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Der Katholik im öffentlichen Leben Englands

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Die geschichtliche Entwicklung hat den Katholiken Englands in eine Rolle vensetzt, lie heute nicht wenigen als das Ideal für den katholischen Laien .bei der Verwirklichung ler Forderungen des christlichen Gewissens m Öffentlichen, Leben erscheint: er ist ganz luf seine eigene Verantwortung gestellt. Diese Entwicklung hat sich mit solcher ielbstverständlichkeit vollzogen, daß die Stellung" des Laien im gesellschaftlichen \posto!at vom englischen Katholiken nicht mnähernd in dem Maße . als Problem :mpfunden wird wie manchenorts auf dem Kontinent. Die Frage tritt vornehmlich an- ;esichts besonders gearteter Schwierigkeiten m einzelnen Pfarrkreis hervor, also nicht :o sehr als eine Frage des öffentlichen Lebens selbst.- Daß dem Katholiken für sein Wirken m letzteren: die. Erklärungen des obersten sirchlichen Lehramts maßgebend sind, ist selbstverständlich. Eine Beziehung der Kirche tu einer der Parteien besteht nicht. Offizielle Kundgebungen des . Gesamtepiskopats zu Fragen des öffentlichen Lebens befassen sich mit konkreten Anliegen der katholischen Gemeinschaft und machen sie damit zum Anliegen des Katholiken, wo immer er iffl- öffentlichen Leben und in welcher Partei immer er steht. Die vom Episkopat geförderte soziale Schulungsarbeit zielt ausschließlich auf die Verbreitung der Kenntnis der christlichen Sozialprinzipien unter den katholischen Laien ab zur Erhöhung ihrer Einsatzbereitschaft als Katholiken im öffentlichen Leben, besonders im Apostolat unter der Arbeiterschaft. Wenn wir oben sagten, die ganze Entwicklung dieser Stellung des Katholiken im öffentlichen Leben habe sich aus der geschichtlichen Entwicklung als selbstverständlich ergeben, so ist an die Tatsache zu denken, daß England ein protestantisches Land und daß die anglikanische Kirche die Staatskirche ist.

Von der anderen Seite her sieht der Katholik seine Stellung durch das Prinzip der Toleranz bestimmt. England ist bekannt als Land, in dem heute die Toleranz gegenüber Anschauungen und Gewohnheiten anderer wirklich geltendes Prinzip ist. Die entscheidende Wirkung des sich im 19. Jahrhundert durchsetzenden Toleranzprinzips war für die Katholiken die, daß ein wesentlicher Teil der für sie geltenden Ausnahmegesetze allmählich seine Geltung verlor, wie etwa die Gesetze, daß Angehörige religiöser Orden kein Eigentum besitzen können, daß Vermächtnisse für Totenmessen als für „abergläubische Zwecke" rechtsungültig, daß Stiftungen für katholisch- caritative Einrichtungen rechtswidrig sind. Verfassungsmäßig ist aber bekanntlich heute noch ein Mitglied des Königshauses, das katholisch oder durch Ehe einem Katholiken verbunden ist, von der Thronfolge aus geschlossen, und auch der Souverän verliert, wenn er Katholik wird oder sich an einen Katholiken verheiratet, den Thron: der Träger der Krone von England muß Mitglied der anglikanischen Kirche als der Staatskirche sein. Praktisch kann auch kein Katholik Ministerpräsident oder Führer einer der großen politischen Parteien sein, nur sehr ausnahmsweise kann ein Katholik Mitglied des Ministerrates werden. Katholische Priester sind von der Wahl ins Unterhaus ausgeschlossen. (Das gleiche gilt von den anglikanischen Geistlichen, doch ist für den einzelnen eine zeitweise Änderung des Rechtsstatus möglich; die die Voraussetzung für seine Mitgliedschaft im Parlament schafft.)

Letzten Endes sind indessen die eben erwähnten Einschränkungen für den Katholizismus' angesichts der tatsächlichen Lage kaum von Bedeutung: seit der Reformation ist er im nationalen und kulturellen Leben Englands als solchem ohne wirklichen Einfluß. Als während des zweiten Weltkriegs in einem Buch über den Einfluß der Kirchen auf das nationale Leben Englands dargelegt wurde, daß „die römisch-katholische Kirche in England gegenwärtig weder das soziale Bewußtsein noch das nationale Leben mitorme“, hat einer der führenden Katholiken Englands in einer Veröffentlichung der Catholic Social Guild (Oxford) diese Feststellung unumwunden als zutreffend anerkannt. Die Katholiken betragen in England nur fünf Prozent der Bevölkerung, also kaum mehr als zweieinhalb Millionen. Sie stellen somit nur eine geringe Minderheit dar. Dazu kommt, daß ein sehr großer Teil dieser Minderheit gar nicht alteingesessene Engländer, sondern irische Einwanderer. sind. .. Nur eine verhältnismäßig kleine Zahl katholischer Familien vermag ihre Vorfahren in die vorreformatorische Zeit zurückzuverfolgen. Da die irischen Einwanderer meist der arbeitenden Bevölkerung angehören, ergibt sich eine weitere doppelte Eingeengtheit des englischen Katholizismus: die Basis für die Entfaltung der katholischen Geistigkeit (Verlagswesen, Presse) ist verhältnismäßig schmal und die Kirche oder vielmehr die Seelsorgestellen sind im ganzen arm. Wenn sich trotzdem katholische Schriftsteller in bedeutender Zahl eine nationweite Geltung zu erringen vermochten, so beweist das eben ihren Rang. Man denke zum Beispiel 1 an Autoren, wie Chesterton, Belloc, Baring, um nur einige aus der letzten Generation zu nennen. Nicht zuletzt wirkt sich darin das eingangs erwähnte Prinzip der Toleranz aus: der einzelne Schriftsteller wird im ganzen auf Grund seiner wirklichen Qualität beurteilt, ohne antikatholisches Vorurteil, bedeutet darum aber auch nichts Wesentliches für die Stellung des Katholizismus im ganzen. Diese bleibt durch die Tatsache gekennzeichnet, daß, wie Belloc sich ausdrückt, der Katholizismus seit dreihundert Jahren auf gehört hat, einen Einfluß auf das im eigentlichen Sinne nationale Denken und Leben Englands auszuüben.

Belloc ist allerdings mit dieser Feststellung noch nicht zufrieden. In seiner soziologisch sehr feinen Studie “An Essay on the Nature of Contemporary England“ (1937) spricht er geradezu von einer „instinktiven Feindseligkeit des Engländers“ gegenüber der römisch-katholischen Kirche. Indessen scheint es unzweifelhaft, daß die Zeit, in der eine solche Einstellung etwa außenpolitisch etwas bedeuten konnte, vorbei ist. Die politische Dynamik in Europa ist dafür heute zu eindeutig.- Katholische Zeitschriften wie der „Tablett“ beklagen zwar immer wieder, daß die englische Außenpolitik die machtvollen und für die Zukunft Europas entscheidenden Kräfte, die in den katholischen Parteien der verschiedenen Länder Europas wirksam sind, nicht fruchtbar zu machen wisse, sondern ihr Interesse hauptsächlich den sozialistischen Minderheiten dieser Länder zu wen de. Indessen sind für diese Haltung sicher parteipolitische, nicht konfessionelle Motive verantwortlich.

In Sachen der katholischen Presse fällt dem vom Kontinent kommenden Katholiken das völlige Fehlen der katholischen Tagespresse auf, was von den Katholiken selbst kaum als Mangel empfunden wird. Die Gründe für ihr Fehlen sind nicht so sehr finanzieller Natur, sondern liegen vielmehr in dem Umstand, daß die Parteipolitik weltanschaulich neutralisiert ist: keine Partei vertritt ein atheistisches oder widerchristliches Kredo. Daher teilen sich auch die Katholiken parteipolitisch auf die Labour Party, die Konservativen und die Liberalen auf, lesen die Presse dieser Parteien ohne weltanschauliche Hemmungen, während den katholischen Politikern die Presse ihrer Parteien und sehr weitgehend die Tagespresse überhaupt zur Verfügung steht. Die Katholiken besitzen jedoch eine Reihe von angesehenen Wochenblättern und Monatszeitschriften, die allerdings auch mehr durch ihr geistiges Gewicht als durch ihre Auflagenziffern zählen. — Über die katholischsoziale Bewegung ist in einem früheren Aufsatz der „Furche" gesprochen worden. Eine Caritasorganisation wie in Österreich und Deutschland gibt es nicht. Es besteht auch keine einheitlich organisierte „Katholische Aktion“ wie anderwärts, wenn es auch nicht an trefflicher Arbeit in ihrem Sinne fehlt. Dagegen bilden Familie und Pfarre wirkliche Lebenszentren des englischen Katholizismus. In der katholischen englischen Familie gelten sehr hohe Standards des religiösen Lebens. Eine schwere Gefahr droht indessen von den gemischten Ehen. Daß ihre Zahl so groß ist, darf bei der Minderheit des katholischen Volksteiles nicht wundernehmen. Ihre nachteiligen Folgen für die Entwicklung des Katholizismus sind statistisch erwiesen. Zwar werden im allgemeinen die Kinder in die katholischen Schulen geschickt und das katholische Schulwesen, besonders das mittlere, ist quantitativ und qualitativ überragend, namentlich die Schulen der männlichen und weiblichen Lehrorden. Die finanziellen Opfer, die die Katholiken dafür bringen, sind außerordentlich groß. Die tatsächlich dauerhaften Wirkungen entsprechen indessen nicht diesem beispielgebenden Aufwand. Die wirklich praktizierenden Katholiken betragen in den besten Pfarreien bis zu fünfzig Prozent, in vielen anderen, besonders in den Großstädten bleiben sie hinter diesem Verhältnis mehr oder weniger zurück. Viel hängt dabei von dem Ausmaß der Hausbesuche ab, die die Pfarrgeistlichkeit zu machen in'der Lage ist; der regelmäßige Hausbesuch gehört hier zu den wichtigsten Mitteln der Seelsorge.

Die Zukunftsaussichten des englischen Katholizismus scheinen, wenn er sich an seine wesenhaften Lebenskräfte hält, bedeutende zu sein. Katholischerseits wird oft hervorgehoben, daß sich in wenigen Generationen das Kräfteverhältnis völlig verändern könnte, wenn die Katholiken sich praktisch voll und ganz an die natürlichen und christlichen Lebensgesetze von Ehe und Familie hielten. Tatsächlich ist jedoch die Geburtenziffer im katholischen Volksteil nur etwas, jedoch nicht eigentlich entscheidend höher als im nichtkatholischen, wo sie bekanntlich so niedrig steht, daß in den nächsten beiden Generationen mit einem bedeutenden Bevölkerungsschwund gerechnet werden muß. Kaum für die zukünftige Entwicklung in Rechnung zu setzen ist dagegen die Zahl der Übertritte zur katholischen Kirche, da ihr eine ungefähr gleiche Zahl von Ausfällen entspricht.

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