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Der gute Wille

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Unter den 52 Kardinälen, die Ende dieser Woche in der Sixtinischen Kapelle in Rom zum Konklave zusammentreten werden, um den neuen Papst zu wählen, wird zum erstenmal seit Jahrhunderten kein österreichischer Kardinal sein. Kein Kardinal aus der Republik Oesterreich, aber auch kein Kardinal aus jenen katholischen Ländern, die bis 1918 das alte, größere Oesterreich bildeten. Die Kardinäle von Gran und Agram können nicht kommen, der Erz-bischof von Wien, der auch nach 1918 immer Träger des Purpurs war, ist nicht Kardinal. Noch vor ?5 Jahren, beim Konklave des Jahres 1903, hat Oesterreich die Wahl des Heiligen Papstes Pius X. entscheidend beeinflußt/und heute ist Oesterreich in diesem höchsten Forum der Kirche nicht vertreten.

Was immer man in dieser Tatsache sehen will, den Ausdruck der politischen Veränderung Europas im letzten halben Jahrhundert, die aus einer Großmacht, der letzten Hüterin des sakralen, übernationalen Reichsgedankens, einen Kleinstaat werden ließ, auf keinen Fall kann aus diesem Fehlen Oesterreichs beim Konklave auf eine bewußte Distanzierung, auf ein gewolltes Zurückdrängen oder An-den-Rand-Stellen Oesterreichs geschlossen werden. Daß der Erz-bischof von Wien zur Zeit nicht den Purpur trägt, ist kein österreichischer Sonderfall. Auch andere Länder mit ebensolchen aus der Tradition entspringenden Erwartungen sind in gleicher Lage, da der verewigte Papst in den letzten Jahren trotz aller Erwartungen kein Konsistorium zur Ernennung neuer Kardinäle abgehalten hat. Wäre ein solches erfolgt, so wäre gewiß auch ein österreichischer Bischof der höchsten Auszeichnung für würdig befunden worden.

Das Wirken Pius' XII. als Diplomat, als Kardinalstaatssekretär und als Papst fiel in eine Zeit des Umbruchs und des Ueberganges. Die Partner der Kurie in der überstaatlichen Ordnung, die katholischen Herrscher, die katholischen Regierungen, die katholischen Staatssysteme, sind vielfach verschwunden, geblieben aber ist das katholische Volk. Und dieses katholische Volk in Oesterreich hat sich diesem Papst in einem Maße verbunden gefühlt wie kaum einem seiner Vorgänger; das hat nicht zuletzt die gewaltige Anteilnahme aller Schichten des Volkes an den letzten Tagen und Stunden, am Sterben und Tod des Papstes bewiesen. Als der Kardinal-Staatssekretär Pacelli 1939 zum Papst gewählt wurde, da erfuhr das österreichische Volk, das damals nicht seinen Namen und nicht den Namen seines Landes tragen durfte, von dieser Wahl durch einige lakonische Zeilen irrl „Völkischen Beobachter“. Als dieser Papst starb, erlebte dieses gleiche österreichische Volk sich wahrhaft als eine Herde, die um ihren Hirten bangt.

Und der Hirt hat auch seiner Herde gedacht. Wenige Tage noch vor dem Tod des Papstes hat der Apostolische Nuntius in Wien, Erz-bischof Dellepiane, in einer Privataudienz in Castelgandolfo dem Heiligen Vater von den Fortschritten Oesterreichs in vielen Beziehungen berichten können. Mit besonderer Freude, so heißt es, habe der Heilige Vater vernommen, daß Regierung und Volk von Oesterreich absolut guten Willen zeigen, die noch bestehenden letzten Fragen in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Oesterreich zu lösen. Die letzten Worte des Heiligen Vaters an Oesterreich, wenige Tage vor seinem unerwarteten Tod, waren Worte des Grußes und Worte des

Segens. Das besonders herzliche und väterliche Interesse des Papstes an Oesterreich in der letzten Unterredung habe gezeigt, sagt Erz-bischof Dellepiane, daß der verewigte Papst mit besonderer Liebe an Oesterreich gehangen sei und daß diese Gesinnung väterlichen Wohlwollens auf keinen Fall dadurch beeinträchtigt wurde, daß trotz gutem Willen von allen Seiten in gewissen Fragen der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Oesterreich bis jetzt keine endgültige Regelung gefunden werden konnte.

Diese Mitteilung ist weit mehr als eine freundliche Reminiszenz, als eine Benevolentia, die man einem hochgestellten Toten gerne bescheinigen will. Sie beweist, daß man das Verhalten des Heiligen Vaters Oesterreich gegenüber in diesem Lande in den letzten Jahren nicht immer richtig verstanden hat.

Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Oesterreich, die, wie es hier heißt, in einigen wenigen Fragen noch einer letzten Bereinigung harren, betreffen das Konkordat, jenes Konkordat, das“ der Kardinal-Staatssekretär Pacelli im Jahre 1933 unterzeichnete und dem begreiflicherweise sein besonderes Interesse galt. Dieses Konkordat, dessen Ratifizierung schon überschattet war. von den Auswirkungen jener staatsrechtlichen Veränderungen, in die die latente Bürgerkriegssituation der dreißiger Jahre in Oesterreich schließlich mündete, stand gewiß unter keinem guten Stern. Nur wenige Jahre war es in Wirksamkeit. Nach der Besetzung Oesterreichs 1938 wurde es als nicht existent betrachtet, und auch die neue Republik nach 1945 wollte es als heißes Eisen nicht anrühren. Der Papst hat die österreichische Regierung nicht gedrängt. Er hatte Verständnis dafür, daß das vierfach besetzte Oesterreich noch keine absolute Handlungsfreiheit auf völkerrechtlichem Gebiet besaß.

Als dann nach Abschluß des Staatsvertrages auch für die Zweite Republik eigentlich die Zeit gekommen gewesen wäre, sich mit dieser Frage zu befassen, da lag sie im Schatten der innenpolitischen Konstellation Oesterreichs. Und erst recht war die Konkordatsfrage zu einem Dilemma geworden, als die österreichische Regierung sich nach langem, sehr langem Warten in einem einstimmigen Beschluß des Ministerrates endlich dazu entschloß, die Gültigkeit des Konkordates anzuerkennen — wenngleich diese Anerkennung mit dem Hinweis verbunden war, daß die seit dem Abschluß des Konkordates eingetretenen Veränderungen der Erfüllung einzelner Punkte im Wege, stünden, und um die Aufnahme von Verhandlungen für den Abschluß eines neuen Konkordates ersucht wurde. Der Heilige Stuhl hat auf diesen Schritt der österreichischen Regierung mit einer Note geantwortet, die man hier als schroffe Ablehnung empfunden hat, da der Vatikan darin auf einen Beweis des guten Willens der österreichischen Regierung, das Konkordat in allen seinen Bestimmungen zu erfüllen, bestanden hat, bevor über Aenderungswünsche verhandelt werden könne.

Hatte man wirklich erwartet, daß der Vatikan sich mit der Anerkennung des Konkordates ohne seine restlose Durchführung sofort und widerspruchslos zufrieden geben wird? So hatte es den Anschein, als ob man manchmal in Oesterreich diese Note des Vatikans absichtlich als ein bewußtes Nichteingehen Roms auf die österreichischen Wünsche ansehen wollte, um dadurch den ganzen Fragenkomplex ad acta legen zu können, wobei man sich mit dem Hinweis tröstete, man habe alles getan, was man tun konnte. Denn inzwischen war die Kohkor-datsfrage zu einem innenpolitischen oder, besser gesagt, zu einem parteipolitischen Problem geworden, an das man nicht rühren wollte, weil man meinte, ein abgeschlossenes Konkordat wäre eine Waffe, derer sich auch der parteipolitische Gegner bedienen könnte. Die Sozialisten meinten, sie hätten mit der formalen Anerkennung genug getan, und befürchteten, ein zu starkes Eingehen auf die Wünsche Roms könnte ihnen nicht nur im atheistischen Kader ihrer eigenen Partei, sondern auch bei gewissen Kreisen eines freisinnigen liberal-nationalen Bürgertums schaden, die aus antiklerikalen Affekten noch immer lieber „rot“ als „schwarz“ sehen. Die Volkspartei hingegen glaubte Ursache zu haben, befürchten zu müssen, daß gerade die Sozialisten ihren Anteil am Abschluß eines Konkordates den katholischen Wählermassen gegenüber als Beweis ihres Gesinnungswandels und ihrer absoluten Wählbarkeit verwenden würden.

Und so hat man denn die im Ton zugegebenermaßen nicht übermäßig herzliche Antwortnote des Vatikans gerne als Vorwand genommen, um die Sache auf sich beruhen zu lassen. Oesterreich konnte sich bisher zu keinen weiteren Schritten entschließen, die den guten Willen zur Erfüllung des Konkordates beweisen sollten, Verhandlungen über eine Modifikation wurden nicht aufgenommen. Ja allseits konnte man hören, daß gerade unter dem Pontifikat Pius' XII. an keine Einigung zu denken sei, daß schon das Wort Oesterreich im Vatikan einen schlechten Klang besitze und daß jeder österreichische Besucher in Rom nur Vorwürfe zu hören bekomme; die Anerkennung des Konkordates durch die österreichische Bundesregierung habe in Rom keinerlei Eindruck gemacht, und alle österreichischen Bemühungen, einen Mittelweg zur Lösung der Konkordatsfrage zu finden, würden in Rom auf ein starres Nein stoßen. Alle diese Ueberlegungen endeten in der österreichischen Weisheit letzten Schluß: „Da kann man halt nix machen!“

Nun ist der Papst tot. Eine gnädige Fügung aber wollte es, daß er wenige Tage vor seinem Tod noch einmal in einem Gespräch auf Oesterreich zu reden kam. Wir dürfen diese seine letzten Worte über Oesterreich gewiß als ein Vermächtnis für Oesterreich betrachten. Kein Wort des Tadels, kein Wort des Vorwurfs an Oesterreich, kein Drängen auf restloses Erfüllen eingegangener Verpflichtung, wohl aber Worte väterlicher Güte, Worte der Liebe, Worte des Segens. Wahrlich, dieser Papst war nicht der starre Vertreter einer buchstäblichen Auslegung eines Abkommens, er hat den österreichischen Beitrag zur Lösung sehr hoch anerkannt, er hat den Beschluß der österreichischen Regierung über die Anerkennung des Konkordates sehr wohl als einen sehr wesentlichen Beitrag zu werten gewußt. Er hat jeden oder, sollte man besser sagen, er hätte jeden Beitrag der österreichischen Regierung zur einvernehmlichen Lösung letzter ausstehender Fragen mit Dankbarkeit begrüßt.

Die katholische Welt wird in Kürze einen neuen Papst als ihr Oberhaupt begrüßen können. Die österreichische Regierung sich in Bälde in einem neuen Papst einem neuen Verhandlungspartner gegenübersehen, der vielleicht neue Wege zum gleichen Ziel beschreiten wird. Die letzten Worte des verstorbenen Papstes über Oesterreich könnten neuen Gesprächen eine gute psychologische Grundlage geben. Mit dem Tod Papst Pius' XII. sind auch alle Argumente hinfällig geworden, die in seiner Persönlichkeit ein Hindernis für ein offenes und ehrliches Gespräch zur Bereinigung der kirchenpolitischen Situation in Oesterreich gesehen haben, sie sind hinfällig geworden auch dann und gerade dann, weil sie, wie die letzten Worte des verstorbenen Papstes beweisen, nicht stichhältig waren. Der neue Papst wird von Oesterreich auf keinen Fall mehr verlangen als der verstorbene: einen Beweis des guten Willens. Papst Pius XII. hat an diesen guten Willen der österreichischen Regierung geglaubt. Das katholische Volk in Oesterreich möchte an diesen guten Willen ebenfalls gerne glauben.

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