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Der Klaviermacher verstimmt die Saiten...

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Die erste Runde des Spektakels „Republik Österreich“ gegen ihren ehemaligen Volkstribun Franz Olah brachte keine politischen Sensationen; Staatsanwalt Dr. Scheibenpflug, ein stattlicher Repräsentant staatlicher Macht, benötigte 111 Seiten beziehungsweise vier und eine halbe Stunde, um die Anklageschrift vortragen zu lassen; die gesetzliche Höchststrafe allein für das Franz Olah unter anderem zur Last gelegte Delikt der „Untreue“ beträgt mehr Jahre, als der noch vor einem halben Dezennium zu den mächtigsten Männern im Lande zählende Innenminister außer Dienst bereits seiner Freiheit beraubt war, nämlich zehn! Seit 1933 jedoch sind ihm Gefängnisse vertraut.

Ein Hauch von Integrität umweht das bleiche, kantige Gesicht des Mannes, der nun nach jahrelanger mühsamer Voruntersuchung vor seinem Richter steht. Und der nicht zu begreifen scheint, daß gewisse parteipolitische Usancen, die wohl den wenigsten Spitzenfunktionären unserer Republik unbekannt und die von vielen seiner ehemaligen Parteigenossen zumindest damals gebilligt wurden, als die noch Nutznießer einer Macht waren, die nur allzu leicht das Recht zu überschatten droht, unter strafgesetzlich verpöntes Verhalten fallen können. Der „eher einfache Mann“, wie ihn Vorsitzender Dr. Melnazky taktvoll soziologisch einzuordnen suchte, wirkt physisch und psychisch stark genug, die Strapazen des auf sechs Wochen anberaumten Prozesses im wahrsten Sinne des Wortes „durchstehen“ zu können, obwohl nach eigener Aussage die Zwangsarbeit im Steinbruch während seiner KZ-Haft an seinen Beinen nicht spurlos vorübergegangen ist. Olah verbreitet das Gefühl, daß er lediglich als Lückenbüßer für ein System angeklagt ist, bei dessen Ausbau er sich tatkräftig und mit hohem Einsatz exponiert hatte; nach seinen Angaben wird lediglich der letzte Akt eines Machtkampfes mit gesetzlichen Mitteln beendet.

Verlierer in diesem Prozeß, ganz gleich wie das Urteil lauten mag, wird nicht in erster Linie Franz Olah sein. Eines Teiles — ihres noch die Narben des Müllner-Prozesses tragenden Gesichtes — verlustig gehen wird wieder die österreichische Parteiendemokratie, ebenso schwer angeschlagen ist schon jetzt das Prestige des überparteilichen Gewerkschaftsbundes, der über die Parteien Subventionen verstreute, mehr oder weniger getreu dem Proporz. Der moderne Leviathan hat viele Verpflichtungen; die der korrekten Rechnungslegung gegenüber seinen gewiß allesamt freiwilligen Mitgliedern hat er offenbar nie gehabt. Ein bißchen Schmutz fällt auch auf renommierte Unternehmen, einen Kotspritzer bekam sogar Prof. Dr. Hoff ab, der den Angeklagten einst als „sehr auffällig“ bezeichnet hatte. Gerüchte wollen allerdings wissen, daß der Doyen der Psychiater lediglich einen seiner Mitarbeiter decke und ein „ferndiagnostisches Gutachten“ tatsächlich auf Bestellung geliefert worden sei. „Ich habe von Karl Marx mehr gelesen als mancher, der behauptet, Marxist zu sein. Ich bin aber der Meinung, daß eine Partei keine Kirche ist und nicht 120 Jahre später genau das gleiche machen muß, was ein sehr Gescheiter für seine Zeit geschrieben hat.“ Dieses Zitat war mit ein Hauptgrund, weshalb der einst so populäre Olah von seinen Parteigenossen verbannt worden war. Warum seine frühere Partei plötzlich die Kirche zu umwerben begonnen hatte, schilderte der Angeklagte eingehend. Die Kandidatur des konfessionslosen Dr. Schärf für das Amt des Bundespräsidenten sei das ausschlaggebende Moment gewesen. „Bekenntnisfreiheit für die Katholiken in der SPÖ wollte man ja in Wirklichkeit nicht“, und auch deshalb sei er mannigfachen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Zu den Pikanterien dieses Prozesses, an dem neben den weiblichen Schöffen und dem Staatsanwalt vier Angeklagte und acht Rechtsanwälte beteiligt sind, gehört wohl, daß gerade der Gewerkschaftsbund, der doch nicht wenigen Zeitungen direkt oder indirekt, nach Olahs Angaben aber unter Einsatz von Mitgliedsbeiträgen seiner Angehörigen aus der Taufe gehoben hat, durch jenes Mitglied des Verfassungsgerichtshofes vertreten wird, das nicht gerade der Kontinuität der Pressefreiheit in diesem Staate Pate gestanden hat. Ob aber Franz Olah das Groteske der Situation zu Bewußtsein kommt oder ob sich ihm nicht angesichts des enormen Interesses, das die Kommunikationsmittel von

seinem unfreiwilligen Auftritt vor Gericht nehmen, andere Parallelen aufdrängen? Etwa die, daß er einen Schauprozeß, wenngleich unter ungünstigeren Bedingungen, schon 1950 hätte haben können, falls damals sein organisierter Widerstand gegen den kommunistischen Putsch unter sowjetischer Patronanz gescheitert wäre; oder der wenige Tage später erfolgte Kidnappingversuch des USIA-Werkschutzes Erfolg gehabt hätte? Oder läßt ihn der Gedanke an das „Raab-Olah-Abkommen“, das wohl zu einem der Hauptgaranten des sozialen Friedens in Österreich zu rechnen ist, das Bewußtsein, große und entscheidende Entwicklungen für sein Land eingeleitet zu haben, die Kraft schöpfen, dem Ausgang des Prozesses ungebrochen entgegensehen zu können?

Vielleicht fühlt er sich auch wohl in der Rolle eines Märtyrers, worauf die Tatsache hindeuten könnte, daß er zu einem Zeitpunkt, als ihm der Parteiausschluß mmindest sehr möglich scheinen mußte, noch das Herz hatte, sich als überzeugungsfähige Zuglokomotive für die Wahlen zum niederösterreichischen Landtag einspannen lassen.

Ein bitterer Beigeschmack wird noch lange auf der Zunge liegen; Partei-Machiavellismus und andere Prozeßenthüllungen deuten darauf hin, daß manche Virtuosen der demokratischen Spielregeln deren empfindliche Saiten verstimmt haben.

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