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Der große Rausch

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DER NATIONALSOZIALISMUS. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit. Von Martin Broszat. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1960. 68 Seiten. Preis 4.80 DM

Martin Broszat ist den Historikern der jüngsten Geschichte durch eine Reihe von hervorragenden Arbeiten im Rahmen des Instituts für Zeitgeschichte in München bekannt, ebenso als Bearbeiter der autobiographischen Aufzeichnungen des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß. In der vorliegenden Schrift setzt er sich mit der Wirklichkeit des Nationalsozialismus als „Weltanschauung“, programmatisches Wunschbild und Wirklichkeit auseinander. Was Broszat klar erkannt hat, ist die Tatsache, daß im Nationalsozialismus ein Strom verschiedenster Gedanken und Programme zusammenkam, die jahrzehntelang einen großen Teil des deutschen Bürgertums faszinierten, ohne aber eine wirkliche Konzeption, etwa nach dem Muster des marxistischen Programms, zu haben. Deshalb der frühe Streit um die „reine Lehre“, schon anhebend in der Münchner Urzelle der Partei und sich fortsetzend bis zu Erscheinungen wie etwa Hans Frank, der glaubte, von einer völkischen Rechtsauffassung her, eine „Weltanschauung“, die längst im totalen Macht-' und Polizeistaat .der Heydrich und Bormann Wirkli(&k*i£: geworden war, zu bekämpfen. Die Wurzeln des Nationalsozialismus und seiner Ideologie lagen weniger in der Philosophie Fichtes, Hegels oder Nietzsches als in den Vorstellungen und Leitbildern nationaler und rassentheoretischer Gruppen und Grüppchen, die seit 1870/71 im ganzen deutschen Sprachraum aufblühten. Auf diesem Nährboden, der etwa von den deutsch-völkischen Studenten bis zum konspirativen Dunkel der Münchner Thüle-Gesellschaft, des Kameradschaftsbundes in den Sudetengebieten und anderer „völkischer“ Logen reicht, konnte sich Hitler in München „aufbauen“ und festigen. Dabei ist es wohl eine Kuriosität, daß er die völkischen Ideen sehr bald preisgab, wenn außen-oder innenpolitische Taktik dies erforderte: 1929 der endgültige Verzicht auf Südtirol, und im selben Jahr das Stoppen der antiklerikalen Propaganda, um sich die Redefreiheit in Bayern zu erkaufen. Bezeichnenderweise haben auch die reinen Ideologen in seiner Umgebung seit 1933 keinerlei Einfluß mehr gehabt, wie das Beispiel Rosenbergs zeigt; die engsten Mitarbeiter fühlten sich nie an dogmatische Richtlinien gebunden. Gewisse Grundvorstellungen allerdings waren bei Hitler unverrückbar und bildeten das eigentliche Dogma, nämlich den „Hitlerismus“: die biologisch materialistische Auffassung von der Selektion des Schwachen durch das Starke, die geopolitische Konzeption von der Notwendigkeit und Mission großräumiger Ostpolitik, der Antisemitismus, den er noch in seinem Testament buchstäblich als letztes Vermächtnis herausstellte. Da Hitler aber allen Versuchen, die sogenannte Weltanschauung des Nationalsozialismus durch eine detaillierte Exegetik verbindlich festzulegen, nur ein Lächeln abgewann, erklärt sich auch seine Einstellung zum sozialen Anliegen seiner Bewegung. Gerade das bewußte Herausstellen als „Arbeiterpartei“ und die stark Sozialrevolutionären Forderungen des Parteiprogramms nach Verstaatlichung der Trusts, Gewinnbeteiligung der Arbeiter in den Großbetrieben und Überführung der Warenhäuser in Kommunaleigentum ebenso wie die Durchführung einer Bodenreform richteten sich gegen das Großkapital und die Industrie, also genau gegen jene Gruppen, die neben der Reichswehr am Entstehen der NSDAP durch so manche Hilfe im Dunkeln sehr beteiligt waren. Hitler, der ein Meister der innerparteilichen Taktik war, wußte, daß ein starker linker Flügel die „antikapitalistische Sehnsucht“ vertrat, wie etwa die Gebrüder Strasser, auch ein Teil der norddeutschen Gruppen, nicht zu vergessen die Gewerkschaftsorganisationen.

Goebbels selbst kam aus diesem linken Flügel und führte Wahlkämpfe mit klassenkämpferischen Parolen. Erst nach der Septemberwahl des Jahres 1930 und dem feierlichen Legalitätseid Hitlers vom 25. September dieses Jahres, anläßlich des Prozesses gegen drei Ulmer Reichswehroffiziere, begann die Periode des Anbiederns nicht nur an die nationale Rechte, sondern auch an die Ruhrindustrie, die Großagrarier und die Reichswehr. Damit mußte es zum Bruch mit Otto Strasser kommen, zu Enttäuschungen, wie sie etwa der eben noch gefeierte, in Leipzig verurteilte Leutnant Scheringer erlebte, der am 18. März 1931 der KPD beitrat. Der sozialrevolutionäre Flügel hat, immer mehr zurückgedrängt, seine Bedeutung eingebüßt, wobei auch der 30. Juni 1934 eine Abkehr vom revolutionären Programm und eine Stufe zur Aufrichtung des to-. talen Polizeistaates war. Auch Versuche von geistigen Gruppen der Schule um Othmar Spann, eine Ständisch gegliederte Gesellschaft nach 193 3 ins Leben zu rufen, scheiterten an dem von Hitler inaugurierten Aufbau einer totalitären Staatspartei, die genau nach dem einstigen Prinzip, daß inmitten der völkischen Gruppierungen die NSDAP die beherrschende Macht sein müßte, nunmehr die Erfassung der ganzen Nation durchzuführen begann. Damit wurden aber innerparteiliche Ansätze zu einer Demokratisierung, wie etwa die Ernennung von „Senatoren“ zur Führerwahl (ein entsprechender Saal wurde im Braunen Haus in München sogar Senatorensaal genannt), ebenso eine Farce, wie die von Hans Frank nie herausgegebene „völkische“ Rechtsordnung.

Der Verfasser hat mit Recht als Abschluß seines Buches geschrieben:

„Als Wehanschauungsbewegung, die kaum verbindliche Inhalte kannte, Programmpunkte und ideologische Sätze fast ausschließlich als taktische Spielmarken benutzte, die man setzen und nach Belieben auch wieder einkassieren konnte, sondern fast ausschließlich aus Dynamik und aggressiver Energie bestand, ist der Nationalsozialismus in Deutschland die unheimliche Verkörperung einer solchen universalen Ekstase gewesen.“ Es wäre zu untersuchen, wie der Mensch der modernen Gesellschaft durch die Manipulation der Propaganda und Scheinideologie in den „großen Rausch“ des Totalitarismus verfallen konnte. Für eine geistesgeschichtliche Untersuchung des Nationalsozialismus ist Broszarts Abhandlung ein äußerst ergiebiger Ansatz. Die Bibliographie und das exakte Personenverzeichnis mit Kurzbiographien verdienen besonders hervorgehoben zu werden.

SCHÖPFER UND VOLLENDER AM WELTBILD DER CASA DE AUSTRIA. Von Egbert Silva Tarouca. Bergland-Verlag, Wien. 51 Seiten mit 12 Bildbeigaben und 6 Stammtafeln (Österreich-Reihe, Band 109).

Welch ein Gegensatz zwischen Vater und Sohn! Der Vater, Kaiser Friedrich III., phlegmatisch, tem-porisierend, einer der Kunktatoren des Hauses Österreich. In einer langen, „tatenlosen“ Herrschaft hatte er die glänzendsten Persönlichkeiten seiner Zeit, seinen Schwiegersohn Karl den Kühnen und seinen Rivalen in der Burg zu Wien, Mathias Corvinus „überdauert“.

Der Sohn, Maximilian I: der letzte Ritter und zugleich der erste moderne Herrscher im Römischen Reich. Romantisch, ins Ferne greifend, der Zeit hingegeben und zugleich der Vergangenheit, Humanist und Schriftsteller, eine reichfacettierte Persönlichkeit voll von Weiten.

Zwischen Vater und Sohn lag nicht nur der Durchbruch einer neuen Zeit. Mit der Mutter Maximilians, Eleonore, war das Bluterbe des portugiesischen Herrscherhauses in das Geschlecht der Habsburger gelangt. Die erste Seefahrernation jener Frühzeit, auf dem Wege zu neuen Welten, die bereits entdeckt waren, als Friedrich III. starb und Maximilian I. zur Herrschaft kam, verdankte ihre Erfolge dem Tatendrang, der Aufgeschlossenheit und dem Weitblick ihres Herrscherhauses. Eleonore von Portugal starb, als ihr Sohn zehn Jahre alt war, aber das Erbe ihres Hauses wirkte in ihm weiter.

Der Zug zum Mondialen, in das Geschlecht der Habsburger gebracht, fand seine völlige Ausprägung durch eine zweite iberische Heirat: Jene Philipps des Schönen mit Johanna, der Erbin von Kastilien, Aragon und der Königreiche jenseits der Meere. Im ehemals burgundischen Brüssel kam der Sohn dieser Ehe,Karl V., zur Welt, dessen „Plus Ultra“ über den Säulen des Herkules zur Devise seines christlichen Weltherrschaftsgedankens wurde. Dem Schöpfer des Weltbildes der Casa de Austria, Sohn einer portugiesischen Mutter, folgte der Vollender, Sohn einer spanischen Mutter, in der Herrschaft Die großen Con-quistadoren- und Seefahrernationen, Träger des Christentums in ferne Kontinente, hatten durch ihr Bluterbe dem Hause Habsburg mächtige, ja bestimmende Impulse verliehen. — Die gehaltvolle, anregend geschriebene und ein reiches historisches Wissen erweisende Studie kann man sich sehr wohl als Vorläufer zu weiteren, in ihrem Umfange weniger begrenzten Arbeiten zu diesem Gegenstand denken.

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