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Der Großschriftsteller — privat

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BRIEFE 1948—1955 UND NACHLESE. Von Thomas Mann. 654 Seiten. Preis DM 34.—. — REDEN UND AUFSÄTZE I und II. Von Thomas Mann. 789 und 826 Seiten, Preis je DM 38.—. — THOMAS MANN. EINE CHRONIK SEINES LEBENS. Von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer. 283 Seiten. Preis DM 29.50. Alle im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

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BRIEFE 1948—1955 UND NACHLESE. Von Thomas Mann. 654 Seiten. Preis DM 34.—. — REDEN UND AUFSÄTZE I und II. Von Thomas Mann. 789 und 826 Seiten, Preis je DM 38.—. — THOMAS MANN. EINE CHRONIK SEINES LEBENS. Von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer. 283 Seiten. Preis DM 29.50. Alle im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

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„Großschriftsteller“ — so nannte ihn in seinen Aphorismen und Tagebucheintragungen Robert Musil, für den das Werk Thomas Manns wie für viele zeitlebens ein Problem gewesen ist. Kritik, ja etwas Abschätziges schwingt darin, aber auch wohl ein wenig Neid auf den erfolgreicheren Kollegen, den er wiederholt, meist durch dritte Personen, um Hilfe anging, um Empfehlungen, auch für seine (Musils) Nominierung als Nobelpreiskandidat. Thomas Mann hat wahrscheinlich von diesem Epitheton omans nie etwas erfahren, es hätte ihn kaum gekränkt, er war ganz andere Kritik gewohnt, sein Leben lang. Er, seinerseits, ließ es an Empfehlungen und Hinweisen auf Musil nicht fehlen und nannte den unvollendeten Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ bei der „Weihnachtsumfrage“ nach dem bedeutendsten Buch als erstes und einziges, obwohl er im vorhergehenden Jahr bereits darauf hingewiesen hatte (Reden und Aufsätze II, Seite 802 bis 804). Dies nur ein Beispiel für viele Urteile und Vorurteile, die man wird revidieren müssen, wenn man die beiden Essayfoände und den letzten Brief von Thomas Mann liest, der von der Tochter des Dichters, Erika Mann, herausgegeben und mit ausführlichen Anmerkungen ver sehen wurde: Thomas Manns Verhältnis zu Deutschland während des Krieges, zu den USA, deren Bürger er geworden war, seine Rückkehr nach Europa, die ersten Reisen und Reden im geteilten Deutschland, schließlich die Wahl seines letzten Domizils in der Schweiz, in Kilchberg bei Zürich, „zwecks Verbringung des Lebensabends und schriftstellerischer Tätigkeit“, wie es in der durch die eidgenössischen Behörden erteilten Aufenthaltsgenehmigung heißt

Dieser „Lebensabend“ war freilich nicht sehr idyllisch, man weiß, was alles an Ehrungen und Ansprüchen, aber auch an Kritik und offener Anfeindung auf den Heimgekehrten niederging. Man weiß — und weiß nicht genug davon, ohne die Briefe dieser letzten Jahre gelesen zu haben. In ihnen tritt uns ein Mensch entgegen, der es sich nicht leicht machte, zu dessen Charaktereigenschaften, zu dessen Ethos die ständige und skrupulöse Gewissenserforschung gehörte, der nie ein Wort gegen seine Überzeugung schrieb — und natürlich dafür von der Mitwelt entsprechend in Buße genommen wurde. Allein das Problem West- und Ostdeutschland war ein so heißes Eisen, daß es allein genügte, sich daran für die Dauer des Lebens-

abends die Finger zu verbrennen. Man erinnert sich: Thomas Mann ließ es sich nicht nehmen, anläßlich des Goethe-Jahres 1949 nach dem Festvortrag in der Raulskirche auch ,im Nationalitheater von Weimar zu sprechen. Den ihm dort verliehenen Goethe-Preis in Höhe von 20.000 Ostmark (drei Wochen später erhielt er auch den Frankfurter Goethe-Preis) gab er sofort für den Wiederaufbau der Herder-Kirche in Weimar weiter.

Neben solchen Standfestigkeitsproben (schon die nächsten Jahre werden erweisen, ob Thomas Mann auch politisch richtig gehandelt hat) galt es, die Forderung des Tages zu erfüllen: eine immer mehr ins uferlose sich ausdehnende Korrespondenz zu bewältigen — und schließlich auch eine Reihe teils selbstgestellter, teils von außen herangetragener schriftstellerischer Aufgaben zu erfüllen oder zu Ende zu führen: die letzten Erzählungen und Essays sowie den Fragment gebliebenen Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Knill“.

In seinen privaten und öffentlichen Äußerungen war Thomas Mann gar kein Diplomat — wie man aus seinem großbürgerlichen Lebensstil und seinen von vollendeter Höflichkeit bestimmten Umgangsformen schließen könnte. Er schien nicht darauf Bedacht zu nehmen, daß Schriftliches von ihm heruimgereicht und entsprechende Reaktionen aus- lösen würde. So zum Beispiel, was er an den Biologen und Schriftsteller Klaus Mampell aus Kilchberg (17. Mai 1954) schreibt: „Es ist ja ganz schön, eine Reise zu tun, aber daß Sie sich von der .Gruppe 47’ haben dazu verlocken, das heißt, auf den Leim locken lassen, wundert mich doch. Ich kenne die Unverschämtheit der sogenannten jungen Generation da drüben.“ Er selbst habe ähnliche Erfahrungen gemacht anläßlich der Rezension seines Essaybandes „Altes und Neues“: „Vor allem konstatierte man meinen Mangel an Tradition, dazu meine nationale Beschränktheit und daß es mir an europäischer Bildung fehle. Das schreibt so ein deutscher Unglückswurm, der seit ein paar Jahren erst überhaupt wieder auf der Welt ist — soweit er es ist. Da ist kein Anstand, keine Bescheidenheit, kein Wissen um das eigene Maß und um — andere Maße, keine Dankbarkeit, keine Fähigkeit zum Aufblick, zur Bewunderung, zur Liebe, ohne die man nichts lernt. Man hat nichts gelernt, in keiner Beziehung, man ist nichts als ein Frechdachs — und Sie wundem sich?“

Zu lernen, zu verehren — hierzu war der vielgelästerte „Großschriftsteller“ stets geneigt und gestimmt. Davon legen die vielen Essays und Reden, die jetzt in zwei gewichtigen Bänden gesammelt sind, beredtes Zeugnis ab. Der erste umfaßt die mehr literarischen Gegenstände, der zweite Band Aufsätze zur Zeit, Autobiographisches und Miszellen.

Das letzte Lebensjahr brachte auch viel Erfreuliches und Festlich-Feierliches, und zwar in solchem Ausmaß, daß Thomas Mann besorgt von einer „festlichen Auflösung und Verwirrung“ seines früher so streng geregelten Tagesablaufes spricht. Innerhalb weniger Monate konnte er die goldene Hochzeit und seinen 80. Geburtstag begehen und in Stuttgart, von Bundespräsident Theodor Heuss eingeladen, die große Schiller-Rede halten. Zum ersten- und letztenmal in seinem Leben war das Echo harmonisch, und es gab Ehrungen, Glückwünsche und Sympathiebezeugungen, über die er sich herzlich freuen konnte. So über die Festschrift „Hommage de la France“, die Verleihung des Offizierskreuzes der Ehrenlegion und anderes mehr. Einen Besuch in Rom benützte Thomas Mann dazu, um eine Audienz bei Papst Pius XII. nachzusuchen, was sich „mit Hilfe der Accademia Nazio- nale und eines Herrn vom Osserva- tore Romano in wenigen Tagen arrangieren ließ". (Wir werden den betreffenden Brief vom 27. Mai 1953, der über diese Audienz berichtet, einmal in den „Literarischem Blättern“ veröffentlichen).

Die von Bürgin und Mayer sorgfältig erarbeitete und mit einem Bildanhang versehene Lebenschronik schließt mit dem Abschiedsgruß Hermann Hesses von dem „lieben Freund und großen Kollegen, dem Meister der deutschen Prosa, den trotz aller Ehrungen und Erfolge viele verkannten. Was hinter seiner Ironie und Virtuosität an Herz, an Treue, Verantwortlichkeit und Liebesfähigkeit stand, jahrzehntelang völlig unbegriffen vom großen deutschen Publikum, das wird sein Werk und Andenken weit über unsere verworrene Zeit hinaus lebendig erhalten.“

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