6593937-1952_45_03.jpg
Digital In Arbeit

Der junge Kaiser unud der Rat der Alten

Werbung
Werbung
Werbung

Nach der Thronbesteigung des Kaisers Karl erfolgte ein allgemeines Revirement in den hohen Hof- und Staatsämtern, das zunächst als Berufung jüngerer Kräfte zu betrachten war. Die Generaladjutanten Paar und Bol fr äs traten zurück, sie waren 80 beziehungsweise 79 Jahre, Fürst Montenuovp zählte 79, Generaloberst K r o b a t i n 68, Kabinettsdirektor Freiherr v. S c h i e ß 1 73 und Conrad 65 Jahre. Diesem Ältestenrat sah sich der dreißigjährige Kaiser gegenüber, und man kann es verstehen, daß er sich voller Hemmungen, bevormundet und gleichsam ausgeliefert fühlte, konnten doch nähere innere Bindungen zwischen ihm und den Mitarbeitern Franz Josephs I. nicht bestanden haben. Bei den führenden Militärs des Oberkommandos kam der Umstand hinzu, daß diese noch kein Frontkommando innegehabt hatten, daß aber der neue Monarch stark frontverbunden war und in diesen Gefühlen vog seinem Vertrauenskreis bestärkt wurde.

Die Stellung Karls I. an der Spitze der Wehrmacht war im Gegensatz zu Erzherzog Friedrich grundsätzlich verschieden. Der Erzherzog war nur die militärische Spitze der Monarchie im Feld, Conrad hatte wiederum in der strategischen Leitung der Operationen vollkommen freie Hand und konnte sich den ganzen Kommandoapparat restlos dienstbar machen. Karl 1. war aber nicht nur Oberkommandant, er war auch Herrscher, der also’neben der militärischen auch die politische Führung ausübte, sich daher zwei Aufgaben widmen mußte, die einander oft genug sachlich und zeitlich behinderten. Mit der aus diesen Gründen erfolgten Verlegung des Hauptquartiers nach Baden entstanden Spannungen, die sich mit der Zeit allzuleicht vermehrten, sooft sich das stürmische, jugendliche, neuerungsfreudige Wirken des langjährige Erfahrungen noch entbehrenden Obersten Kriegsherrn mit dem unnahbaren, ruhigen und sachlich streng abgewogenen Denken seines ersten militärischen Gehilfen be- gegnete. Dieser in der Natur der Dinge ruhende Unterschied der Temperamente, gesteigert durch unbestreitbar vorhandene gegensätzliche Betrachtung mancher Lebensprobleme überhaupt, war auf die Dauer schwer überbrückbar, hätte aber an sich kein unbedingter. Grund zur Trennung sein müssen. Der Kaiser anerkannte vorbehaltlos Conrads Führungsfähigkeiten, und Conrad war wieder Soldat genug, um dienstliche Fragen nicht durch Stimmungen beeinträchtigen zu lassen. Die entscheidenden Gründe, die den Bruch herbei führten, lagen auf anderem Gebiet.

Kaiser Karl ergriff die Regierung mit dem festen Willen, den Krieg zu beenden, von dessen Aussichtslosigkeit er überzeugt war. In diesem Streben hat ihm die Geschichte recht gegeben, mögen bei den unternommenen Versuchen noch so viele Fehler unterlaufen sein. Der Monarch wollte Frieden an den Fronten und im Inneren, und um ihm näher zu kommen, mußten alle auch nur scheinbar konträren Kräfte in den Hintergrund treten. Niemand sollte au leitender Stelle bleiben, der mit dem Kriegsausbruch in Verbindung gestanden war, niemand sollte im Innern wirken, der der Befriedung ein Hindernis sein konnte. Karl I. wollte dieFeinde davon überzeugen, daß Österreich-Ungarn friedensbereit sei,, er wollte seinen Völkern zeigen, daß er gegen keines Vorurteile habe. Er wollte freundlich sein gegen die Ungarn, doch Conrad trat ihren Ansprüchen entgegen, er wollte die Tschechen versöhnen, aber Conrad mußte gegen sie hart bleiben, er wollte mit dem Deutschen Reich gut auskommen, Conrad jedoch nahm von diesem nicht alles einfach hin. Und so war es mit dem Außenminister und anderen zivilen Stellen, mit denen der Kaiser ungestört arbeiten wollte, denen gegenüber aber der General- stabscfaef unnachgiebig bleiben mußte, sooft sie der Armee Lebenswichtiges schuldig blieben.

Generaloberst v. A r z — ein gebürtiger Ungar — war als neuer Generalstabschef ganz anders. Von ihm sagt B a r d o 1 f f, er wäre deutschfreundlich, fügsam, zu bequemer Zusammenarbeit geeignet, doch von nicht autoritärer Natur und ohne kämpferischen Willen gewesen. Cra- m o n sah in Arz wohl einen bündnistreuen Partner, doch seinem Kaiser widerspruchslos gehorsam ergeben. „Nach dem Abgehen Conrads" — lesen wir bei Czernin — „war auch unter den Bad- ner Generalen keiner mehr, welcher dem Kaiser opponierte." Arz bewährte sich

1917 als Generalstabschef des Oberkommandos im Osten so gut wie in der zwölften Isonzoschlacht, deren grundlegenden Plan er allerdings von seinem Vorgänger übernommen hatte. Er vermochte jedoch die Deutschen weder nach dem Erreichen der Piave 1917 zur Fortsetzung der Offensive noch 1918 zu gemeinsamem Schlag in Italien zu gewinnen. Ihm blieb in der venezianischen Junischlacht 1918 der Erfolg versagt, der übrigens nur mehr ein Erfolg der Waffenehre hätte sein können. Wer wollte nun sagen, ob der Wechsel im Amt des Chefs des Generalstabes zweckmäßig war oder nicht? Hätte vielleicht Conrad doch noch einen Endsieg erringen können? Diese Frage kann füglich verneint werden, und damit erledigt sich auch eine eventuelle Schuldfrage hinsichtlich des herbei- geführten Wechsels, Der Krieg war nämlich schon verloren, und als schließlich

1918 Bulgarien, die Türkei und Österreich- Ungarn der Reihe nach kapitulierten, da rissen sie nicht das Deutsche Reich mit sich, im Gegenteil: diese Kapitulationen waren die zwangsläufige Folge des deutschen Zusammenbruches, der sich äußerlich schon in der Marinemeuterei vom Juli 1917 angekündigt hatte und in der Erklärung der deutschen Obersten Heeresleitung vom 14. August 1918, der Krieg sei verloren, offenkundig wurde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung