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Der Krieg gegen die Volksvergiftung

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Die Schlammflut schmutziger Presseerzeugnisse, die sich über Mittel- und Westeuropa dahinwälzt, veranlaßt jetzt audi die italienische Regierung, auf eine energische Abwehr zu sinnen, obschon Italien bisher dion ein weitreichendes Pressegesetz besitzt und weniger von der Verseuchung betroffen ist, als die deutschen Sprachgebiete. Bestimmend für den Entschluß der Regierung ist die Erfahrung, daß strafgesetzliche Bestimmungen, die nur den einzelnen Fall durch Beschlagnahmen erreichen, und es versäumen, die Erscheinung der pornographischen Presse als solche generell zu treffen, ihren Zweck verfehlen. Staatssekretär Andreatti, der kürzlich im Senat zu dem Thema Stellung nahm, bekannte sich zu der grundsätzlichen Auffassung, daß die Pressefreiheit, die von der Verfassung garantiert sei, nicht Bezug habe auf Erzeugnisse, die volksschädlidi sind und aus infamer Gewinnsucht vom Volksverderb leben. Man werde diese Verderber der jungen Menschen „am Geldbeutel fassen“.

Sicher ist, daß das pornographische Gewerbe heute soldie Gewinne abwirft, daß es mit diesen alle Risken von Einzelbesdilag-nahmen und strafprozessualen Verfolgungen bestehen konnte. Ob jedoch überhaupt mit Geldstrafen, und seien sie noch so streng, dem Übel beizukommen ist, erscheint sehr zweifelhaft. Dieses Sdimugglergeschäft ist so einträglich, daß man es mit Geldstrafen schmälern, aber nicht verhindern kann. Und Geldstrafen sind ein Widerspruch gegen die Logik: entweder stellt das pornographische Gewerbe eine Volksvergiftung dar oder nicht. Erschütternde Erfahrungen und Tatsachen sprechen das Ja. Dann aber muß man das verbrecherische Übel ausrotten. Mit oberflächlichen Maßnahmen, welche das pornographische Gewerbe fortbestehen lassen und nur jeweils einzelne seiner Äußerungen treffen, legitimiert man nur die Existenz des Schandgewerbes. So beruhigt man nur ein Gewissen durch einen Schlag ioc Wasser.

Die Ausbeuter, die es verstanden haben, ich unter dem Sdiirm der Pressefreiheit zu etablieren, haben es bisher noch immer erstanden, halben gesetzgeberischen Maßnahmen durch ihre raffinierte Betriebsorganisation zu entgehen. Die bayrische Staatsanwalt-chaft hat da überraschende Erfahrungen sammeln können, als sie es kürzlich unternahm, dem dichten Schwärm aus Österreich einströmender Bordelliteratur, die längst sich nach Bayern Zugang verschafft hat, während der anständigen Presse bis heute der Zugang noch erschwert ist, mit Konfiskationen zu begegnen. Als vor Weihnachten die Münchner Staatsanwaltschaft mit einer Beschlagnahmeaktion gegen die pornographische Presse einsetzte, stieß sie, wie die „Neue Zeitung“, München, feststellt, auf Seiten der Händler vielfach auf passive Resistenz. Eine Umfrage bei einer Reihe Münchener Kioske ergab folgendes Bild: An etwa zwanzig Verkaufsständen wurden bereit 48 Stunden nach der Aktion einige Dutzend neue Exemplare der beschlagnahmten Schmutzschriften angeliefert. Aus einer Anzahl größerer Läden wurden die Hefte vom Grossisten kurz vor der Beschlagnahme abgeholt. Ein „Kleiner Nadi-richtendienst“ informierte die Verkäufer noch während der laufenden Aktion, so daß der versierte Geschäftsmann in der Lage war, die Ware in Sicherheit zu bringen. — Daß die Beschlagnahme ein erzieherisches Echo hinterlassen hätte, kann im wesentlidien nicht behauptet werden. Am nächsten Morgen nach der Bekanntgabe, daß 1000 Exemplare eines gewissen Wiener Schmutzerzeugnisses beschlagnahmt seien, brachte der Grossistenbote wie üblich einen Stoß der gleichen Nummer. Nicht mit Unrecht fragten die Zeitungsverkäufer, warum besdilagnahmt man die Zeitschriften erst bei uns und nicht beim Verlag? Aber dieser Zugriff hätte in Wien gesdie-hen müssen, dem Ursprungsplatz dieser Kulturschande.

Es ist höchste Zeit, daß wir in Österreich diesem seh mloscn Export ein Ende machen, der den Ruf Wiens tiefer entwürdigt, als Wiens Kunst und Wissenschaft wieder gutmachen können.

Sozialistische Stimme

In der führenden sozialistischen Tageszeitung nimmt deren Chefredakteur zu dem Thema „Schmutz und Sdiund“ Stellung. Seine Ausführungen verkennen nicht die Notwendigkeit, gegen die Wirkungen der Kloakenpresse auf die Jugend Stellung zu nehmen, jedoch er glaubt, daß das Problem durdi die Aktivierung der Strafgesetznovelle vom Jahre 1929 und die Wiederherstellung unter der nationalsozialistischen Herrschaft aufgehobener Bestimmungen genügen kann. Der 12 des Preßgesetzes enthält an sich löbliche Bestimmungen über die Berechtigung von Landesschulbehörden und Jugendämtern, bei den Sicherheitsbehörden die zeitweise Einstellung pornographischer Schriften in Antrag bringen zu können. Der Mangel an Verfahrensvorschriften, welche das notwendige, das unerläßliche rasche Funktionieren dieses Apparats verbürgt hätten, war viel-leidit nicht der letzte Grund dafür, daß das Gesetz von 1929 völlig wirkungslos geblieben ist. Irgendeine merkliche Wirkung vermochte es nicht auszuüben. Der Fehlschlag dieser Gesetzgebung beweist deutlich, daß man mit diesen Bestimmungen nidit das Auslangen finden kann, und es wäre unaufrichtig, Maßregeln zu retablieren, die sich schon einmal als unwirksam erwiesen haben. Zweifellos haben Erziehung und Jugendfürsorger die erste Kompetenz in den aufzustellenden Säuberungsmaßregeln, aber diese Stellen sind so einzurichten, daß sie rasch ohne Umständlichkeit und viele Fragerei amtieren und entscheiden können.

Und noch ein zu gewissen Beriditen — Freiheit der öffcntlidien Meinungsäußerung: Preßfreiheit? Ja, tausendmal ja — man wird und soll uns immer in der ersten Reihe ihrer Vorkämpfer finden, wenn sie von dieser oder jener Seite her angegriffen und bedroht wird! Sie wird aber nun heute bedroht und in ihrer. Substanz angegriffen durch jene Geschäftemacher, die sich jenes Vorrechts der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit widerrechtlich bemächtigt haben, um auf Kosten der Gesundheit des Volkskörpers sich zu bereidiern. Freiheit der Presse kann nie und niemals die Ausstellung von Lizenzen, von Gewerbescheinen für Volksverderb bedeuten! Das Vorgehen gegen ie sollte nicht mit „Zensur“ benannt werden. — Gerade unsere Sozialisten sollten hier für Notwehr- und Selbstschutzmaßnahmen der Gemeinschaft gegen die Freibeuter und Firmenfälscher der Pressefreiheit ein besonderes Maß von Verstände aufbringen. Sollte der Sozialismus, groß geworden im Kampfe gegen die altliberale Nachtwächterstaatsideologie, nicht begreifen, daß er, will er sich nicht selbst verleugnin, den Staat nidit in einem seiner widitigsten Aufgabenbereiche, dem Sdiutze der Jugend und der Volksgesundheit, preisgeben darf zum Nutzen großkapitalistischer Gesdiäfte-macher?

Ein fortschrittlicher Sozialtsmus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ist in nichts, in gar nichts — sollte man meinen — jener libertinistischen sexual-liberalen Ideologie verpflichtet, die viele seiner Anhänger früher verband — ein Relikt des spät-bourgeoisen Fin du siccle! Ein positiver; konstruktiver Sozialismus, der sich einfordern läßt von den großen Aufgaben unserer Zeit — Neubau des Staates, der Gesellschaft, des Individuums —, würde sich selbst aufgeben, sich selbst widerspredien, wenn er auf die Formung seiner. Jugend in s o z i a 1- und individualethischer Hinsicht verzichten würde. Die beste Jugend aller Nationen, Weltanschauungen lind politischen Bekenntnisse sieht heute zu jenen auf, die ihr große Forderungen und große Lebensformen vorstellen. — Ein demokratischer Sozialismus, der also seine Jugend in ethischer Hinsicht der Richtungslosigkeit und Haltlosigkeit, der chaotischen Scheinfreiheit eines verspäteten „Liberalismus“ überantworten würde, ist dem Zerfall und Marasmus überantwortet:

Unser Sozialismus hat also, wenn er sein eigenstes Anliegen recht versteht, sein primäres eigenständiges Interesse wahrzunehmen, wenn er sich an den parlamentarischen Arbeiten am praktische Maßnahmen gegen Schmutz und Schund aktiv und konstruktiv beteiligt. Nicht um „Zensur“, nicht um Minderung der Pressefreiheit, nicht um „klerikale Bevormundung“ geht es hier, sondern um Abwehr vor allem der nachwachsenden Generation, leiblicher und seelischer Ausplünderung und Übermachtung durch gewissenlose Geschäftemacher.

Die Aktionen des Selbstschutzes, mit denen die katholische Jugend in Tirol und Salzburg, in Bayern und Rheinland eingegriffen hat, sind stürmische Erinnerungen an die staatlichen Autoritäten, ihre Pflicht zu tun und nicht deren Befreiung von der Verpflichtung. Wie unzulänglich weithin die bisherigen staatlichen Vorkehrungen gegen die Volksverseuchung empfunden werden, zeigt, daß das Evangelische Jugendwerk in Westdeutschland an die Einrichtung einer „Schundabwehrstelle“ geht, deren Sitz in Stuttgart sein wird. Wie der Leiter der Abwehrstelle mitteilt, soll gemeinsam mit Jugendorganisationen und Frauenverbänden gegen Verlage mit pornographischer Literatur und Kriminalreißern vorgegangen werden. Das evangelische Jungmännerwerk will dem Bundesjustizministerium vorschlagen, Sdinellgeridite für die Produzenten von Schund und Schmutz einzurichten, weil das üblidie Gerichtsverfahren sich zu lang hinschleppe.

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