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Der Juridisch-politische Leseverein und der Umbruch 1848

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Der Vereinsbildung waren im vormärzlichen Österreich enge Schranken gesetzt, da die Regierung in Vereinen — vielfach nicht mit Unrecht — Brutstätten revolutionärer Gesinnung ZJ erblicken vermeinte. Lediglich die. Errichtung wirtschaftlicher Vereinigungen konnte auf Billigung, ja sogar auf Fürsprache im Staatsrat hoffen, da ihre Bedeutung infolge des wirtschaftlichen Aufstieges, vor allem der deutschen und slawischen Länder, auch bei den höchsten Behörden gewürdigt wurde. Doch fehlte eine grundsätzliche Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur Vereinsbildung vollständig. Die Vereine wurden privilegienartig zugelassen, ohne daß eine Regelung der Behördenkompetenz erfolgte.

Lesevereine waren während der Revolutionskriege grundsätzlich verboten, da sie „ ... statt einigen Nutzen zu schaffen, vielmehr schädlich geworden waren“. Später erfolgte eine Lockerung des Verbotes in dem Sinne, daß die Genehmigung zur Gründung derartiger Vereine von Fall zu Fall speziell erteilt "wurde. So bestanden bald in fast allen größeren Städten Lese kabinette, deren Mitglieder der Polizei bekanntgegeben werden mußten. Die in diesen Leseklubs aufliegenden Zeitungen und Zeitschriften unterlagen ebenfalls einer strengen behördlichen Kontrolle.

Im Jahre 1839 bestanden in Wien neben verschiedenen speziellen, rein fachlichen Lesegemeinschaften zwei Lesevereine allgemeiner Natur. Ende 1840 wurde um die Genehmigung zur Gründung zweier weiterer Vereine bei der Polizeihofstelle angesucht. Das eine Gesuch wurde abgelehnt, während die Persönlichkeiten, die hinter der zweiten beabsichtigten Gründung standen, — unter ihnen befanden sich der Strafrechtler Professor Hve und der 28jährige Advokat AlexanderBach —, der Polizei genügend Garantie für die Loyalität des geplanten Vereins zu bieten schienen. Der Vereinszweck, den Teilnehmern eine weitere juristische und staatswissenschaftliche Ausbildung durch die Lektüre einschlägiger Fachzeitschriften des In- und Auslandes zu ermöglichen, erschien auch dem Grafen Sedlnitzky als für die Staatsgewalt erwünscht. Da auch der gleichzeitig vorgelegte Statutenentwurf — dieser sah unter anderem eine weitgehende polizeiliche Kontrolle vor — die Zustimmung der Behörden fand, genehmigte Kaiser Ferdinand am 19. Juni 1841 die Gründung des Juridisch-politischen Lesevereins. Mit dieser Genehmigung war die gesetzliche Grundlage für eine Vereinigung gegeben, die Grillparzer später eine „Pulvermühle für eine künftige Explosion“ nennen sollte.

Die Zufriedenheit des Polizeiministers dauerte indessen nicht lange. Bereits die Ankündigung des neuen Vereins in der „Wiener Zeitung“ rief das Mißtrauen der Polizeihof stelle wach. Wenn schon die Berufung auf den Geist der Zeit als Motivierung für die Vereinsgründung seltsam erschien, so war es mit den Statuten nicht zu vereinbaren, daß jedermann zum Beitritt aufgefordert wurde. Als Zweck des Vereins gab die Ankündigung an, daß er seine Mitglieder mit den Fortschritten der Literatur in ihrem weitesten Umfang bekanntmachen wolle.

Die Antwort der Behörden auf diese Ankündigung ‘ließ nicht auf sich warten. Als der Verein 1841 sein Ansuchen um die Zu-, lassung Von 56 Zeitungen und Zeitschriften einbrachte, wurden zwölf davon gestrichen, darunter alle belletristischen und das einzige liberale Blatt der Liste, die „Leipziger Allgemeine Zeitung“. Auf eine zweite Eingabe hin gab Sedlnitzky nur die österreichischen Blätter frei; gleichzeitig erging jedoch die Weisung zur genauen, „unauf- sichtigen" Beobachtung des Vereins, ein Auftrag, der bei jeder tunlichen Gelegenheit wiederholt wurde. Trotzdem erklärte das Bücherrevisionsamt 1844 überraschenderweise, daß man den Vereinsmitgliedern mit Rücksicht auf ihre hohe wissenschaftliche Ausbildung wohl alle verbotenen Werke ihres Faches — darunter fielen alle politischen Journale — gewähren könne. Zeitweise lagen alle führenden Blätter Deutschlands und Frankreichs im Klub auf. Doch war diese Freizügigkeit Sedlnitzkys nie von langer Dauer und das Direktorium des' Vereins mußte immer wieder mit Protestnoten und Bittschriften um die Journale kämpfen.

Bald nach seiner Gründung suchte aber der Klub auch zu einer umfassenderen Tätigkeit überzugehen. Professor Hye, der ständige Vereinsreferent, hatte ein fachliches Arbeitsprogramm aufgestellt, das neben Vorlesungen und Vorträgen auch die Herausgabe juristischer Werke vorsah. Wurde nun Vorträgen über Strafanstalten und ihre Systeme kein wesentliches Hindernis in den Weg gelegt, so wurden ab 1844 die weiteren Pläne Hyes teils unter Hinweis auf ihre Statutenwidrigkeit abgelehnt, teils wurden die Gesuche des Vereins überhaupt nicht erledigt. Damit war den Versuchen des Lesevereins, eine breitere Wirkungsbasis zu gewinnen, ein vorläufiges Ende gesetzt.

Was nun die Angehörigen des Lesevereins betrifft, so unterschied man zwischen vollberechtigten Mitgliedern und bloßen Teilnehmern, die von der Verwaltung, der Leitung und der Generalversammlung ausgeschlossen waren. Ihnen stand nur eine Art Petitionsrecht im „Wünschebuch“ zu. Die Zusammensetzung des von der Generalversammlung gewählten Direktoriums unter dem Vorsitz des Barons Sommaruga — ihm schrieb man einen wesentlichen'Einfluß auf die Genehmigung der Vereinsgründung zu — blieb bis zur Revolution im wesentlichen unverändert. Neben Hye sind die Namen der Direktionsmitglieder Alexander Bach und Baron D o b 1- h o f f am bekanntesten geworden.

Die meisten Männer aber, die nach der Revolution im liberalen Leben Österreichs eine Rolle spielen sollten, erscheinen bereits in den ersten Verzeichnissen. Neben Staatsbeamten aller Rangstufen aus allen Zweigen der Verwaltung finden wir zahlreiche Advokaten und sonstige Doktoren der Rechte, zahlreiche spätere Reichstagsabgeordnete und Männer des öffentlichen Lebens.

Wenn 1843 die Juristen noch die Hälfte der Vereinsmitglieder ausmachten, so ist in den Jahren nachher ein bemerkenswerter Zustrom von Medizinern zu verzeichnen. Daneben gehörten fast alle hervorragenden Wiener Gelehrten zu den Mitgliedern des Vereins. Abkömmlinge alter Adelsfamilien, zahlreiche Geistliche aller Religionsgemeinschaften, Offiziere und Angehörige der Finanzwelt, der Industrie und des Handels vervollständigen das Bild der sozialen Struktur des Lesevereins. Verwunderlich ist die geringe Anteilnahme literarischer Persönlichkeiten.

Der weitaus größte Teil dieser Männer vertrat das Gedankengut des süddeutschen Altliberalismus Rottecks und Welckers. Neben diesen Vertretern der gemäßigten Richtung fehlten aber auch nicht Anhänger republikanischer und sozialistischer Ideen. Neben Radikalen, Feinden des Thrones und des Altares, fanden sich aber auch überzeugte Vertreter der Fürstenallmacht.

Uber die Vorgänge innerhalb des Vereins war die Polizei durch Konfidenten leidlich unterrichtet. Doch gelang es den Mitgliedern, diese Agenten von den intimen Zirkeln fernzuhalten, in denen Diskussionen über die Aufgaben des Staates und die Einrichtungen zu ihrer Erfüllung stattfanden. Obwohl derartige hochpolitische Erörterungen nur den Eingeweihten bekannt waren, war die liberal-oppositionelle Haltung des Vereins ein offenes Geheimnis. Doch ehe die Polizei sich zu entscheidenden Maßnahmen entschließen konnte, war der Sturm des Jahres 1848 losgebrochen.

Er fand die Männer des Lesevereins bereit. Nach dem Bekanntwerden der Pariser Februarereignisse war nicht nur die jüngere Generation, sondern auch ein Teil der älteren davon überzeugt, daß nunmehr die Zeit des Handelns gekommen sei. Wenn auch der Leseverein als solcher an der Adressenbewegung des Jahres 1848 nicht teilnahm, so waren es doch einzelne seiner Mitglieder, die sich um den Versuch einer friedlichen Lösung der Gegensätze verdient gemacht haben.

Als mit dem 13. März die Dinge eine stürmische Wendung nahmen, stellten sich die Männer des Lesevereins vielfach an die Spitze der Bewegung und waren als Führer von Delegationen, aber auch als einzelne bemüht, die Erzherzoge und die höchsten Staatswürdenträger für die Erfüllung ihrer Wünsche zu gewinnen und durch entschiedenes Auftreten Widerstände zu beseitigen. Gleichzeitig aber traten sie den Ausschreitungen des Pöbels, der die öffentliche Sicherheit gefährdete, mutvoll und energisch entgegen.

Der Leseverein erklärte sich „in Permanenz“ und wurde zum „operierenden Hauptquartier“ der Bewegung, das alle Fäden in der Hand hielt und nach allen Richtungen Weisungen gab. Seiner kühnen und entschiedenen Haltung war es zu danken, daß jeder Versuch, die Bewegung gewaltsam zu unterdrücken, scheiterte und der 14. März die Zusage der Machthaber brachte, die Volkswünsche zu erfüllen.

Die Popularität des Vereins stieg nach diesen Erfolgen ungemein. In Wien erzählte man sich, daß im Leseverein die nunmehr nötigen neuen Minister vorrätig seien. Dem Verein wurden zahlreiche Ovationen dargebracht.

Diese Volkstümlichkeit war jedoch nur von kurzer Dauer. Auf Grund ihrer großösterreichischen, konstitutionellen Gesinnung waren die leitenden Männer des Vereins nicht geneigt, für nationale oder demokratisdh-umstürzlerische Pläne einzutreten. Aus dieser Gesinnung heraus traten sie auch für das heftig angefeindete und mit Mißtrauen verfolgte Ministerium P i 1- lersdorf ein und mahnten zu Mäßigung und Geduld. Der noch wenige Wochen vorher staatsgefährliche Leseverein geriet dadurch innerhalb kurzer Zeit in den Ruf eines reaktionär und „schwarzgelb" gesinnten Klubs und verlor bei den breiten Bevölkerungsschichten Ansehen und Einfluß.

Doch sollte der Verein noch einmal maßgebend in das politische Geschehen ein-' greifen. Die Wortführer des Klubs bestimmten diesen, auch in allen deutschen Fragen den österreichischen Standpunkt entschieden durchzusetzen. Sie waren darin eines Sinnes mit der Regierung, die einen deutschen Staatenbund unter österreichischer Führung anstrebte, ein Deutschland mit preußischer Spitze aber als den Untergang Österreichs betrachtete.

Es war nun vor allem der Agitation des Vereins zuzuschreiben, daß nicht nur die Mehrzahl der Wiener Bezirke, sondern auch zahlreiche Landbezirke Männer nach Frankfurt sandten, die bestrebt waren, Beschlüsse des Frankfurter Parlaments, die Österreich hätten beeinträchtigen können, hintanzuhalten.

Während die meisten maßgebenden Männer des Vereins eine Kandidatur für Frankfurt abgelehnt hatten, gelang es ihnen, bei den Wahlen für den österreichischen Reichstag zahlreiche Sitze zu erobern. Aber gerade diese Wahlen zeigten, wie groß der Unterschied in den politischen Anschauungen der Vereinsmitglieder geworden war. Nicht nur die konstitutionellen Kon- . servativen, sondern auch die Radikalen und Liberalen holten sich ihre Kandidaten aus dem Klub.

Während so seine Mitglieder wichtige Stellen des öffentlichen Lebens bekleideten, hatte der Leseverein nunmehr seine politische Rolle endgültig ausgespielt. Wohl nahm er noch durch Jahrzehnte hindurch im Vereinsleben Wiens einę der hervorragendsten Stellungen ein, ohne jedoch im politischen Leben noch einmal zu Bedeutung zu gelangen.

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