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Der gute Deal mit der Ehe

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Die Bezirksgerichte werden häufig mit Nichtigerklärungen von Ehen, die auf den Erwerb der Aufenthaltsgenehmigung abzielen, konfrontiert.

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Die Bezirksgerichte werden häufig mit Nichtigerklärungen von Ehen, die auf den Erwerb der Aufenthaltsgenehmigung abzielen, konfrontiert.

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Nach Ansicht des Ober- sten Gerichtshofs sind Ehen, die nur auf die Erlangung der Aufent- haltsgenehmigung ab- —1— i zielen, nichtig.

Für die Nichtigerklärung einer Ehe genügt die Absicht, sich durch die Eheschließung die unbeschränkte Aufenthaltsmöglichkeit und/oder den unbehinderten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu verschaffen.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat erstmals am 30. März 1994 (8 Ob 577/93) entschieden, daß Ehen für nichtig zu erklären sind, wenn es den Ehepartnern nur um Arbeit und Aufenthalt ging, eine Lebensgemeinschaft aber nie eingegangen wurde. Ob diese Auslegung jedoch im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmüngen steht, war vor dieser Entscheidung ungewiß.

Nach Paragraph 23 Ehegesetz (EheG) ist eine Ehe unter- anderem dann nichtig, wenn sie ausschließlich nur deswegen oder vorwiegend geschlossen wurde, dem Partner den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, ohne daß die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll. Da früher mit der Eheschließung automatisch die Staatsbürgerschaft erlangt wurde, war der Anwendungsbereich der Bestimmung eindeutig. Nach den geltenden Regeln des Staatsbürgerschaftsgesetzes vermittelt die Eheschließung aber nur mehr eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit.

Die reine Staatsbürgerschaftsehe gibt es nicht mehr; Paragraph 23 EheG wäre bei wörtlicher Auslegung bedeutungslos. Der OGH hat nun den Anwendungsbereich auf die genannten Fälle erweitert. Konkret ging es im Anlaßfall um eine türkische Staatsbürgerin, die einen Österreicher ehelichte, um den Befreiungsschein nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und in weiterer Folge auch die Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft war nie geplant.

Das Erstgericht wies die Klage des Staatsanwaltes mit der Begründung ab, daß Paragraph 23 EheG eben nur Staatsbürgerschaftsehen betreffe; werde der Erwerb derselben nicht beabsichtigt, ist die genannte Be stimmung nicht anzuwenden. Diese Ansicht entsprach auch der bisher vom OGH beschrittenen Linie, wonach die bloße Absicht, eine Arbeitsund Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen, keinen Nichtigkeitsgrund darstellt (Entscheidung vom 9. Juli 1992, 6 Ob 564/92).

STAATSBÜRGERSCHAR

Gegen diese Entscheidung wandte sich der Staatsanwalt schließlich an den OGH. Der Gerichtshof stellte klar, daß der Staatsbürgerschaftserwerb für Ausländer nach geltender Rechtslage nur noch von untergeordnetem Interesse sei. Aufenthaltsgenehmigung und Befreiungsschein würden heute aufgrund der Liberalisierung des Arbeitsmarktes nicht mehr vom Vorliegen der österreichischen Staatsangehörigkeit abhängen. In einer erst kürzlich veröffentlich ten Entscheidung (20. September 1994, 4 Ob 554/94) betonte der OGH, daß der Gesetzgeber des EheG die Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts nicht beurteilen konnte.

Der Zweck des Verbotes von Staatsbürgerschaftsehen sei schon damals die Verhinderung des Zuzuges ausländischer Personen auf den inländischen Arbeitsmarkt gewesen. Strebe jemand nur den Befreiungsschein an, ohne die Ehe vollziehen zu wollen, müsse diese für nichtig erklärt werden.

Daß es sich bei diesen Ausführungen nicht um rein dogmatische Probleme handelt, beweist die Praxis. Die Bezirksgerichte werden immer häufiger mit der Nichtigerklärung von Ehen aus den besagten Gründen konfrontiert.

Ausländer(innen) kratzen ihre gesamten Ersparnisse zusammen, ge ben sie einem Vermittler, der einen Ehepartner ausfindig macht und einen Teil der Provision einstreift. Beträge von 10.000 Schilling und mehr für heiratswillige Inländer(inn)en sind durchaus üblich. Den Vermittlern sind offenbar einschlägige Treffpunkte bekannt, wo sich Personen gerne für eine Eheschließung zur Verfügung stellen. Dabei wird im Regelfall eine Scheidung nach einigen Monaten vereinbart; eine Wohnung wird so gut wie nie gemeinsam bezogen. Zumeist lernen die „Brautleute“ einander erst am Standesamt kennen.

Die Nichtigerklärung bringt dazu - verglichen mit der Scheidung — den Vorteil, daß sie rückwirkend wirkt. Die Ehegatten werden so gestellt, als hätten sie nie geheiratet. Nicht selten sind daher die Inländer im Verfahren geständig; sie können im Grunde nichts verlieren.

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