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Der Hirte geschlagen, die Herde zerstreut

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III. Die Gläubigen in Stadt und Land

Im Jahre 1950 löste das kommunistische Regime alle Klöster auf und siedelte die Ordenspriester sowie Ordensfrauen an verschiedene andere Orte um. So kam es zur Bildung der bekannten „Konzentrationsklöster“, wie zum Beispiel in Moravec, Kraliky, Zeliv usw., wo die Ordenspriester bzw. Ordensangehörigen ohne Rücksicht auf ihre Ordenszugehörigkeit zusammenlebten. In den Konzentrationsklöstern wurden die Ordensangehörigen (zum Unterschied von den deutschen Konzentrationslagern) von den Wachmannschaften nicht gequält, mußten aber teilweise niedrige Arbeit verrichten. Nach einiger Zeit wurden die Konzentrationsklöster wieder aufgelöst, bis auf Moravec, das heute ein Altersheim für Ordensangehörige ist. Die übrigen Ordenspriester durften sich, soweit sie es wünschten und ihre Vorgesetzten es gestatteten, in die Seelsorge einteilen lassen. Doch mußten auch diese Ordenspriester um die staatliche Genehmigung ansuchen. Jesuiten und Salesianer, die als eingefleischte Gegner des Regimes betrachtet werden, erhielten allerdings fast nie die staatliche Genehmigung. Alle Ordensangehörigen, die sich nicht in der Seelsorge betätigen können und auch nicht im Altersheim in Moravec untergebracht sind, müssen sich ihr Leben als Arbeiter in Fabriken, Werkstätten und in der Landwirtschaft verdienen. So half das kommunistische Regime — sicherlich ungewollt — mit, daß auch in der Tschechoslowakei eine Art „Arbeiterpriester“institution entstand, die der kirchlichen Obrigkeit keine Sorge bereitet, dafür aber doch mit Erfolg unter ihren Arbeitskameraden, die vielleicht noch nie etwas von der Kirche gehört haben, allein durch ihre Haltung im Geiste der Religion tätig sein kann.

Die Ordensfrauen erlitten zuerst ein ähnliches Schicksal wie die Ordenspriester und -brüder; auch sie wurden ohne Rücksicht auf ihre Ordenszugehörigkeit gemeinsam in Konzentrationsklöstern untergebracht. Anfangs wurden viele geistliche Schwestern in den Fabriken eingesetzt und ihnen schwere Arbeiten zugeteilt. So mußten im Jahre 1951 plötzlich 120 Klosterschwestern, die durchweg Lehrerinnen gewesen waren, in der Textilfabrik von Hanusovic in Mähren arbeiten. Die Schwestern behielten ihre Kleidung bei und arbeiteten ostentativ nicht an Sonn- und Feiertagen, wofür sie viele Verhöre durch die Polizei zu überstehen hatten. Aber die Schwestern blieben standhaft und erreichten es sogar, daß ihnen in einem ehemaligen Klassenzimmer der Lehrlingsschule inmitten der Fabrik eine Kapelle errichtet wurde. Das standhafte Verhalten der Schwestern, ihr Fleiß und ihre Menschenfreundlichkeit blieben nicht ohne Eindruck auf die übrigen Arbeiter der Fabrik, was die Kommunisten mit großem Mißvergnügen bemerkten.

Wegen ihres „demoralisierenden Einflusses“ werden deshalb Schwestern heute kaum mehr zu Arbeiten in Fabriken eingesetzt, sondern müssen sich größtenteils in karitativen Anstalten betätigen. Sie pflegen unheilbar kranke und geistesschwache Kinder und betreuen alte und kranke Menschen in den Altersheimen. In den Bezirkskrankenhäusern befinden sich teilweise noch Ordenskrankenschwestern, in den Landeskrankenhäusern wurden sie im Juli 1957 durch weltliche Krankenschwestern ersetzt. Damals protestierten bedeutende medizinische Kapazitäten gegen den Austausch der Schwestern und wandten sich sogar an den Minister Plojhar, der doch selbst Geistlicher ist, konnten aber keine Aenderung der Verfügung erreichen ...

Die Ordensgemeinschaften in Böhmen sind heute zum langsamen, aber sicheren Aussterben verurteilt. Für die männlichen Orden gibt es so gut wie keine Noviziate, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann der letzte Ordensbruder oder Ordenspriester seine Augen geschlossen haben wird. Für die Frauenorden gibt es noch Noviziate, doch kann man sich leicht vorstellen, daß nur wirklich ganz heroische Seelen bei der heutigen Lage der Kirche in ein Noviziat eintreten. Dementsprechend ist auch der Nachwuchs der Frauenorden sehr gering, und auch hier ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Frauenorden ausgestorben sein werden.

Wie leben nun die Gläubigen in den böhmischen Ländern?

Die genaue Situation ist schwer festzustellen, da es kein offizielles Organ gibt, das verläßliche statistische Zahlen wiedergibt. Im allgemeinen kann man sagen, daß in den Städten die Teilnahme an den Gottesdiensten und Sakramenten sehr gut ist. In manchen Bezirken der Städte beträgt sie bis zu 3 5, ja 40 Prozent. Auf dem Land ist dagegen das religiöse Leben wesentlich schwächer. Die Teilnahme des Volkes an den Gottesdiensten und der Sakramentenempfang sind teilweise sehr stark zurückgegangen. Aber auch auf dem Land gibt es, obwohl der Druck des Regimes auf dem einzelnen stärker als in der Stadt lastet, noch Gegenden, die bis zu 40 Prozent praktizierende Katholiken besitzen.

Das System der Kirchenverfolgung in der Tschechoslowakei ist ein sehr raffiniertes. Zum Unterschied von anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang findet in der Tschechoslowakei keine offene' und brutale Kirchenverfolgung statt.

Die Kirchenverfolgung des Regimes arbeitet nach folgendem System:

Trennung des hohen Klerus vom niederen Klerus und völlige Entmachtung des ersteren durch Einkerkerung oder Konfinierung;

Erschwerung der Arbeit des niederen Klerus durch dauernde Bespitzelung von Seiten der Partei durch die kirchlichen Sekretäre und Denunzianten, Beeinflussung durch vom Staat abhängige Kapitelvikare und Konsistorien;

Fesselung des niederen Klerus an den Staat durch die Verpflichtung, einen Treueid gegenüber dem Staat abzuleisten, auf Grund dessen allein die staatliche Genehmigung für die Ausübung der priesterlichen Tätigkeit sowie die Zu-erkennung eines staatlichen Gehaltes erteilt wird;

Drosselung des Priesternachwuchses mit allen Mitteln;

Unterbindung jeder wissenschaftlichen Weiterbildung der Priester durch das Verbot der Einfuhr religiöser und theologischer Zeitungen, Zeitschriften und Bücher sowie Beschränkung der Publikation theologischer Zeitschriften und Bücher im eigenen Land auf ein lächerliche? Mindestmaß;

Absonderung des Klerus vom Volk.

Die atheistische Propaganda arbeitet gründ lieh. Vor allem sind es die Staatsangestellten. Lehrer, Mitglieder der Polizei, die Mitglieder der Kommunistischen Partei, die gezwungen werden, aus der Kirche auszutreten oder ihre Kinder vom Religionsunterricht fernzuhalten.

Die Erziehung der Kinder liegt ganz in der Händen des Staates. Bis zu 14 Jahren ist der Bub oder das Mädchen ein sogenannter „Pionier“, sein Abzeichen ist ein rotes Tuch.

Diese Organisation ist ausgesprochen gottlos. Die Führer der „Pioniere“ haben die ausdrückliche Aufgabe, die Kinder von der Teilnahme an den Gottesdiensten abzulenken.

Die SCM (Svaz Ceskoslovenske Mlädeie) ist die Jugendorganisation, welche die Jugendlichen vom 14. bis zum 25. Lebensjahr umfaßt. Die Mitgliedschaft zu diesem Verband ist Voraussetzung, um ein Studium absolvieren zu können. Viele Stellen im Staat und in der Wirtschaft werden nur an Bewerber vergeben, die Mitglied dieser Jugendorganisation waren. Auch dieser Verband propagiert die Gottlosigkeit und organisiert wissenschaftliche Diskussionen mit der Jugend über religiöse Fragen.

Die Jugend, obwohl sie ab dem 13. Lebensjahr nichts mehr von Gott hört und bis zum 13. Lebensjahr nur, wenn die Eltern es wollten, ist dennoch nicht gänzlich gottlos. Dies zeigt der Brief, den das Zentralorgan der Jugend, „Mlada Fronta“, im Juli 1957 unter der Spalte „Was antworten Sie diesem Jugendlichen?“ veröffentlichte. Dieser Brief lautete: „Ich bin ein junger Arbeiter, aber ich habe genug mit Ihrer Propaganda, mit der Sie sagen, daß auf der Welt alles von selbst entstanden ist. Glauben Sie nicht, daß es dumm ist, so zu reden? Oder glauben Sie wirklich, daß die Elemente sagten: Jetzt erschaffen wir einen Menschen', und es entstand dann ein Mensch? Oder glauben Sie, daß der Wasserstoff zum Sauerstoff sagte: .Gehen wir und verbinden wir uns zu Wasser'? Was nützen uns Traktoren und Maschinen, wenn sie aus unä keine besseren Menschen machen. Ich lese selbst die Bibel und empfehle der geehrten Redaktion, dies zeitweise auch zu tun, um nicht solche unsinnigen Behauptungen zu veröffentlichen. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie meinen Brief veröffentlichen würden, ich weiß aber, daß dies nicht geschehen wird.“

I Die Redaktion veröffentlichte diesen Brief trotzdem, und ungefähr 14 Tage später wurden neu eingelangte Briefe zu diesem Thema publiziert. Aus den Bemerkungen der Redaktion war ersichtlich, daß die „Mlada Fronta“ sehr viele Zuschriften auf den zitierten Brief des Jugendlichen erhalten hatte. Briefe, die sich für die Religion aussprachen oder sogar den Wert der Religion im Leben des Menschen betonten, wurden nur auszugsweise veröffentlicht, Briefe dagegen, die den Materialismus und die Gottlosigkeit vertraten, wurden ungekürzt in Fettdruck veröffentlicht. Es ist dies nur ein kleines Beispiel, wie das Regime kein, auch nicht das kleinste Mittel verschmäht, um die Jugend im Sinne der Gottlosigkeit zu beeinflussen.

Das Hauptgewicht der religiösen Erziehung der Jugend liegt heute auf den Schultern der Eltern; wo diese versagen, nützt der geringe Einfluß, den der Geistliche noch auf die Jugendlichen hat, nur selten. Der Staat weiß dies, setzt darum die Eltern unter schärfsten Druck und versucht, ein Familienleben soweit wie möglich zu unterbinden, indem er den Familienmitgliedern zuviel Arbeit aufbürdet, sie zu Kongressen, Veranstaltungen und ähnlichen Vr-sammlungen kommandiert und teilweise sogar die Sonntage oder Feiertage verlegt.

So ist das Leben der katholischen Kirche in den böhmischen Ländern schwer und verlangt von Priestern und Gläubigen ein heroisches Ausmaß an Treue. Aber gerade das Beispiel so vieler Katholiken wirkt ermunternd auf Schichten, die bisher der Kirche fernstanden. Die Kirche ist heute fast der einzige Raum einer, wenn auch geringen Freiheit, den der Mensch hinter dem Eisernen Vorhang betreten kann, und es ist jener Raum, wo er noch als Persönlichkeit geachtet und anerkannt wird.

Die böhmischen Länder sind in Mitteleuropa das klassische Land der Religionskriege und -Verfolgungen. In Prag zum Beispiel gibt es kaum eine Kirche, die nicht einmal im Laufe der Jahrhunderte zerstört wurde. Fast alle unsere Heiligen sind Märtyrer, die ein blutiges Zeugnis der Treue zu ihrer Kirche ablegten. Auch die jetzige Kirchenverfolgung ist schwer, aber die böhmischen Länder haben schon Verfolgungen mitgemacht, die nicht minder schwer gewesen sind. Immer wieder erhob sich die Kirche nach diesen Zeiten der Verfolgung zu neuem Glanz, rereinigt und geläutert durch den schweren Weg, den sie durchschreiten mußte.

So ist es die Hoffnung aller Gläubigen in den böhmischen Ländern, daß auch nach diesen schweren Zeiten der Bedrängnis eine neue Glanzzeit der Kirche im Land des heiligen Wenzel und des heiligen Johannes von Nepomuk anbrechen wird.

(Ende der Veröffentlichungsreihe)

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