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Der Kampf um das Alte Testament

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Auch wenn die neuheidnischen Bekämpfer versucht haben, das Alte Testament als "jüdisches Buch" aus der Bibel zu entfernen, ist es unabänderliche Lehre der katholischen Kirche: Das Alte Testament enthält nicht nur Gottes Wort, es ist Gottes Wort.

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Auch wenn die neuheidnischen Bekämpfer versucht haben, das Alte Testament als "jüdisches Buch" aus der Bibel zu entfernen, ist es unabänderliche Lehre der katholischen Kirche: Das Alte Testament enthält nicht nur Gottes Wort, es ist Gottes Wort.

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Die unüberbrückbaren Gegensätze, die im Kampfe um das Alte Testament in den letzten Jahren sichtbar wurden, und die Voraussetzungen, von denen dieser Kampf ausging, werden deutlich, wenn man einige der charakteristischen Formulierungen der neuheidnischen Bekämpfer des Alten Testamentes der klaren und unabänderlichen Lehre der Kirche gegenüberstellt. So urteilte zum Beispie! der bekannte Vorkämpfer für eine deutsche Nationalkirche, der „gottgläubige“ Professor für Religionswissenschaft an der Universität Leipzig in den vergangenen Jahren, Ernst Bergmann, in seinem Buche „Die deutsche Nationalkirche“ über das Alte Testament folgendermaßen: „Eine der seltsamsten Paradoxe der Menschheitsgeschichte ist es doch, durch den Wahn der Offenbarungs- und Inspirationsidee für alle Zeiten ein Schrifttum zu sanktionieren, das den Stempel eines unzulänglichen Menschenwerkes so deutlich an der Stirne trägt wie gerade das Alte Testament. Sicherlich mehr als andere heilige Bücher des Ostens".

Man darf wohl mit Recht den bitteren Schluß ziehen, daß hier einer der Hauptgründe liegt, wenn die Durchschnittssittlichkeit der Menschen so niedrig ist. Man kann sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß eine bessere und edlere Menschheit heute leben müßte, wurde nicht, was vor dreitausend Jahren dem hebräischen Volke als Errungenschaft galt, heute noch unantastbares und gedankenlos hingenommenes Heiligtum für den Okzident sein und Alfred Rosenberg spricht in seinem „Mythos des XX. Jahrhunderts“ dem Alten Testament ebenfalls — wie nicht anders zu erwarten — jeden religiösen Wert ab. Zum Beispiel: „Abgeschafft werden muß demnach ein für allemal das sogenannte 'Alte Testament' als religiöses Buch. Damit entfällt der mißlungene Versuch der letzten anderthalb Jahrtausende, uns geistig zu Juden zu machen, ein Versuch, dem wir unter anderem auch die furchtbare materielle Judenherrschaft zu danken haben.“

Extremer und schroffer könnten die Angriffe nicht sein, die sich gegen die jahrhundertalte Lehre und gegen die jahrhundertalte Weisheit der Kirche richteten. Sie hat den auf diese Weise angegriffenen Schriften schon seit den Zeiten der Apostel den Titel „Heilige Schrift“ gegeben und sie damit herausgehoben aus der Menge der übrigen erbaulichen Schriften — zum Beispiel der sogenannten Apokryphen — und ihnen eine alles überragende, einzige Bedeutsamkeit zuerkannt. Nach kirchlicher Lehre gehört das Alte Testament wie das Neue Testament zu jener Sammlung heiliger Bücher (Biblischer Kanon), die auf „Eingebung des heiligen Geistes geschrieben, Gott zum Urheber haben und als solche von der katholischen Kirche angenommen sind.“ Das Alte Testament als Teil der Gesamtbibel enthält nicht nur Gottes Wort, sondern ist Gottes Wort. So wurde die von „alters her“ geltende Lehre der Kirche noch einmal zusammengefaßt auf dem Konzil von Trient in seiner dritten Sitzung und wiederholt vom Vatikanischen Konzil in seiner vierten Sitzung.

Die neuheidnischen Bekämpfer des Alten Testaments hatten sich nicht das Ziel gesetzt, eine wissenschaftliche Diskussion einzuleiten oder eine „Reinigung“ desselben herbeizuführen wie es auf Seite der protestantischen Bibelkritik manchmal gefordert wurde. Es war ein verschleierter und getarnter Kampf gegen das Christentum selbst und er richtete sich gegen die gläubigen Protestanten genau so wie gegen die katholische Kirche. Rosenberg bezeichnete es ja auch als die „größte Sünde des Protestantismus“, das „sogenannte Alte Testament zum Volksbuch gemacht und den jüdischen Buchstaben als Götzen hingestellt zu haben.“ — Der Kampf zielte nicht ab auf eine Auseinandersetzung mit den Theologen, sondern auf eine agitatorische Stimmungsmache bei der breiten Masse. Es waren zwei Dinge, auf die man hinwies: Das Alte Testament enthalte eine Reihe anstößiger Stellen, die einer Offenbarung und Inspiration widersprechen. Und es sei ein jüdisches Buch, mit allen Nachteilen behaftet, die man der jüdischen Rasse nachsagte.

Die gefühlsmäßige Übertragung des Rassenproblems auf die im Bereiche eines semitischen Volkes entstandenen Bücher konnte bei der allgemeinen, Unwissenheit auf diesem Gebiet leicht die Gegensätze verwischen, die zwischen dem heutigen Judentum und dem Lande und Volke Israel von damals — zwischen modernem jüdischen Geist, altjüdischem Nationalismus und der übernationalen Einstellung und geistigen Haltung des Alten Testaments — bestehen. Was die anstößigen Stellen des Alten Testamentes betrifft, so war es von vorneherein etwas verwunderlich, daß so viele große Männer unter den Kirchenvätern, soviel Aszeten und Heilige der Kirche das Alte Testament so eifrig benützten, ohne durch die angekreideten Stellen in ihren religiösen Gefühlen verletzt worden zu sein. Die Frömmigkeit eines Rosenberg und Hauer mußte demnach noch zarter sein als die so vieler frommer Seelen — oder aber: sie hatten das Alte Testament überhaupt nie ganz gelesen oder sich ernst damit beschäftigt. ,

Die kühne Selbstsicherheit, mit der dieser Kampf geführt wurde, muß schon eigenartig berühren, wenn man jene Männer von einem Ewigkeitswert des Alten Testamentes sprechen hört, auf die sich dessen Gegner gerne als ihre geistigen Vorläufer beriefen. Goethe, vor dem sich Rosenberg ob dessen „Seelenverwandtschaft mit Eckehart“ in Ehrfurcht verneigt, äußert das gerade Gegenteil von dem, was Hauer und Rosenberg über das Alte Testament sagen: „Ich für meine Person hatte sie (die Bibel des Alten und Neuen Testaments) lieb und wert; denn fast ihr allein war ich meine sittliche Bildung schuldig, und die Begebenheiten, die Lehren, die Symbole, die Gleichnisse, alles hatte sich tief bei mir eingedrückt und war auf die eine oder andere Art wirksam gewesen. Mir mißfielen daher die ungerechten, spöttischen und verdrehenden Angriffe“ (Wahrheit und Dichtung). Und in der Farbenlehre heißt es gar: „Jene große Verehrung, welche der Bibel von vielen Völkern und Geschlechtern der Erde gewidmet worden, verdankt sie ihrem inneren Wert. Sie ist nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, weil sie die Schicksale eines Volkes zum Symbol aller übrigen Völker aufstellt, die Geschichte desselben an die Entstehung der Welt anknüpft und durch eine Stufenreihe irdischer nnd geistiger Entwicklungen, wendiger und zufälliger Ereignisse bis an die entferntesten Regionen äußerster Ewigkeiten hinausreicht“. Wessen Urteil gilt mehr, das Rosenbergs oder das Goethes?

Schließlich sei noch Nietzsche gehört, der kaum im Verdacht stehen dürfte, dem Christentum oder der Kirche hörig an sein: „Im jüdischen Alten Testament, dem Buche von der göttlichen Gerechtigkeit, gibt es Menschen, Dinge und Reden in einem so großen Stile, daß das griechische und indische Schrifttum ihm nichts zur Seite zu stellen hat. Man steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren Überbleibseln dessen, was der Mensch einst war, und wird dabei über das alte Asien und sein vorgeschobenes Halbinselchen Europa, das durchaus gegen Asien den Fortschritt des Menschen bedeuten möchte, seine traurigen Gedanken haben ... Der Geschmack am Alten Testaments ist ein, Prüfstein in Hinsicht auf „groß und klein“... (Jenseits von Gut und Böse). Nietzsche glaubte im Jahre 1886, als er "Jenseits von Gut und Böse" schrieb, weder an eine Offenbarung noch an eine Inspiration des Alten Testaments. Er beurteilte es vom rein literarischen Standpunkt. Bergmann aber wagte zu sagen, eben diese Bücher trügen „den Stempel eines unzulänglichen Menschenwerkes' deutlich an der Stirne“.

Die Angriffe sind jetzt verstummt. Die Angegriffenen aber mußten jahrelang alle ( Angriffe schweigend über sich ergehen lassen, ohne sich zur Wehr setzen zu können. Es war ein sehr ungleicher Kampf.

Vielleicht hat er aber eine von der anderen Seite nicht vorauszusehende Wirkung gehabt: Bei aller Verwirrung, die er anrichtete, lenkte er die Aufmerksamkeit auf das unbekannte Alte Testament und löste eine Beschäftigung mit ihm am, die für die religiöse Situation der Gegenwart gute Fracht bringen kann.

Monotheismus als Ereignis

Die geistesgeschichtliche Bedeutung des Alten Testaments wird noch überboten durch seinen einzig dastehenden Wert als religiöse Urkunde und durch den im Bereiche keiner anderen antiken Religion vorstellbaren Einfluß, der davon auf die Welt ausging.

Im Mittelpunkt des Alten Testaments steht der klare, reine Gottesdienst des in den Religionen der Nachbarn des israelitischen Volkes unbekannten Eingottglaubens. Es ist heute ein wissenschaftlich unanfechtbares Ergebnis der vergleichenden Religionsgeschichte, daß die alttestamentliche Gottesvorstellung in seiner einmaligen Eigenart sich so von allen anderen Religionen der damaligen Zeit abhebt, daß sie zu einer nicht nur einsam ragenden Größe, sondern auch zu einer rätselhaften Größe wird für die bloße menschliche Vernunft.

Der große, allmächtige, heilige Gott des Alten Testaments, der Schöpfer Himmels und der Erde, der Herr über alle Völker der Erde, er ist keine nationale. Gottheit wie es bei aüen anderen Religionen der Fall ist. Mit unabänderlicher Entschiedenheit stellt er seine Ansprüche an jeden Menschen und an das ganze Menschenleben. Er gebietet, fordert — bedingungslos lind rücksichtslos — von dem einen Volk, das er sich zur besonderen Mission unter den übrigen Völkern auserkoren hatte, ganz ernst genommen zu werden, ihm anzugehören mit dem ganzen Herzen und dem ganzen Gemüt und ihn zu lieben, mehr als den liebsten Menschen:

„Höre, Israel: Der Herr ist unser Gott, der Herr allein, und lieben sollst du den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. — Und diese Worte, die ich heute dir gebiete, sie sollen sein in deinem Herzen, daß du sie schärfest ein auch deinen Söhnen. Und rede in ihnen, wenn du weilest in deinem Haus, und wenn du wandelst auf dem Weg, wenn du dich niederlegst und dich erhebest. — Binden sollst du sie als Zeichen an deine Hand, ein Merkmal seien sie auf deiner Stirn. Und schreiben sollst du sie an die Pfosten deines Hauses und an deine Tore.“ (Aus dem Fünfbuch Moses, Deuteronomium 6, 4—9);

Dieser Monotheismus widerspricht geradezu dem Wesen der sonstigen semitischen Religionen. Im Lichte der Ergebnisse der vergleichenden Religionsgeschichte sind die religiösen Grundideen und vor allem die Gottesvorstellung etwas Unsemitisches oder „Übersemitisches“. Allen semitischen Stammesreligionen, den Vorläufern und Nachbarn der Israeliten ist gemeinsam, daß sie einen ausgesprochenen Hang hatten, die menschliche Umwelt und die Naturereignisse zu personifizieren und als „Baal“ zu verehren. Die Zahl dieser Baale ist mit dem Fortschreiten der Geschichte nicht im Abnehmen gewesen, sondern im Zunehmen. In den Kult der Götter und Göttinnen mischen sich Verehrung und Kult der Gestirne, Kult des Gewitter- und Getreidegottes, die göttliche Verehrung des Wassers und der Bäume. Diese Dinge entsprachen auch der natürlichen Tendenz der Israeliten mehr als der strenge, ihnen auferlegte Eingottglaube des Alten Testaments. Die Geschichtsbücher des Alten Testaments zeigen, wie diese gemeinsemitische Veranlagung sich auflehnt gegen den „Glauben der Väter“. Die Propheten — eine in den anderen Religionen des Orients gänzlich unbekannte Erscheinung — führen einen fast aussichtslosen Kampf gegen diese „gemeinsemitische“ Tendenz des Volkes sich jenen Göttern wieder zuzuwenden, denen alle ihre Nachbarn dienten. In diesem Zusammenhang ist der alttestamentliche Monotheismus etwas „Unnatürliches“, weil er aus einer natürlichen semitischen Veranlagung unerklärlich und unfaßbar bleibt.

Die vergleichende Religionsgeschichte, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Eichhorn, Gunkel, Wrede, Bousset, Volz — in Verbindung mit der literar-kritischen Schule Wellhausens — zum gefährlichen Stoß gegen den religiösen Wert des Alten Testaments als Offenbarungsurkunde anzusetzen schien, hat in ihrer weiteren Entwicklung dazu gedient, ihre Einzigartigkeit und natürliche Unerklärbarkeit in das helle Licht wissenschaftlicher Forschung zu stellen.

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