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Der Großinquisitor

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Im Oktober wurde über das Schweizer Radio ein Gespräch zwischen Dr. Hans Kühner und Prof. Hans Küng ausgestrahlt. Thema: Küngs neuestes Buch „Unfehlbar? — Ein Anfrage“. Die Hörer hatten Gelegenheit, Fragen zum Thema zu stellen, die im Anschluß von vier Theologen beantwortet wurden.

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Im Oktober wurde über das Schweizer Radio ein Gespräch zwischen Dr. Hans Kühner und Prof. Hans Küng ausgestrahlt. Thema: Küngs neuestes Buch „Unfehlbar? — Ein Anfrage“. Die Hörer hatten Gelegenheit, Fragen zum Thema zu stellen, die im Anschluß von vier Theologen beantwortet wurden.

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Diese Sendung hat in weiten Kreisen der Schweizer Katholiken schwere Enttäuschung hervorgerufen. Es ist hier nicht der Ort, ausführlich darauf einzugehen; es sei nur auf einige Punkte hingewiesen: Gleich zu Beginn sprach Kühner von „einem offensichtlichen Schisma in der katholischen Kirche“. Dieser Ausdruck war sogar Küng zu stark, und er versuchte, ihn etwas abzuschwächen. Prof. von Allmen, der reformierte Dozent von Neuenburg, hat nachher betont, daß er die Sache nicht so schwarz sehe wie die beiden katholischen Vertreter. Bevor Küngs „Anfrage“ überhaupt innerkirchlich verarbeitet und beantwortet werden konnte — die namhaften katholischen Blätter konnten in dieser kurzen Zeit noch keine Besprechung veröffentlichen — trägt Küng seine destruktive Kritik am Papsttum mit Hilfe der Massenmedien bereits in breiteste Volkskreise.

Es war peinlich, wie scharf Küng Rom mit Schlagworten wie „Römischer Absolutismus“ anschwärzte. Wörtlich sagte er: „Es wird doziert und kommandiert!“ (Stimmt das? Hat nicht Rom beim letzten Dekret [Mischehe] die Bischofssynode und sämtliche Bischofskonferenzen eingehend konsultiert, wie die deutschen Bischöfe in ihrer Stellungnahme gegen Prof. Küng eindeutig feststellten?)

Auch an die Bischöfe werden scharfe Zensuren ausgeteilt. Küng wirft ihnen „episkopalen Konformismus“ vor. Wörtlich: „Die Bischofskonferenzen tagen unter sich“ (sollen sie etwa mit der Handelskammer oder mit den Gewerkschaften tagen?). Sehr massiv war die dann folgende Anschuldigung: „Die wenigsten Bischöfe wagen die Wahrheit zu sagen!“ So wird das Volk verhetzt und die Andersgläubigen müssen ob solcher Äußerungen jede Achtung vor den Führern der Kirche verlieren. Wenn man den Timotheus-Brief kennt, wenn man weiß, wie die Bischöfe von Amts wegen verpflichtet sind, die Wahrheit zu verkünden — „opportune, importune — gelegen oder ungelegen“ —, dann kann man diese Aussage Küngs nur als eine massive Disqualifizierung der Bischöfe zu Feiglingen werten. Sehr ausfällig wurde Küng gegen

Kardinal Danielou, den er öffentlich als „Großinquisitor“ brandmarkte. Und das nur, weil Danielou sich von seiner anfänglich progressiven Einstellung zu einer gemäßigten Haltung durchgerungen hat. Jedermann weiß aus der Literatur, mit welchen Hypotheken der Ausdruck „Großinquisitor“ belastet ist. Einen Kurienkardinal der katholischen Kirche, der zudem als Philosoph internationalen Ruf genießt, am Radio ohne jeden Beweis mit einem solchen Schimpfwort zu titulieren, verstößt sogar gegen die bloße An-standspflicht. Küng: „Für mich ist Danielou zu einem Mann der Nachhut geworden. Man hat nicht immer die Kraft, an der Spitze zu marschieren.“

Wie deplaciert es war, rein innerkatholische Fragen mit Vertretern anderer Konfessionen am Radio zu diskutieren, zeigte die Reaktion von Prof. Stalder, Theologieprofessor an der altkatholischen Fakultät in Bern, der auf die Frage, wie er sich zum Modus der Papstwahl stelle, lachend erklärte, darüber wolle er sich nicht äußern.

Auf die Frage, wie er sich zum Vorstoß von Küng stelle, sagte Professor Stalder dreimal hintereinander mit allem Nachdruck, daß er sich darüber freue, denn der Primat sei ja der Grund dafür gewesen, daß die Altkatholiken mit Rom in Streit geraten seien. Man muß sich an den Kopf greifen und sich fragen, warum Küng eigentlich nicht die nächstliegende und handgreiflichste Schlußfolgerung zieht: Wenn er doch genau das will, was vor ihm bereits die Altkatholiken erstrebt haben, warum wechselt er dann nicht die Fakultät? Nach den Worten von Professor Stalder könnte er damit rechnen, dort mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Die Altkatholiken würden sich freuen, Küng könnte sich freuen, denn dann wäre er mit einem Schlag Primat und Zölibat los, und auch die Katholiken dürften sich freuen, denn sie haben allen Grund, Gott darum zu bitten, daß er den Hirten nicht noch mehr schlage und die Herde noch mehr zerstreue (Mt 26, 31). Küng sprach von den Marien-Dogmen so, als wären diese reichlich überflüssig gewesen, und dann sprach er einen Satz aus, den ich als sehr' schwerwiegend empfunden habe: „Wir haben den Geist Gottes herausgefordert.“ Wen meint Küng damit? Ich habe lange über diesen Satz nachgedacht. Als ich am anderen Morgen, am 15. Oktober 1970, am Fest der hl. Theresia von Avila, kurz nach 6.30 Uhr in Basel in die St.-Marien-Kirche trat, begann ein junger Priester mit der Lesung. Er begann mit folgendem Satz aus dem Alten Testament, Ezechiel 34, 23: „Ich bestelle über sie einen einzigen Hirten, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David; er soll sie weiden, er soll ihr Hirt sein. Ich, der Herr, will ihr Gott sein, und mein Knecht David wird Fürst in ihrer Mitte sein; Ich, der Herr, habe gesprochen.“

Nach der allgemeinen Auffassung der Exegeten steht David vorbildlich für Christus. Christus aber hat sein Hirtenamt für die irdische Pilgerschaft des Gottesvolkes an Petrus delegiert (Mt 16, 17 und Joh 21, 15): „Weide meine Lämmer, weide meine

Schafe!“ Die soeben zusammen mit der hl. Theresia von Avila zur Kirchenlehrerin erhobene Katharina von Siena schrieb im April 1376 an die Regierung von Florenz: „Ihr wißt ja, daß Christus Seinen Stellvertreter zurückließ zum Heil unserer Seelen. Wer dem Christus auf Erden, der den Christus im Himmel vertritt, nicht gehorcht, der nimmt am Blut des Gottessohnes nicht teil... wer sich gegen die heilige Kirche und unsern Vater, den Christus auf Erden, empört, ist ein eiterndes Glied...“ (Ferdinand Strobel: Katharina von Siena, Politische Briefe, 1944, Seite 143, Benziger-Verlag.).

Nach all dem Aufruhr, den der Vortrag in mir hinterlassen hatte, hat mich dieses Wort aus Ezechiel wie ein Donnerschlag getroffen. Ist es nicht ein Frevel, das Wort Gottes „entmythologisieren“ zu wollen, dieses Wort Gottes, das so klar ist wie der Himmel über dem Sinai? (Küng fordert in seinem Buch die „Ent-mythologisierung des Lehramtes“). Herr, gib uns Kleingläubigen doch neuen Mut und laß uns mit ganzer Kraft auf Dein allmächtiges Wort vertrauen! Und vor allem, laß nicht zu, daß sie den Hirten der Kirche zu einem Ehrenpräsidenten degradieren. „Ich bestelle über sie einen einzigen Hirten.“ An diesem Wort wollen wir festhalten, wie es unsere Väter seit 2000 Jahren getan haben.

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