Einzelschlacht wohl noch zu schlagen, aber selbst mit Übermacht nicht mehr völlig niederzuwerfen war. Mit der Armee von Aspern und Wagram wurde auch Leipzig im Vereine mit den Verbündeten gewonnen und es ist nicht zuviel gesagt, daß noch die österreichisch-ungarische Armee von 1914 deutliche Spuren der Armeereformen von 1801 bis 1809 an sich trug. „Erzherzog Karl wäre ohne Zweifel der erste Feldherr seines Zeitalters geworden, wenn ihm sein Schicksal nicht Hindernisse in den Weg gelegt hätte, die mit allen seinen Talenten , unüberwindbar waren.“ Mit diesem Ausspruch hat der anerkannteste Feldherr der Neuzeit, Napoleon I., seinem österreichischen Gegenspieler ein ehrendes Denkmal gesetzt.

In den Militärwissenschaften zählt Erzherzog Karl zu den Militärklassikern von internationalem Rang. In seinen Hauptschriften, den „Grundsätzen der höheren Kriegskunst“, den in vier Sprachen übersetzten „Grundsätzen der Strategie“ und der „Geschichte des Feldzuges vom Jahre 1799“ entwickelte er Lehren von dauerndem Werte, und auch C 1 a u s e w i t z, der erst später wirkte, fußt vielfach auf diesen Werken. Gewiß sind die sogenannten ewigen Regeln der Strategie so alt, als Menschen Kriege führen, und auch der Erzherzog hat keine neuen erfunden, wie auch nach ihm keine neuen mehr hinzukamen. Doch unter jenen, die den taktischen und strategischen Lehren klassische Formulierungen gaben, steht Erzherzog Karl auf bevorzugtem Platze und wäre er nicht Österreicher, hätten seine Werke zumindest dieselbe Verbreitung gefunden, wie die des Nurtheoretikers Clausewitz. Hervorzuheben bleibt unter anderem der Hinweis des erfahrenen Kriegsgelehrten auf die Notwendigkeit, im Soldaten kein Werkzeug, sondern den Menschen mit Herz und Seele zu sehen, eine Armee mehr nach Qualität, denn nach Quantität aufzubauen, in der Erziehung und Bildung alle Einseitigkeiten zu vermeiden, bei jeder Theorie zu bedenken, daß sie ohne entsprechendes Werkzeug ein leeres Wort bleibt. Auf dem Schlachtfelde suchte der Erzherzog die Kräftevereinigung, die Trennung des Feindes, den Zeitgewinn, das Zusammenwirken der Waffen, den initiativen Angriff, die Umfassung. Die Defensive ließ er nur als Aushilfsmittel gelten, griff aber unbedingt nach ihr, wenn es galt, einer Schlacht auszuweichen, die — selbst bei einem Siege — die eigenen Kräfte zu stark geschwädit hätte.

Der Staatsmann erprobte sich im Erzherzog zuerst in den Niederlanden, bei deren Verwaltung er als Generalgouverneur großen Scharfblick zeigte, indem er seine Maßnahmen den Volkseigenheiten anpaßte und Gewaltmethoden vermied. In Österreich, als Bruder und Berater des Kaisers, in alle Staatsreformen eingeweiht, war er eki eifriger Vertreter der Überparteilichkeit und ein Feind jedes überspannten Absolutismus wie jeder T o t a 1 i-t ä t, an die er eine uns höchst zeitgemäß anmutende Absage richtete: „Selbst die Natur zeichnet jedem Streben durch das verliehene Maß der Kraft hierin sein Ziel. Eine Selbständigkeit, welche diese Kraft, die Stärke der Überzeugung und der Gesinnung übersteigen will, führt zum Sturz und Verderben.“

Sehr eindrucksvoll ist die Stellung des Erzherzogs zur Friedensfrage. Wie so manche bedeutende Heerführer im Grunde ihres Herzens oft Kriegsgegner waren, so auch Erzherzog Karl, der den Kriegj nur zuheß wenn er in der Tat unausweichlich war. Am 23. September 1792 heißt es in einem Schreiben an Franz Li wünsche ich nichts mehr, als Dich und unsere Monarchie bald aus diesem Kriege, der uns gewiß gar keinen Nutzen schafft, heraus zu wissen, da es gewiß sehr gleich für uns ist, was für eine Konstitution in Frankreich sein wird.“ Welch eine freizügige und weltweise Haltung mitten im Prinzipienkrieg von 1792, in dem man sich gegenseitig Staatsverfassungen und Regierungssysteme aufzuzwingen bemühte und in dem Frankreich in seine Verfassung von 1792J die auch für Österreich nicht gleichgültige Bestimmung aufnahm, das französische Volk werde allen Völkern helfen, „die ihre Freiheit wiedererlangen wollen“. Bei anderer Gelegenheit finden wir über den Krieg die Ansicht, er sei „das größte Übel, das einem Staate, das einer Nation widerfahren kann“ und „sollten wohl die Regenten nicht bedacht sein, durch Bezähmung des feindseligen Hanges den Krieg zu vermeiden, als ihn zu suchen?“

Recht schlecht bestellt war es um die Beziehungen des Generalissimus zu den Außenministern Thugut, Cobenzl, Stadion und Metternich. Nicht bloß einmal führte die Außenpolitik den Krieg herbei, ohne daß die Armeerüstungen abgeschlossen gewesen wären, was selbstvertändlich energische Gegenvorstellungen des verantwortlichen Armeeführers auslöste, der alles Hazardieren weit von sich wies und die Führung eines Krieges nur auf der Basis reellster Kalküle als zulässig betrachtete. Die mutige Art des Erzherzogs, auch dem Kaiser gegenüber Überzeugungen zu vertreten, die das Wohl der Allgemeinheit zur gewissensmäßigen Grundlage hatten, entfremdete den erprobten Feldherrn dem in der großen Politik nicht minder bewährten Metternich. Die Folge war, daß der allmächtige Staatskanzler den Erzherzog 1813 als Oberkommandanten der Verbündeten mit dem Bemerken ablehnte: „Wir wollen einen Feldherrn, der den Krieg, nicht einen solchen, der Politik macht. Der Erzherzog will zugleich Minister des Äußern sein, was sich mit der Funktion des Feldherrn nicht verträgt.“ Österreich hatte jedoch damals ein verdientes Glück, denn es stand nicht nur die vom verschmähten Feldherrn organisierte Armee zur Verfügung, sondern auch der — gleich dem Erzherzog 1771 geborene — Fürst Karl Schwarzenberg, der sich als ein dem Sieger von Aspern ebenbürtiger Stratege erwies.

Das Lebensbild des Erzherzogs Karl bedarf noch einer Abrundung durch M i t-betrachtung einiger rein menschlicher Züge. So unbequem er dem Kaiser, gewissen Hofkreisen und den Ministern in seiner* Art, unermüdlich zu mahnen oder unnachgiebig bei gefaßter Meinung zu verharren, gewesen sein muß, vollführte er letzten Endes doch mit beispielhafter Genauigkeit die endgültigen Befehle des Monarchen und verhielt sich diesem — auch noch Ferdinand I. — gegenüber vollkommen korrekt und loyal, obwohl es an Lockungen verschiedener Art nicht gefehlt haben soll, persönlichem Ehrgeize eher zu folgen als der beschworenen Eidespflicht. Bei allem Selbstbewußtsein fühlte er sich nur als Diener und Vollstrecker jeder der Größe Österreichs förderlichen Aufgabe. Inmitten der Truppen von außergewöhnlicher Tapferkeit, war der Erzherzog zugleich selbstlos und bescheiden, gerne das Verdienst anderen zuschreibend. Empfindliche gesundheitliche Störungen überwand er im Felde mit einer Kraft, die seiner ausgeprägten Willens- und Charakterstärke entsprach. Nach' 1809, nicht mehr im Vordergrund stehend und 1830 den angebotenen Oberbefehl ausschlagend, widmete er den zweiten Teil seines Lebens als Privatmann ganz dem ihn beglückender Familienkreis, wissenschaftlichen Arbeiten, künstlerischen und philosophischen Neigungen. Der feinsinnige Verfasser tiefgründiger „Aphorismen“ bekannte sich dazu, daß alles Geschehen, soll es nützlich sein, dem Edlen im Menschen entspringen müsse, und sagte daher: „In den Augen des Gerechtesten überwiegt der unbedeutendste Beweis von Liebe des Nächsten alle Taten und Unternehmungen, welche die Menschen groß nennen.“ Dieser Appell an die Menschlichkeit ruft bis zu uns herüber in die Zeiten der Prüfungen, in denen allzuviel aus dem Reiche der geistigen und seelischen Werte unter die Räder gekommen ist; denselben Grundsatz vom Vorrang des Ideellen wandte Erzherzog Karl auf den politischen Lauf der Geschichte an, indem er am Ende der 23jährigen napoleonischen Kriegsepoche schrieb:

„Die Ruhe Europas kann nur erreicht werden, wenn die Moral den ihr gebührenden Platz wieder erhält, wenn künftig die Erwägungen des Rechtes, aber nicht, wie in den verflossenen 25 Jahren, die bloße Berechnung der Kraft zur Grundläge des Beginnens einzelner Menschen wie der Staaten genommen wird.“ x

Kein moderner Staatsmann könnte heute einen besseren Ratschlag geben.

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