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Der Held Fidel Castro

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Kuba, die von der Geographie gesegnete und von der Geschichte verfluchte, von der Natur reich bedachte und von Menschen unglücklich gemachte größte Insel im Karibischen Meer, ist seit der spanischen Kolonisation nur mįt geringen Unterbrechungen von Revolutionen und Bürgerkriegen geschüttelt worden. Ihr Dasein haben die Heutigen, alle Weißen Kubas, einschließlich Batista und Castro, den Vereinigten Staaten zu verdanken. Was die Selbständigkeit Kubas in den letzten Jahrzehnten für seine Bewohner bedeutet hat. wie sie von ihren eigenen Herrschern geknechtet, ausgeplündert und gemartert wurden, dafür haben wir heute den Kronzeugen Castro.

Socarras, der vorletzte Tyrann, hat sich als hundertfacher Dollarmillionär aufs . Festland zurückgezogen, und er war nicht der einzige,

der seine Insel ausplünderte. Der Feldwebel Batista hat auch nur als Plünderer angefangen, und erst als sich Widerstand zeigte, wurde er zum Mörder — so wie seine anderen Kollegen, Gomez in Venezuela, Peron in Argentinien, ohne gewisse Inselbeherrscher zu erwähnen.

Die kubanische Revolution Castros war einmal anders. Ein Anwalt wollte das Unrecht nicht mit Worten, sondern mit Waffen bekämpfen. So sammelte er erst eine Handvoll, dann ein paar Dutzend, schließlich ein paar hundert und dann ein paar tausend Männer und Frauen um sich, denen alles lieber war als ein Leben unter Batista. Hätte der das Leben in Kuba nicht so unerträglich gemacht — für die Einheimischen, nicht für die Touristen, die davon kaum etwas merkten —, so hätte das Wunder ihres Sieges gegen eine ganze Armee nie gelingen können.

Der Held Castro kann heute sein Volk führen, wohin er will — noch! Daß er ein Held ist, hat er bewiesen. Nicht nur im Waffenkampf. Als Batista im März 1952 seinen Staatsstreich ausführte, machte der Anwalt Castro eine Eingabe an den Verfassungsgerichtshof, in der er die Anklage gegen Batista wegen Verfassungsbruchs verlangte und für ihn und seine Helfer hundert Jahre Zuchthaus beantragte. Der Antrag wurde zwar an den Obersten Gerichtshof abgetreten, hatte aber nur die Wirkung, daß Castro angeklagt und in ein Gefängnis gesteckt wurde, von dem er nicht wissen konnte, ob er es lebend und unverstümmelt verlassen würde. Dazu gehörte Heldenmut — und Zivilcourage.

Mut genügt aber nicht, um ein befreites Volk zu fruchtbarer Arbeit zu führen. Dazu bedarf es anderer Eigenschaften, die Coudenhove in seinem prächtigen Buche „Held oder Heiliger" geschildert hat. Hat sie Castro?

Der stärkste Vorwurf, der ihm bisher gemacht wurde, ist der der 500 Hinrichtungen nach ziemlich problematischen Verfahren vor Militärgerichten. Er verteidigt sie: sie seien gerecht gewesen, weil es sich um Mörder und Marterer handelte, und notwendig, um das Volk vor Selbsthilfe abzuhalten. Daran ist manches richtig. Mindestens die Hälfte hat ihr Schicksal verdient. Wer sich gern und freudig an den Bestialitäten des Batista-Regimes beteiligt hat, hat nach allen geltenden Gesetzen ein Schicksal verdient, das noch viel milder war als jenes, das er seinen Opfern bereitete. Bei der anderen Hälfte ist das aber durchweg nicht sicher. Das Verfahren vor den Gerichten und die Rechtsbegriffe der Militärrichter boten keine genügende Gewähr für die Feststellung der Unschuld. Gewiß hätte eine aufgehetzte Menge wahrscheinlich eine noch größere Zahl gelyncht, aber für das Recht eines Landes macht es einen gewaltigen Unterschied aus, ob Menschen gemordet oder zu Unrecht hingerichtet werden.

Denn schreckt das Recht einmal nicht vor Justizmorden zurück, dann gibt es kein Halten. Dann kommen die rückwirkenden Gesetze, geschriebene oder geübte. Schon ist ein Rauschgifthändler hingerichtet worden, obwohl kein kubanisches Gesetz seine verderbliche Tätigkeit mit dem Tode bedrohte. Schon spricht man davon, Menschen, die sich am Staatsvermögen vergriffen haben — zu einer Zeit, als das wohl im Gesetz mit Gefängnis bedroht, aber doch der Sport aller war, die sich an die Krippe drängen konnten —, mit dem Tode zu bestrafen. Und was sagt der Jurist Castro dazu? Der selbst an dem verhängnisvollen Artikel XVI des „Revolutionsgesetzes“ mitgearbeitet hat, der „Verbrechen gegen das Volksinteresse“ mit dem Tode bedroht und jede rückwirkende Auslegung zuläßt.

Bei seinen Reden in New York, vor den Anwältinnen, vor den Journalisten der Vereinten Nationen, hat er immer betont, daß er kein Mann der Waffen, sondern des Rechts sei; daß er die Revolution nicht als Oberst oder General, sondern als Anwalt geführt habe. Ein Anwalt muß aber die Bedeutung des Rechts für ein Volk verstehen. Nun, wenn man Castro sieht und sprechen hört, kann man ihm nichts Böses zutrauen. Aus einem lieben, treuherzigen, schönen Kopf kommen gewinnende Worte, die von seiner Ehrlichkeit überzeugen. Von seiner Ehrlichkeit — aber wie steht es mit den Fähigkeiten, rechtliche und politische Folgen dessen, was in seinem Namen geschieht, zu übersehen? Er ist nicht nur mutig, sondern auch klug; er ist schlagfertig, aber Schlagworten unterworfen. Man kann ihm nicht zutrauen, bewußt Böses zu tun, wohl aber, sich gutgläubig in Böses hineinreden zu lassen. Ein Beispiel: Als er gefragt wurde, ob das Demokratie sei, daß er die Wahlen erst in zwei Jahren — die jetzt gar auf vier ausgedehnt wurden — abhalten lassen wolle, antwortete er treuherzig, daß seine Partei heute das ganze Volk hinter sich habe und daß das daher keine richtigen Wahlen wären, aus der eine Partei mit hundert Prozent hervorgehen würde. Das wäre nicht fair. Man müsse dem Volke Zeit geben, sich seine Meinungen und

Parteien zu bilden. Diese Naivität ist ihm von Leuten eingeredet worden — wir werden gleich sehen, von wem —, die die Zwischenzeit benützen wollen, um die Zügel fest in die Hand zu bekommen, so daß sie sich dann nicht mehr um Wahlen zu kümmern brauchen. Castro sieht das nicht? Und wird es ihn wandeln, wenn er erst eine Zeitlang Allmacht ausgekostet hat? Die ihm aber nur dann bleiben wird, wenn er dorthin führt, wohin man ihn lenken will.

Hinter den schönen Worten in New York lauern aber schon weniger schöne Taten in Havanna. Dort hat man einmal die Mieten auf die Hälfte herabgesetzt und großen Jubel ausgelöst. Das hat aber auch die Bautätigkeit eingestellt und 100.000 Arbeiter brotlos gemacht, die nun auf die „amerikanischen Ausbeuter" schimpfen. Man spricht von Enteignungen, die selbstredend nur legal und gegen Entschädigung durchgeführt werden, und von Konfiskation aller Vermögen, die nicht ihren legalen Ursprung nachweisen können. Eine große Zahl wohlhabender Inländer und eine Milliarde amerikanischen und eine halbe Milliarde anderen ausländischen Vermögens fühlen sich bedroht, der Kapitalzufluß ist abgeschnitten, die kubanischen Gesellschaften mußten bereits um Steuervorschüsse angepumpt werden, in wenigen Monaten werden die Kassen leer sein.

Trotzdem werden solche Kunststücke versucht, wie ein Diktat, daß die Hälfte aller Ein- und Ausfuhren auf kubanischen Schiffen erfolgen müsse, deren es gar nicht genug gibt. Brauchen die kubanischen Schiffahrtslinien aber zur Erweiterung frisches Geld, so müssen sie sich zu 60 Prozent der Regierung ausliefern. Man spürt schon die Kralle der Sozialisierung. Immer häufiger versuchen Arbeiter Forderungen mit Drohung von Gewalt und Verhaftung durchzusetzen. Das erschütterte Geschäftsleben kann sich nicht aufrichten. Es wird sich zeigen, ob das alles vorübergehende oder fortschreitende Erscheinungen sein werden.

Erfahrung schärft den Blick in die Zukunft. Die Revolutionen unserer Zeit bewegen sich vom Nationalismus über Staatssozialismus zum Kommunismus, wie immer er sich nennen mag. Oft wird das Zwischenglied übersprungen. Auch in Kuba lauern die Kommunisten im Hintergrund, um den Sprung zu beschleunigen. Sie sind zahlreicher, als man glaubt, und Castro näher, als für ihn gut ist, auch wenn er es abstreitet. Gewiß waren unter seinen Kämpfern ber seiji, Kampf wurde von der-Mittelklasse tmd einem Teil der Wohlhabenden, selbst Reichen, darunter seinem jetzigen Finanzminister Rufo Lopez Fresquet, gestützt. Die Arbeiterschaft, stark kommunistisch durchsetzt, hielt sich abseits, weil ihr von Batista, nach dem Muster Perons, weitgehende Konzessionen gemacht wurden. Jetzt tun die Kommunisten so, als wäre der Sieg nur ihnen zu verdanken gewesen. Darauf pochend, schieben sie ihre Organe in wichtige Posten. Zahlen sind aber nicht entscheidend, sondern nur Energie und Organisation. An Energie fehlt es wohl nicht unter denen, die das Land eroberten, noch unter jenen, aber besser organisierten, die jede Revolution benützen, um es nicht nur mit Blut rot zu färben. Rückwirkende Strafgesetze, Todesstrafen für Wirtschaftsvergehen, Hetze gegen das Ausland, wo haben wir diese Feuersignale nicht schon gesehen?

Die Tragik liegt darin, daß die guten und gerechten Ziele einer Revolution nicht rasch zu erreichen sind, daß deren Führer aber keine Zeit haben. Agrarreformen kann man nicht einfach mit Bodenraub und Bodenverteilung durchführen, so wie man nicht Kühe Und Pferde in Stücke schneiden und verteilen kann. Das heißt, man kann es schon tun, aber das Land wird dadurch ärmer. Wie man die Lage der Arbeiter auf den kubanischen Zuckerplantagen und in den kubanischen Minen verbessern kann, könnten die neuen Führer des Landes sehr gut von der Colonial Sugar Company in Fiji und von der Katanga im Kongo lernen. Die eine hat in einer halben Generation ihre Arbeiter in wohlhabende und zufriedene Zuckerrohrbauern, die andere hat sie aus demselben primitiven Zustand, den man noch in den Minen Südafrikas beobachten kann, in wohlhabende Besitzer von Häusern und Autos mit parallel fortschreitender hygienischer und sozialer Kultur verwandelt. Ohne Subventionen, ohne staatliche Einmischung, ohne Propaganda und Wahlen. Gewiß geht so etwas nicht vor der nächsten Wahl, es braucht Zeit. Wird Castro und den wenigen unter seinen Mitarbeitern, die etwas von Recht und Wirtschaft verstehen, die Zeit bleiben, um solche Beispiele zu studieren und nachzuahmen?

Es ist schwer, für die nächste Zukunft Kubas Optimist zu sein. Was aber den Helden Castro betrifft, ist es ebenso schwer, zu sagen, ob er sich gegen alle seine erklärten Absichten zum Diktator entwickeln und wie ihn das wandeln wird. Nur dürfte die Diktatur des Castro von heute immer noch der sogenannten Demokratie seiner Helfer von morgen vorzuziehen sein.

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