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Der große General

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Einer der bedeutendsten Gestalten unter den großen soldatischen Erscheinungen des ersten Weltkrieges ist Feldmarschall S v e t o-z a r B o r o e v i c von Bojna, der Sieger von Komarow, der Befreier von Przemysl und Westgalizien und der Heerführer in zwölf Isonzoschlachten. Doch nicht von dem ruhmgekrönten Feldherrn, dessen Name für immer unter den glänzendsten in der Geschichte der alten kaiserlichen Armee stehen wird, sondern von dem menschlichen Charakterbild Svetozar Boroevic sei hier die Rede.

Wiederholt war ich Gast in seinem Hauptquartier in Adelsberg, dem Oertchen im Krainer Karst, von dem aus er den Mechanismus seiner weit über Tal und Berg gebreiteten Front lenkte. Er war die Verkörperung der Eigenschaften, die das kroatische Volk durch Jahrhunderte zum Eckpfeiler abendländischer christlicher Kultur und des Habsburgerreiches gegen den andrängenden Osten gemacht hatte. Die Persönlichkeit des Marschalls war über Adelsberg wie ein Gesetz. Seine strenge Pflichterfüllung, die Einfachheit und Sauberkeit seiner Lebensführung regelten in auffallender Weise das Verhalten seiner Umgebung. Die harte Disziplin, der er sich selbst unterwarf, legte er auch seinen Mitarbeitern und seiner weiteren Umgebung auf. Für ihn galten keine Rücksichten der Person,. Verweichlichung haßte er und verfolgte sie. Ein bequemer Vorgesetzter war er nicht. Daß , eine Armee einem zahlen- und materialmäßig stark überlegenen Gegner in schwersten Erprobungen standzuhalten vermochte, wäre wahrscheinlich nicht möglich gewesen, wenn Boroevic seinen Offizieren und Soldaten nicht sein persönliches Beispiel vor Augen gestellt hätte. Sie konnten dieser stählernen Natur, die allen Strapazen widerstand, zuweilen ohnehin nur in einem Abstand nachkommen. Die Art, wie er sein Schlafbedürfnis regeln konnte, erinnerte an Napoleon. Während der großen Abwehrschlachten,, die tage- und nächtelang währten, pflegte er nicht zu schlafen. Während der zehnten Isonzoschlacht, in der durch zehn Tage der italienische Angreifer an den Toren der Isonzostellungen rüttelte, blieb er in den Kleidern, gab nicht eine Stunde lang die Führung aus der Hand, begnügte sich mit einem kurzen Halbschlaf im Lehnsessel. Dann überraschte er plötzlich seine Umgebung, in der noch niemand das Ende des feindlichen Ansturms für gekommen hielt, mit der Mitteilung: „Jetzt gehe ich schlafen. Es ist zu Ende.“ Er hatte das entscheidende Erschlaffen des Gegners mit merkwürdig geschärften Sinnen erspürt. Die Hingebung, mit der ihn die Getreuen seiner Umgebung anhingen, war mit einer scheuen Bewunderung gemischt.

Am Ende des ersten Weltkrieges war Boroevic daran, noch einmal tief in das geschichtliche Werden einzugreifen. Die daran anknüpfenden Vorgänge sind bisher der Oeffentlichkeit unbekannt geblieben. Ich berichte über sie unter ausdrücklicher Ermächtigung ihres Hauptzeugen, des gewesenen Fürstbischofs Doktor Hefter, auf Grund einer mir übergebenen schriftlichen Aufzeichnung, der ich im nachstehenden fnlf“ r

„Im November 1918 leitete Feldmarschall Boroevic von Klagenfurt aus die letzten Maßregeln zur Rückführung der Isonzoarmee. Er machte mir eine Antrittsvisite. Bei diesem ersten Besuch sagte er mir, er hoffe, in 20 Tagen die Isonzoarmee zurückgeführt zu haben. Er schaffte es aber, wohl begünstigt durch das schöne Herbstwetter, in zwölf Tagen, ein Beispiel treuester Pflichterfüllung. Die durch Klagenfurt zurückmarschierenden Truppen waren wohldiszipliniert, in bester Verfassung, wie ich selbst bemerken konnte. Er kam öfter zu mir und ließ mich auch den einen oder anderen Blick in seine innere Verfassung und die furchtbare seelische Lage bei entscheidenden Entschlüssen an der Isonzo-front tun. Während der Klagenfurter Tage setzte er seine letzte Hoffnung auf einen erwarteten Auftrag von Kaiser Karl. Als dieser Auftrag nicht zustande kam, schwand sein letzte Hoffnung. Er kam zu mir, um sich die furchtbare Last durch eine Aussprache zu erleichtern. Er teilte mir folgendes mit: Jetzt ist alles vorbei. Ich habe an Seine Majestät zweimal telegraphisch die Bitte übermittelt, mich zu empfangen. Seine Majestät ließ mir zweimal die gleiche Antwort telegraphisch zukommen: Er wolle in besserer Zeit mir den Dank für meine Verdienste abstatten. — Aber nicht darum hatte ich telegraphiert. Heute, da alles zerschlagen und vorbei ist, kann ich Ihnen sagen, was ich wollte: Ich w o 111 e W i e n b e s e t z e n unddamit dem Kaiser die Handlungsfreiheit wiedergeben. Das konnte ich aber nur mit einem direkten Befehl des Kaisers, nicht aus eigener Initiative. Ich bin kein Oesterreicher, bin geboren in Kroatien, das heute zu Jugoslawien gehört, es gibt keinen k. u. k. Feldmarschall mehr, der in eigener Verantwortung handeln könnte. Nur der Befehl des Kaisers konnte mich bevollmächtigen, zu handeln. Ich hatte alles vorbereitet. Die nicht ganz verläßlichen Truppenteile waren mit der Eisenbahn abtransportiert worden. Die in Betracht kommenden wichtigen Eisenbahnstationen bis Wiener Neustadt hatte ich mit verläßlichen Truppen besetzt. In 24 Stunden nach erhaltenem Befehl wäre Wien besetzt gewesen. Jetzt ist alles vorbei!'

So der Inhalt seiner historisch interessanten Mitteilung, die ich nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen möchte.“

Nahe liegt die Frage, wie anders sich wahrscheinlich die Geschichte Oesterreichs gestaltet hätte, wenn Marschall Boroevic seinen Plan dem Kaiser hätte unterbreiten können. Dazu kann gesagt werden: Das Vorhaben des Marschalls war dem Kaiser, wie man annehmen darf, nicht verborgen geblieben. Er kannte die Treue und kühne Entschlossenheit dieses großen Soldaten und erriet vermutlich dessen Absichten. Und hier setzte zweifellos schon sein Widerstand gegen ein gewalttätiges Eingreifen ein, das blutige Ereignisse in Aussicht stellte. Mehr als einmal war der Kaiser vor eine ähnliche Entscheidung gestellt gewesen und immer hatte er gegen die Gewalt, sogar gegen die Interessen der Krone, aber für den Frieden entschieden.

Seinen Lebensabend verbrachte der Marschall unter bescheidensten Verhältnissen mit seiner Frau in der Nähe von Klagenfurt. Sein einziges Einkommen war der durch die Geldentwertung sehr dürftige Bezug, den er als Träger des Theresien-Kreuzes aus dem Fonds der Maria-Theresien-Stiftung erhielt. Das sittliche Ethos, aus dem dieser Mann schöpfte, wurde ganz offenbar durch die Art, wie er sein bitteres Schicksal ertrug. Gestern noch der in Macht und Glanz stehende große Feldherr, war er förmlich über Nacht in kleinlichste Verhältnisse und Armut gestürzt worden. Die neuen Herren der slowenischen und kroatischen Ländergebiete, die er durch eine lebendige Mauer gegen die feindliche Ueberflutung geschützt, durch vier Jahre unter dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit vor dem Unglück bewahrt hatte, Kampffeld zu werden, hatten ihn, den großen Sohn ihres Volkstums, übel gelohnt. Er wurde aller seiner Habe, die in ihre Hände fiel, beraubt. Als er nach seiner Ankunft in Klagenfurt seinen ersten Besuch in der Klagenfurter bischöflichen Residenz machte, besaß er, wie er lächelnd sagte, nur seine Uniform und zwei Sacktücher. „Meine sonstige Kleidung und Wäsche haben mir meine Landsleute in Laibach weggenommen. Eines der beiden Sacktücher wasche ich mir immer selbst, weil ich doch nicht ein Sacktuch zur Wäsche geben kann.“

In einem Brief, den er kurz vor seinem Tode am 4. April 1920 an einen Freund richtete, schrieb er:

„Ich habe dieselben (seine materiellen Sorgen) bisher für mich behalten und als eine Fügung des unerforschlichen Schicksals betrachtet, gegen das zu murren ebenso vergebens wie unchristlich wäre. Wohl ist es wahr, daß der Nationalrat in Laibach, während ich noch in Udine war, mein auf der Bahn zurückrollendes Privatgepäck in Krain beschlagnahmen ließ und selbst von meinen Orden, meinem Marschallpatent, dem Privatgepäck meiner im Feldspital in.Tarcento tätigen Frau nicht abstand. Der unendliche Schaden ist nicht ersetzt. Auch ist es richtig, daß alle meine Friedens- und Kriegsersparnisse, die ich in Form von ungarischen Kriegsanleihen dem Vaterland zur Verfügung stellte, gesperrt, im Südslawenstaat vielleicht wertlos sind und ebensowenig Zinsen tragen wie die Kaution meiner Frau. Wenn ich hinzufüge, daß der Südslawenstaat meine Bitte um Ausfolgung meiner Pension bisher überhaupt nicht beantwortete, so habe ich das Bild meiner materiellen Situation erschöpft. Ich lebe seit der Demobilisierung zur Miete in zwei kleinen Zimmern eines Häuschens am Wörther See von meiner Theresien-Orden-Pension und von — Schulden und bin nicht in der Lage, meine seit Kriegsbeginn in Wien deponierte Einrichtung an mich zu ziehen und mich irgendwo niederzulassen. Trotzdem blicke ich, von Jugend auf an Entbehrungen aller Art gewöhnt, und von meiner braven Frau unterstützt, ungebrochen der Zukunft entgegen. Daran ändert auch die traurige Tatsache nichts, daß mir die Machthaber des Südslawenstaates bisher nicht gestatteten, deren Gebiet zu betreten, weil ich deren wiederholte Zumutung, Ehre und Pflicht zu vergessen und meinem Eide untreu zu werden,

entschieden zurückgewiesen habe. Ich habe bisher vergebens versucht, für die durch diese Zumutung mir angetane Schmach Satisfikation zu erlangen. All das tritt aber zurück gegen den einen in mir bohrenden Schmerz, den Schmerz über das Schicksal meines allerhöchsten Kriegsherrn...“

Den im 64. Lebensjahr stehenden, geistig und körperlich noch rüstigen Marschall traf ein Schlaganfall, dem er am 23. Mai 1920 im Klagenfurter Krankenhaus erlag. Offiziere hielten an seiner Bahre die Ehrenwache. Die „Volkswehr“ hatte ihm einen militärischen Kondukt verweigert. Doch die französische und englische Kommission, die zur Volksabstimmung in Kärnten weilte, bezeugte dem einstigen Gegner aus dem Felde die ritterliche Ehrerbietung. Ein Kapuzinerpater war zur Einsegnung erschienen. Fürstbischof Doktor Hefter, der in letzter Stunde zufällig von dem Begräbnis erfahren hatte, trat an seine Stelle und sprach am Grabe. Seine letzte Ruhestätte fand das Sterbliche des Marschalls am 21. Oktober 1920 in den Arkaden des Wiener Zentralfriedhofes, wo ihm sein Kaiser ein Ehrengrab gestiftet hatte. Die Begräbnisfeier wurde zu einer außerordentlich eindrucksvollen Totenehrung. Viele tausende alte Soldaten, Menschen aus allen Bevölkerungsklassen gaben ihm das letzte Geleite, zu dem Feldmarschall K ö v e s s, die Generalobersten Sarkotic, Auffenberg erschienen waren. Eine ungarische Offiziers-delegation war von Oberst B e n i c k y geführt. Kaiser Karl und Königin Wilhelmine von Holland hatten Kränze gesandt, Offiziere trugen den Sarg. In der Lueger-Gedächtnis-kirche zelebrierte der gewesene Heerespropst Dr. Pawlikowski, umgeben von Feld-kuraten der alten Armee, das Totenoffizium.

Bei dieser Begräbnisfeier, über der die herbe Schönheit eines sonnigen Herbsttages lag, war noch einmal die Herzenssprache des alten Oesterreichs laut geworden. Einer der kroatischen Getreuen des toten Marschalls,. Oberstleutnant D u i c, schrieb in der „Reichspost“: „In vornehmer Gesinnung und österreichischer Pietät ist dem toten Feldmarschall heute eine würdige Totenfeier abgehalten worden und das erinnerungstreue Wien hat ihn als zweite Heimat würdig aufgenommen. Das werden die Kroaten Wien nie vergessen.“

Was für ein Instrument war doch diese k. u. k. Armee gewesen, die Armee eines Prinzen Eugen, eines Daun, Erzherzog Karls und Radetzkys! Wie in einem alten Ring kunstvoll kostbare Steine zusammengefaßt sind, so umschloß diese Armee, ein Ganzes aus ihnen formend, die vielfältigen Völkerstämme des großen Reiches. Jahrzehntelang war diese Armee von den chauvinistischen Leidenschaften umbrandet gewesen, die in den Sudetenländern und in Ungarn das politische Leben zerrütteten, ohne dadurch in ihrem inneren Gefüge erschüttert zu werden.

Wo war noch ihresgleichen, von ihrer Natur, von ihrer Geschichte und ihrer kulturellen Leistung im Dienste des Friedens!

Aus Dr. Friedrich Funder: „Vom Gestern ins Heute“, Verlag Herold, Wien, 2. Auflage 195Jv

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