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Der Kaiser sparte 300 Gulden

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VOR EINEM TAGE ging ein Mann aus der Haustüre des fast zweitausend Meter hoch gelegenen Gasthofes an der Grenze Tirols und Vorarlbergs durch Sturm und dichtes Schneetreiben zum nächsten Postamt, um mit der übrigen Post auch einen Erlagschein über ein wenig mehr als hundert Schilling aufzugeben. Heute, wo dieser einundzwanzig Zentimeter lange und zehneinhalb Zentimeter breite grüne und weiße Schein unter vielen hundert anderen seiner Art, vom grellen elektrischen Licht beschienen, auf dem Arbeitstisch in der Buchungsabteilung liegt, merkt man dem Stück Papier nicht an, daß es fast achthundert Kilometer Bahn und ein dutzend Kilometer Fußweg hinter sich hat. Man ist hier auch nicht romantisch veranlagt, selbst wenn der Name des Wintersportortes noch so klangvoll wäre, ja man hat kaum Zeit, den Namen des Einzahlenden zu lesen. Und die Kontonummer ist fürs erste auch wichtiger. Jeden Tag beginnt diese Jagd um die Minute, jede Stunde mit demselben Einsatz und der höchsten Konzentration der Sinne — Nerven darf es hier ja im üblichen Sinne nicht geben. Die Hände der Mädchen und Frauen, welche die

rungsvorlage eingebracht und fand keine geringen Widerstände. Trotzdem erlangte die Vorlage am 28. Mai 18 82 Gesetzeskraft. Damals hatte Coch in einem Briefe geschrieben: „Im innersten Winkel meines Herzens hege ich die Hoffnung, ein Institut zu gründen, das den unglückseligen Finanzen dieses schönen und reichen Landes ein Fels sein wird.“ Woran Dr. Coch dachte, als er diese Worte niederschrieb? Vielleicht daran, daß 1881 der Finanzminister eine Vorlage für eine auf 50 Millionen Gulden einzubringende Papierrente zur Deckung des Defizits von 1880 herausgab und auch in den folgenden Jahren keine Verminderung des Fehlbetrages im Staatshaushalt zu erwarten war. Vielleicht an die allgemeine soziale Lage und die politischen Spannungen überhaupt, die Finanzen nie guttaten. 1883 hatten die Prinzen Alfred und Alois Liechtenstein, Graf Egbert Belcredi und Abgeordneter Zallinger die Expertise veranstaltet, bei der sich erstmals 103 Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammensetzten und Arbeitervertreter zum ersten Male die Türen des Parlaments offen fanden. 18 83 und 1884 war die Gewerbenovelle im Zuge.

Kontoauszüge und die Abschnitte der Erlagscheine ordnen, arbeiten mit derartiger Geschwindigkeit, daß uns beim Zuschauen allein fast schwindlig wird. Frauen haben, so sagt man uns, nicht nur die besseren Nerven, sondern auch die geschickteren Hände. Wir sehen daher im Postsparkassenamt mehr weibliche Beamte. Der Gesamtstand der hier Beschäftigten lag zu Ende des vorigen Jahres bei 1480 Bediensteten. 1948 waren es noch 1818. Trotzdem 1949 die umfangreichen Arbeiten, die mit der Einführung des Sporttotos zusammenhängen, vom Institut übernommen wurden, die Zahl der Sparkonten zunahm, Neuerungen eingeführt wurden, wie Ausstellung von Postsparbüchern für Ausländer, und die Zahl der Sparkonten 400.000 mit einer Gesamteinlage von mehr als einer Milliarde erreichte, wurde die Arbeit dank der geschickten Organisation, den Rationalisierungsmaßnahmen und dank der Arbeitsfreude der Bediensteten gemeistert. Wir waren so neugierig und haben, als das Wort „Toto“ fiel, nach den Kosten der Organisation gefragt und mit Staunen erfahren, daß Oesterreich billiger ist als andere Länder und Stellen. Mehr Arbeit, weniger Kosten und vervielfachte Leistung — ein österreichisches Wunder.

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EIN ÖSTERREICHISCHES. WUNDER war eigentlich schon die Gründung der Postsparkasse vor genau 75 Jahren. Schlagen wir nach in den Büchern der allgemeinen und der wirtschaftlichen Geschichte. In Großbritannien wurde 1851 der erste Versuch einer Postsparkasse gemacht und niemand hätte damals gedacht, daß Mister Sikes aus Huddersfield Nachfolger finden würde. In Oesterreich war es die Initiative von nur drei Männern, die Schule machte: des Freiherrn von Pino, vordem Statthalter von Oberösterreich und später Handelsminister; des Abgeordneten zum Reichsrat Graf Dürckheim, und des Wahlösterreichers Dr. Georg Coch. Am 18. November 1881 wurde unter dem Kabinett Taaffe die Regie-

1883 hatte aber auch Ritter von Schönerer sein Organ „Unverfälschte deutsche Worte“ gegründet, nachdem Pernerstorfer und Adler ihre Wege gegangen. Eine Zeit also der sozialen Umstellung, aber auch der nationalen Ueberhitzung innerhalb des Volkes einer Sprache und gar zwischen den Nationen der Monarchie. Am

28. Juni 1881 kam es zur „Schlacht bei Kuchel-bad“.

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cINE SCHLACHT gab es bald auch im internen Wirkungskreise. Dr. Cochs Pläne gingen über den Sparverkehr hinaus. 1883, als das Postsparkassenamt 35 3.000 Einleger gewann, der An-weisungs- (Scheck-) Verkehr eingeführt wurde, ballten sich die drohenden Wolken über dieser Neuerung. Der Scheckverkehr war auf administrativem Wege durch eine Verordnung des Finanzministers eingeführt worden. Eine gesetzliche Grundlage fehlte. Dr. Coch wollte überdies für sein Amt eine Sonderstellung innerhalb der staatlichen Verwaltung. Eine neuerliche Verordnung im Jahre 1886 räumte denn auch dem Direktor eine nahezu unabhängige Stellung ein, und nun kam der Stein ins Rollen. Einflußreiche Kreise stemmten sich gegen die ihnen gefährlich scheinende Entwicklung. Der Handelsminister mußte am 16. März demissionieren und drei Tage später wurde die Verordnung aufgehoben. Erst im November 1887 kam die papierene gesetzliche Regelung. Zu dieser Zeit befand sich der Mann, dessen Denkmal jetzt dem Radetzkys gegenübersteht, nicht mehr an der Spi—e dos von ihm &$fctjaffenent'lpsfituts. Frühst g, schon im Alter Jahren .nur

drei Jahre nach dem Abgang, starb Dr. Coch. Ein österreichisches Schicksal, könnten Raunzer nun sagen.

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AM ÖSTERREICHISCHEN SCHICKSAL trug die Postsparkasse mit. Sie war von den zu klein gewordenen Räumen in der Wollzeile bereits 1883 mit 872 Bediensteten (gegenüber anfänglich 54) in dem zur alten Universität gehörenden Gebäüdekomplex in der Postgasse übersiedelt, 1900 waren 1,5 Millionen Sparbücher ausgegeben, der Umsatz im Postscheckverkehr belief sich auf mehr als 10 Milliarden guter alter Kronen! Zu dieser Zeit arbeiteten schon 2197 Bedienstete. 1904 begann Otto Wagner den neuen Bau, der zu seiner Zeit gewaltiges

Kopfschütteln wegen der Verwendung neuer Baustoffe und wegen der ganzen Architektonik erregte. Im Dezember 1906 übersiedelte das Postsparkassenamt in das neue Haus. 1906: der Minister des Auswärtigen, Freiherr von Aehren-thal, erklärte am 4. Dezember in den Verhandlungen über auswärtige Politik in der österreichischen Delegation zu Budapest, daß „leider“ das wirtschaftliche Verhältnis zu Serbien nicht normal wäre. Im Monat vorher war Hötzendorf Chef des Generalstabes geworden. Es wetterleuchtete.

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DAS GEWITTER brach acht Jahre später aus. Noch standen die Scheckbücher in sieben Sprachen zur Verfügung, las man „Fasciolo di checkes“, „Seäit sekovy“, „Cekovni zvezek“ und so fort, war „C. k. spofitelni üfad poätovni ve Vidni“ ebensogut wie „i. r. Ufficio delle casse postali di risparmio in Vienna“ — aber dann kam der Tag, da sich die Nachfolgestaaten ihre eigenen Postsparkassenämter, treu nach dem Vorbild des „Völkerkerkers“ errichteten und Beamte einführten, die zu Kaisers Zeiten irgendwo in Baligrod, Rymanöw, Divaca oder Kuciste gedient hatten. Nun stand nicht mehr der, Portier mit seinem äh'.'einen He'roTdstäl!! ef-ihne'rndeh adlergekrönten,Sto.ck, in Uniform1 mit Degen und Zweispitz vor der Pforte. Der Gouverneur der Postsparkasse bezog wohl mehr als der k. k. Hofrat V. Rangklasse Dr. Coch Anno 1883 mit seinen 8300 Gulden, hatte aber zweifellos mehr als dessen drei Prozent Einkommensteuer zu zahlen gehabt, und die Tausender und Zehntausender gaben weniger aus als ein Gulden.

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GULDEN. KRONEN, SCHILLING, REICHSMARK, SCHILLING. Geschichte, aber eine andere als jene in Schulbüchern. In Kontobüchern. In Soll und Haben. Die Lexika wissen freilich zumeist wenig, was sie sollten. Sie erzählen etwas von Joseph Anton Koch, dem Maler der Romantik, von dem Literaturhistoriker Max, von dem Bakteriologen Robert Koch, aber schweigen von Georg. Still liegen im Museum der Postsparkasse, das die Initiative des jetzigen Gouverneurs Dr. Krieger ins Leben rief, die Sparbücher von Auer-Welsbach, Zumbusch, Viktor Adler, Adolf Loos. Eiseisberg, Mahler. Zieh-rer, Suppe, Schönherr.. Da liegt auch der Gegenschein Nr. 1 des alten Kaisers mit dem Losungswort „Viribus unitis“ zur Einzahlung von 300 Gulden. Draußen aber tobt die Jagd um die Minute. Auf die Uhr blickt der Kassenbeamte, der gerade laut Nummern ausruft (seltsam, einmal nicht vor, sondern hinter einem Schalter zu stehen). Die Banknoten fliegen. Auf die Uhr blickt man im Fernscheckbüro. Der Fernschreiber rasselt. Auf die Uhr schaut der Mann bei der Rohrpost, welche die Sprechanlage entlastet. Auf die Uhr schauen aber auch die Bediensteten, welche die Tagespost fertig zu machen haben. Alle haben keine Zeit, um Rede und Antwort zu stehen. Man kommt sich wie ein Nichtstuer vor.

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IM LEBEN DES INSTITUTS gab es sicher auch Schwierigkeiten. Aber Furchtsame wären hier nur gescheitert, hätten sie mutlos die Hände in den Schoß gelegt. Die Postprüfstelle hat im Vorjahr 72 Millionen Erlagscheine verarbeitet. Im Kassensaal, der wie eine kleine Bahnhofshalle anmutet, hat man oft 5000 Kassenschecks an einem Tage auszuzahlen. Unser Weg führt an der Maschine vorbei, welche die Briefumschläge schließt. Die bunten Umschläge begeben sich nun auf die Rückreise. Vorsortiert bekommen die Bahnpostämter die Kontoauszüge. Und morgen wird der Mann an der Grenze Tirols und Vorarlbergs bereits die „Antwort aus Wien“ haben.

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