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Der Komplex

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Das Schifflein der zran Wiederaufbau in Fahrt gesetzten drei Parteien passiert jetzt eine nicht angefährliche Untiefe. Es kam ganz unversehens.

Stellen wir den knappen Sachverhalt fest: Bei dem Aufräumen der Überbleibsel nazistischer Schuldiktatur traf die oberste Schulbehörde fiberall auf die Spuren der bewußten Zerstörung christlicher Lebensäußerung. In den meisten Schulen war der Religionsunterricht fast oder ganz ausgelöscht worden od nicht einmal die Kreuze an der Wand waren irgendwo übriggeblieben. Der Unterrichtsminister, pflichtgemäß um das Säube-nmgswerk bemüht, verlautbarte mit Berufung auf ein „von der österreichischen Volksmeinung hochgehaltenes Brauchtum“, es bestehe „kein Anstand“, entfernte Kreuze wieder anzubringen. Man konnte, wenn man wollte, aus dem Erlaß eine Beschränkung auf jene Schulgebiete lesen, wo dieses Brauchtum vordem, unbestritten durch Auslegungen der Interkonfessionalität der Staatsschule, fortbestand. Nun ereignete es sich, daß der Wiener Stadtschulrat für sein Gebiet, der allgemeinen Weisung der Oberbehörde entgegengesetzt, eine Verlautbarung, gerichtet „an alle öffentlichen und privaten Schulen“, erließ, in der er sich auf den Zustand vor dem Jahre 1934 berief — also auf den durch die Erlässe des früheren Ministers Glöckel geschaffenen Zustand —, und seinerseits die Weisung gab, es sei.„von der Wiederanbringung von Kreuzen Abstand zu nehmen“ — mit der Begründung, „daß durch das Anbringen von religiösen Symbolen in den Schulklassen der interkonfessionelle Charakter der öffentlichen Schulen in Frage gestellt würde“. — In weiten und wahrlich, nicht an konfessionelle Grenzen gebundenen Kreisen der christlichen Bevölkerung wurde es als schmerzlich empfunden, daß die Verfügung des Stadtschulrates im öffentlichen Schulwesen zu einer Vergangenheit zurücklenke,. an die sich viele bittere Erinnerungen knüpfen; doch viel tiefer rioch traf die in der Adressierung der Weisung enthaltene wörtliche Bestimmuag, daß sie an alle öffentlichen „und Privatschulen“ gerichtet sei. Eine solche Ausweitung des Verbots konnte nicht anders denn als'ein ebenso ungesetzlicher wie sinnwidriger Angriff auf die Bekenntnisschulen aufgefaßt werden. Dem entsprach die Zurückweisung, den der stadtschulrätliche Erlaß durch berufene Wortführer des Volkes, an ihrer Spitze den Kanzler, aber auch durch Stimmen aus dem kirchlichen Raum, erfuhr. Eine neuerliche Verlautbarung des Stadtschulrates stellt die vorausgegangene richtig: Der erste Erlaß gelte nur für die öffentlichen Schulen, habe „auf die konfessionell-christlichen Privatschulen keine Anwendung“. Eine widerspruchsfreie, sorgfältigere Stilisierung der ersten Weisung hätte viel Verdruß erspart.

Als gäbe es wirklich ein Gesetz der Serie, ist dem ersten sofort ein zweiter verletzender Vorfall gefolgt: An einer Wiener Mittelschule haben die Schüler der siebenten Klasse — Katholiken und Protestanten — in ver-e'nbarter Abstimmung die Verrichtung eines gemeinsamen Schulgebetes beschlossen. Das geschah im März dieses Jahres; seitdem wurde dieses Gebet, gegen das Schulleitung und Landesschulinspektor keine Einwendung erhoben, von den Schülern vor und nach dem Unterricht gesprochen. Keiner der Schüler — auch keiner der wenigen konfessionslosen — hat sich durch die gemeinsame Vereinbarung verletzt gefühlt und gegen sie /Beschwerde erhoben. Nun ist der Stadschulrat, anstatt an der frischen Geistigkeit dieser jungen Menschen

ich zu freuen, mit einem Gebetsverbot gegen sie vorgegangen. Es sei festgehalten:. Was

i dieser siebenten Klasse, also nicht unter Kindern, sondern unter schon heranreifenden

jungen Leuten geschah, das geschah vor und nach dem Unterricht,' störte niemanden, war keine gemeinschaftswidrige Unordnung, sondern ein in freier Abstimmung beschlossener gemeinsamer religiöser Spruch, gegen den — zumal unter den gegebenen taktvollen Voraussetzungen — mit so wenig Recht eine Einwendung geltend gemacht werden kann, als wenn die Schüler außerhalb des Unterrichtes etwa den Monolog der Iphigenie von Tauris oder einige Verse aus der Ilias im Chor rezitiert hätten. Welche erziehlichen Wirkungen und welchen Dienst am Gemeinwohl will man sich im Stadtschulrat von einem amtlichen Verbot versprechen, das junge Menschen als einen ..bürokratischen, mit dem Geist des Gesetzes und demokratischer Gesinnung in Widerspruch stehenden Angriff auf ihre Gewissensfreiheit empfinden müssen?

Das „MittelschulgesetZ“ vom 2. August 1927, BGBl. Nr. 244, das mit den Stimmen der sozialdemokratischen Partei beschlossen wurde, sagt im 1, Absatz 2:

„Als Bildungsanstalt soll sie (die Mittelschule) die geistigen, sittlichen und körperlichen Kräfte der ihr anvertrauten Jugend entwickeln und die jungen Menschen im sozialen, staatsbürgerlichen, nationalen und sittlichreligiösen Geiste erziehen.“ Man wird schwerlich behaupten können, daß jener Akt gegen die private religiöse Haltung von Schülern einer Erziehung im sittlich-religiösen Geiste entspricht.

Über diese ernsten Vorkommnisse würde man leichter hinwegkommen, würde man nicht in der sozialistischen Presse neben dem merklichen Bemühen, Schärfen zu vermeiden, ein volles Mißverständnis für die Wesenheit der Dinge, um die es geht, wahrnehmen müssen.

Es ist doch wohl ohne weiteres einleuch-

tend, daß die katholische Kirche in Gemeinschaft mit ihren Gläubigen nach den erlittenen räuberischen und blutigen Verfolgungen nun einen dauernden Frieden im kirchlichen Raum wünscht, einen Frieden, den sie mit redlichem Wollen und ihrer eigenen Mitwirkung fördern will. Man darf dies gewiß auch von den anderen christlichen Bekenntnissen sagen. Die Kirche und die österreichischen Katholiken haben in die zweite Republik diese Friedensbereitschaft nicht zuletzt durch den Erweis eingebracht, daß in weiten Bereichen die Trennung von Kirche und Staat widerspruchslos und sichtbar vollzogen wurde. Und es ist nur eine weitere der verschiedenen augenfälligen Dokumentierun-

gen solcher Gesinnung, daß heute durch autoritative kirchliche Anordnung der katholische Priester, den die Bedürfnisse einer früheren Zeit zuweilen zu aktivem Hervortreten im öffentlichen Leben genötigt hatten, aos der Politik zurückgezogen ist. Niemand von reifer und objektiver politischer Erkenntnis wird die Bedeutung der Tatsache verkennen, daß die österreichischen Katholiken fast demonstrativ auf eine parteipolitische Formung verzichtet haben, der etwa konfessioneller Charakter nachgesagt werden könnte. So ist von der rechten Seite her viel geschehen, um alles zu vermeiden, was zu kulturkämpferischen Reizungen Anlaß geben könnte. Es sind Dispositionen ge-, troffen, wie sie kein früheres politisches System so günstig vorfand.

Natürlich: das christliche Volk lebt, es ist da und es hat in dem staatsbürgerlichen Raum das Recht auf Achtung und die freie Pflege seiner religiösen Überzeugung. Wer dagegen verstößt, muß immer eine der empfindlichsten Stellen in der Nebeneinanderordnung verschiedener Weltanschauungen treffen.

Man verstehe es dodi: dem Christen, der in seinem Glauben lebt, ist dieser Glaube mehr als jedes weltliche Gut, vor ihm versinken alle irdischen Verheißungen; das Kreuz, dies Zeichen der Erlösung der Menschheit, ist ihm Kraft und Trost in den Drangsalen des Daseins. Für diesen Glauben haben zu allen1 Zeiten Märtyrer ihr Leben hingegeben. Und wäret Ihr von der Linken nicht selbst Zeugen in den Konzentrationslagern, daß für diesen Glauben Ungezählte, unerschüttert durch die Peinigungen und die Schrecken der Strafblocks und der Marterkammern, ihr Heldentum bis zum Letzten gelebt haben? Und doch bricht gerade hier aus einer, wie man hoffen möchte, heute schon begrenzten Zone des sozialistischen Lagers ein kapitaler Irrtum auf, , der Irrtum nämlich, jeden Anspruch auf die Geltung der religiösen Lebensrechte, jede Verteidigung dieser Rechte gegen Mißdeutung oder Verkleinerung als ein Politi-kum, nur als die Äußerung eines unruhigen politischen Parteigeistes zu erklären und Anklage zu erheben gegen die Störung der notwendigen Zusammen- und Aufbauarbeit, wo- von jenseits der religiöse Friede verletzt worden war. Dieser Komplex einer für das Wesen der Religion empfindungslosen oder auch antireligiösen Ideologie ist es, der unheilbringend das Denken politischer Köpfe des sozialistischen Lagers durchgeistert. Dieses feindselige Erbe aus dem historischen Marxismus ist der Feind, aus dem die Bedeutung der notwendigen staatsbürgerlichen Zusammenarbeit kommt. Wir werden in Österreich nur. dann freier vorwärtsschreiten können, wir werden Frieden haben und unsere Kräfte besser für den Aufbau nützen können, wenn endlich der österreichische Sozialismus von diesem gespensterhaften Komplex sich befreit. f.

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