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Der Hohe Frauentag in Tirol

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Fernab von der Unrast des Weltgeschehens hat der Tiroler Landtag schon am 11. September 1957 die Errichtung einer Landesgedächtnisstiftung beschlossen. Er wollte damit die 150. Wiederkehr des Gedenkens an die Erhebung Tirols im ruhmreichen Jahre 1809 zielweisend vorbereiten.

Schon die Wahl der Präambel gibt dem Gesetz in seiner zurückhaltenden Sprache eine besondere Note; sie drückt zunächst nur die Absicht aus, die Feier der Ereignisse von 1809 für die Freiheit des Landes in Erinnerung an die alte Landeseinheit würdig zu begehen und allen gefallenen und vermißten Landeskindern ein bleibendes Gedächtnis zu errichten. Darüber hinaus gibt aber unter betonter Voranstellung des religiösen Teiles des Gesetzesvorhabens schon der Einleitungsparagraph der Landesregierung den Auftrag, eine Stiftung zu begründen, die folgenden Zweck anstrebt:

1. Erbauung und Erhaltung einer Kapelle zu Ehren .Unserer Hohen Frau von Tirol’ in Verbindung mit einer Gedächtnisstätte, in der für das Tiroler Ehrenbuch ein bleibender, allgemein zugänglicher und in Beziehung zur Landesgeschichte gestalteter Ehrenplatz vorzusehen ist;

2. Schaffung eines Jugendhilfswerkes samt allen dazu nötigen Einrichtungen, um überdurchschnittlich begabten Tirolern den Besuch von Ausbildungsstätten zu ermöglichen.”

Neuartig ist an diesem Gesetz die Tatsache, daß das Stiftungsvermögen zu gleichen Teilen nicht nur aus Mitteln des Landes, sondern auch aus der Beitragsleistung aller Tiroler Gemeinden aufzubringen ist. Hiezu haben die Gemeindevertreter in Vorverhandlungen ausdrücklich ihr Einverständnis gegeben und damit ein glänzendes Zeugnis aufgeschlossenen Solidaritätsgefühls erbracht. Es verpflichtet schließlich den Landeshauptmann, die grundlegenden Bestimmungen des bezüglichen Stiftungsbriefes bei der 150-Jahr- Feier öffentlich „mit dem Beifügen zu verkünden, daß als Gedächtnistag dieser Landesstiftung alljährlich im ganzen Lande der Hohe Frauentag feierlich begangen wird”.

Allerdings ist der Ausgangspunkt der Stiftung das glorreiche Jahr 1809 — denn es ist in der Geschichte unseres Landes das erste weit über Oesterreich in die europäischen Staaten hinaus wirkende Beispiel geworden, wie die höchsten Ideale eines Volkes, nämlich Gottesglaube, •Freiheitsliebe und Treue zu Fürst und Vaterland schließlich die Kräfte zur Neuordnung der verworrenen Staatenverhältnisse im damaligen Europa wachgerufen haben. Trotzdem hat der Landtag mit diesem Gesetz keineswegs die Absicht verbunden, etwa kriegerische Ereignisse an sich zu feiern oder vor der Umwelt ‘ruhmredig mit dem alten „heiligen Lande Tirol” und seinen Großtaten aufzutrumpfen, als ob es die Ruhmestaten der gegenwärtigen Generation wären. Wohl aber wollte es damit — ausgehend von der pietätvollen Erinnerung an das Beispiel der Vorfahren — zu Nutz und Frommen des ganzen Landes, insbesondere die heranwachsende Jugend über den Wert der Treue zu Gott und Heimatland unterrichten und sie anspornen, von diesem gefestigten Fundament aus ein neues und kräftig erblühendes Tirol aufzubauen.

Der Jugend also gilt der Zukunftsgedanke unserer Landesgedächtnisstiftung! Daß in diesem Bestreben auch die gebotene Dankbarkeit gegenüber der Bevölkerung jenes Landesteiles, in dessen Herzstück die Stammburg de-s tirolischen Adlers ragt, eine spürbare Rolle spielt, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung, hat doch in den vergangenen Jahrhunderten gerade das Südtiroler Volk in oft entscheidender Weise seine bedingungslose Opferbereitschaft für Oesterreich unter Beweis gestellt, und zwar nicht erst im Jahre 1809, sondern all die Jahrhunderte zurück bis zum Jahre 1363, seitdem eben unter Oesterreichs Aera im einheitlichen und glücklichen Lande Tirol nördlich- und südlich des Brenners aus dem Nährboden großer Freiheitsrechte eine ehrwürdige autonome Verfassung emporblühen und Handel und Wandel in den Landgemeinden, Städten und Märkten nord- und südwärts des Brenners ohne Beschränkung gedeihen konnten.

Mit diesem Hinweis wären aber die eingangs gestellten Fragen noch keineswegs beantwortet. Es darf festgestellt werden, daß in Tirol schon aus der Zeit des ersten Weltkrieges, dank der jahrzehntelangen freiwilligen Such- und Sammeltätigkeit des seinerzeitigen Landesarchivars Hofrat Dr. Böhm, das sogenannte Tiroler Heldenoder Ehrenbuch vorhanden ist. Es ist dies ein in zahlreichen kostbar gebundenen Lederbänden niedergelegtes Verzeichnis aller gefallenen oder vermißten Landessöhne; angefangen von der Zeit der Schlacht bei Spinges im Jahre 1797 über die Freiheitskriege von 1809 bis herauf zu den Gefallenen des ersten, ja sogar des zweiten Welt- • krieges gibt es aber Tausende Namen tirolischer Familien wieder. In Sonderbänden überliefert das Tiroler Ehrenbuch auch die besonderen Heldentaten der ausgezeichneten Soldaten des ersten Weltkrieges, soweit sie an Hand der Heeresberichte und sonstiger amtlicher Quellen erfaßbar waren. So stellt es in seiner Gesamtheit ein Heldenmai von eigenartiger Eindringlichkeit dar und beweist wie kaum ein anderes Dokument mit der Aufzählung von etwa 40.000 Gefallenennamen aus Nord- und Südtirol, welche Hekatomben an Blutopfern, das Volk von Tirol für die Freiheit und Unversehrtheit seines Heimatlandes allein in den Kämpfen des ersten Weltkrieges an der Südfront erbracht hat. Ein solches Schriftdenkmal ist schon wegen seiner Einmaligkeit eines besonderen und sakralen Raumes wert und würdig. Es der Nachwelt nach der Bedeutung seines Wertes zu überliefern und der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen, war daher ein begreifliches Anliegen des Landtages.

Der Gedanke, den Hohen Frauentag zum Anlaß eines besondereh Ehrenerweises für die Muttergottes in unserer Zeit zu gestalten, geht auf historische Begebenheiten zurück, die sich nicht nur auf das Jahr 1809, sondern auch auf die Gegenwart beziehen.

Das erste und wohl allgemein verständliche Motiv’ hiefür ergab sich für den Gesetzgeber aus der nahezu vergessenen Tatsache, daß Andreas Hofer, der Mann von Tirol, selbst zeitlebens ein frommer Verehrer Mariens und durchdrungen von tiefem Gottesglauben, vor schwierigen Kampfhandlungen seine anstürmenden Schützenbrüder immer wieder zu Vertrauen auf Gottes Hilfe und den Schutz Mariens verwies utß so zur Stärkung ihres Mutes wirkungsvoll beitrug; wie Paulin in seiner Lebensbeschreibung dartut, pflegte er auf seinem breitkrempigen Hut stets ein Muttergottesbild bei sich zu tragen. Es gab für den Sandwirt, schon gar nicht in wichtigen Dingen, irgendwelche Zufälle im Leben; für ihn war alles Fügung und Gnade Gottes. Was wunder also, daß gerade der Hohe Frauentag des Jahres 1809, an welchem der Oberkommandant unter dem jubelnden Zuruf der Bevölkerung und unter dem Klang aller Kirchenglocken nach einem Festgottesdienst auf dem Schönberg als Sieger in die Landeshauptstadt einziehen konnte, auch für ihn einen besonders freudigen Glanz gehabt hat. Hofer war es aber auch, der in seiner schlichten Bescheidenheit bei dem ihm allzugroß . erscheinenden Jubel der Bevölkerung schließlich, den Zeigefinger zum Himmel erhoben, ausrief: „Seid’s stad, i nit, ös nit, der da oben!”

Mit dem Stiftungsgesetz wurde damit eine Tat religiösen und zukunftsweisenden Inhalts gesetzt, wie solches in der Geschichte des Landes und auch in der Geschichte Oesterreichs nicht neuartig ist. Es wurde in ihr ein offenes Bekenntnis zur vermittelnden Gnaden- und Schutzgewalt der Mutter Gottes als der Schirmherrin Tirols ausgesprochen. Auch das offizielle Tirol von heute bleibt damit in seiner religiösen Haltung jenen weit zurückreichenden Ueberlieferungen eines marianischen Landes treu, die schon in ältester Zeit dazu geführt haben, die beiden ehrwürdigsten Kirchen Nord- und Südtirols in besonderer Weise der Gottesmutter zu weihen. Es sind dies das alte Kirchlein auf dem Säbener Berge, das sich Jahrhunderte später in den Dom zu Brixen verwandelte, und in Innsbruck gemäß den Stiftungen mehrerer Brixener Bischöfe die heutige Marien-Basilika zu Wilten.

Gerade das Hereinwirken des Marianischen in unsere gesamte Zeitlage mußte nicht zuletzt als ein letztes Motiv nach seiner Art auch im Landtagsbericht zum Stiftungsgesetz seinen verständlichen Niederschlag finden. Er führt daher zur Sinngebung der Landesgedächtnisstiftung unter anderem folgendes aus:

„Wer vermöchte nun das heranstehende Jahr 1959 im Gedächtnis an das vergangene und in Besinnung auf notwendig kommende Entwicklungen wie jenes Jubiläum. zu feiern, das im Jahre 1909 noch allen Glanz des alten Kaiserreiches aus- strahltei Verbindet sich doch mit dem 150-Jahr- Jubiläum des glorreichen Freiheitskampfes von 1809 gleichzeitig die 40. Wiederkehr des traurigen Gedenkens an den 10. September 1919, der mit dem heute kaum mehr verständlichen Friedensdiktat von Saint-Germain-en-Laye eines der letzten großen Bollwerke des Abendlandes, Oesterreich, zerschlug und mit ihm auch das alte Land Tirol gleich in drei Torsi auseinanderriß. Ueberflüssig, daran in weiterer Ausführung zu erinnern, wie nicht zuletzt aus der haßerfüllten Diktion gerade dieses dem Vaterlande aufgezwungenen Vertrages der Fürchterlichkeit des zweiten Weltkrieges und der ihn einleitenden verdammungswürdigen Ideologie der Weg schon damals vorbereitet wurde. Dieser zeit- und geistesgeschichtliche Hintergrund war denn nicht ohne Einfluß auf Gestaltung und Inhalt eines Gesetzes, das für das heutige Tirol und seine Bevölkerung in diesem Sinne verständlich sein muß und hoffentlich auch entsprechend wirkbar wird.”

Das Gesetz über die Landesgedächtnisstiftung vom Jahre 1959 stellt sich damit als ein Werk unseres Zeitgeschehens in die ganz beachtliche Reihe vorausgegangene Kongreßbeschlüsse, die immer wieder die bedeutungsvollen Ereignisse oder Zeitabschnitte durch Gelöbnisse und Stiftungen festhielten, um damit nicht zuletzt dem Volke zu nützen, es entweder aus trübseligen Zeiten oder aus drohender Gefahr zu neuer Entschlußkraft emporzureißen oder sonstwie seinem Denken und Fühlen gerecht zu werden. Mit dem so gegebenen Beispiel steht Tirol in der modernen Zeit keineswegs allein. Ein Jahr zuvor hat ja ein Komitee hervorragender Ministerpräsidenten und anderer bedeutender Persönlichkeiten des Europarates in det Apsis der Kathedrale von Straßburg gleichfalls zu Ehren Marias als der Schutzpatronin des Abendlandes das inzwischen weltbekannt gewordene „Europäische Fenster” gestiftet, um es angesichts dieser Welt und ihres Treibens vor den Persönlichkeiten des Europarates mit solenner Feierlichkeit einweihen zu lassen. Dabei wurden von Paul van Zeeland die bedeutungsvollen Worte gesprochen: „Die Bemühungen der europäischen Nationen, sich zusammenzuschließen, um die Drohung des Krieges und des Verfalls zu bannen, um noch einmal ihre volle Verantwortung zu übernehmen und die Rolle in der Entwicklung der Erde, die eine bewegte Geschichte ihnen auferlegt hat, verlangt mehr als rein politisches Handeln.”

Das Land Tirol versucht dieses „Mehr” in der Vorbereitung der ersten Feier seines Hohen Frauentages als eines Landesfeiertages in besonderer Weise. Schon am Vorabend werden in die festlich geschmückten Städte, Dörfer und Märkte des Landes von allen Bergen die Feuerzeichen grüßen und aus den Tiefen der Täler der Jubel der Kirchenglocken emportönen. In der Landeshauptstadt Innsbruck aber werden sich schon am frühen Morgen des bevorstehenden 15. August die städtischen Schützenformationen, Fahnenabordnungen des Tiroler Sängerverbandes und die Jugendorganisationen bei der Marienbasilika sammeln, um sodann an der Pontifikalmesse in der neuerbauten und einzuweihenden Berg-Isel- Kapelle teilzunehmen. Nach dem eigens hiefür geschaffenen Landesweihegebet und dem Bekenntnis der Jugend Tirols wird der Landeshauptmann den Stiftungsbrief der Gedächtnisstiftung öffentlich verkündigen. Der Tiroler Landtag wird an diesem Tage zu einer Festsitzung zusammentreten, bei der endlich wieder alle Tiroler Abgeordneten, also auch die Südtiroler Landtagsabgeordneten teilnehmen werden.

Der Umwelt aber und allen späteren Besuchern des Berg-Isel-Heiligtums wird eine dort errichtete Marmortafel mit ihrer Inschrift von dem großen Anliegen Kunde tun, daß das Land Tirol seiner Schutz- und Schirmherrin am Hohen Frauentage 1959 zu Füßen gelegt haben wird:

„Diese Kapelle wurde am 15. August 1959 zu Ehren Unserer Hohen Frau von Tirol geweiht. In ihr dankt Tirol für den Schutz in den Freiheitskriegen: In ihr hofft Tirol auf Wiederherstellung seiner Landeseinheit. In ihr betet Tirol für die Seelen seiner gefallenen Helden.”

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