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Der kulturpolitische Gegenstoß in der Türkei

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Der große Erdrutsch in der Türkei, der plötzlich die Republikanische Volkspartei, die Trägerin des ebenso kühnen, wie gewaltsamen politischen und 1 religiöskulturellen Umformungsplanes Kemal Atatürks, zu Boden geworfen hat, wurde in Europa als eine große Überraschung empfunden. Und 'doch hätte er' nicht überraschen müssen. Der Sturz der mächtigen Partei wurde seit Jahren vorbereitet durch den wächsenden Unwillen des Volkes über die dieser Partei und dem Konzept Kemals charakteristische Kulturpolitik, die mit dem religiösen Gut des Volkes, seiner Lebensform und seiner Tradition aufzuräumen versuchte. Die jetzige politische Veränderung ist' die Wirkung des einsetzenden Gegenstoßes.

Der „Laizismus“, der in seinen Gesamtauswirkungen das eigentliche Gesicht der modernen Türkei seit Kemal Pascha bestimmte, hat — philosophisch betrachtet — seinen Ausgang in der positivistischen Lehre Auguste Comtes, eines der ideologischen Lehrmeister Kemal Atatürks. Die „laizistischen Reformen“ waren nicht nur einfach antireligiös und bedrohten die religiösen Werte mit. So geschah es, daß schön zu Lebzeiten Atatürks fast der ganze Widerstand gegen seine Reformen aus der Mitte der korantreuen Bevölkerung kam. Es gab sogar ünter'den engsten Mitarbeitern des großen Heerführers und Staatsmannes

Leute, die ausgesprochene Gegner seiner Kulturpolitik waren, so der kürzlich verstorbene Marschall Fevzi Tschäkmak, einer der Gründer der Demokratischen Partei, und der nachmalige Präsident der nltramoslemischen Millet Partisi, der Partei der nationalen Konfessionsgemeinschaft.

Diese Widerstände erklären es wohl auch, daß die Regierung von Ankara seit mehr als vier Jahren eine versöhnlichere Haltung gegenüber dem Islam als Hauptreligion des Landes einnahm. Unabweis-lich war es geworden, jenes gefährliche Vakuum, das durch die traditionsver-heinende, halbmaterialistische Erziehung in einem Großteil der Jugend entstanden war, zu beseitigen. Erst recht forderte der angegriffene Glaube des anatolischen Bauern Gehör. Konnte es denn eine bessere Gewähr der Tapferkeit, der Treue und Genügsamkeit des braven „Mehmetschik“, des einfachen Soldaten, geben, als sein mit beträchtlicher Dosis von Mystizismus durchdrungener Islam es war?

Schon Jahre vor der jetzt erfolgten Machtergreifung der liberalgesinnten Demokratischen Partei war entsprechend dem korrigierten Kurs die religiöse Presse wieder gestattet und die allgemeine Erlaubnis zur Errichtung religiöser Bauwerke erteilt worden. Bald danach begannen überall im Lande neue seit der ersten Niederschrift weit über 24 Milliarden Kilometer im Sternenraum zurückgelegt. Ihn selbst aber, den Ahnungslosen, durchdrangen in dieser friedlichen Stunde scheinbarer Unbewegt-heit wie alle irdischen Naturkörper und Lebewesen dauernd unsichtbar kosmische Strahlen. Sendet bereits das Atom elektromagnetische Wellen aus, so gelangen von Sonnen und Sternen, selbst aus anscheinend leeren Tiefen des Raumes Mikro-und Kurzwellen zu uns. Als Bestandteile der sogenannten kosmischen Strahlung, für deren Entdeckung der Österreicher Viktor Franz Heß 1936 den Nobelpreis erhielt, wurde ein Jahr später eine neue Sorte elektrisch geladener Urbausteine des Stoffes aufgefunden, die Mesonen'. Sie durchdringen mehrere Meter dickes Blei, sind nach Berichten von Bothe, Hoffmann und anderen noch am Grunde des Bodensees und in den tiefsten Stollen der Bergwerke nachweisbar. Allerdings kann die kosmische Strahlung, in der man sie fand, so wie sie aus dem Weltraum kommt, noch nicht aus Mesonen bestehen, da diese auf dem Wege durch das All längst zerfallen wären.

In dem erwähnten „Handbuch des Wissens“ besprach der Wiener Astronom Dolezal die letzten Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der elektromagnetischen Wellen und berichtete von Phänomenen, die der Wiener Ordinarius für Physik, Ehrenhaft, aufzeigte, deren Deutung aber noch ausstehe. Dieses Gelehrten eigenstes Arbeitsgebiet ist die Erforschung des Magnetismus. Mit Hilfe des Mikroskops gelang ihm zusamt seiner Mitarbeiterin, der Wiener Bildhauerin Lilly Rona, der Nachweis, daß die Materie irri magnetischen Felde und im Strahlungs: felde in polare Bewegung und zugleich in Rotation versetzt wird, daß beide Bewegungserscheinungen von der Frequenz —i der Schwingungszahl in einer Sekunde — und von der Richtung der Felder abhängen, und daß schließlich magnetische und Strahlungsfelder in ihrer kinetischen Wirkung auf die Materie einander aufheben beziehungsweise verstärken. Die erwähnte Physikerin hat nun in einem Aufsatz die neuesten Forschungsergebnisse bedeutender Gelehrten auf dem einschlägigen Gebiete zusammengefaßt, zu weitgehenden Folgerungen.

Der Nobelpreisträger P. A. M. Dirac erschloß auf mathematischem Wege die Existenz von isolierten Magnetpolen im Weltraum; er hält das magneto-kosmische Feld für so gewaltig, daß unser Beobachtungsvermögen versagt. Auch ein anderer Nobelpreisträger, Enrico Fermi, erachtet das Vorhandensein kosmischer Magnetfelder von kolossaler Stärke in Räumen zwischen Sternsystemen für wahrscheinlich. Heß beobachtete seinerseits, daß an der Erdoberfläche stets gleichzeitig kosmische Schauer unter 180 Grad auftreten. Da nun die magnetischen Nord - Süd - Achsen der Sonne, der Erde und der Planeten nahezu parallel gerichtet sind, so vermutet L. Rona, daß ein magnetischer Strom von Super-neutronen das Weltall in nord - südlicher und süd - nördlicher Richtung durchfließt. Viel läßt sich von dieser Annahme aus erklären, so die größere Fallbeschleunigung an den Polen als am Äquator, die Abplattung der Erdkugel und manches andere. Selbst Wachstum und Zerfall könnte man als eine Funktion des mag-neto-kosmischen Stroms auffassen. Hier muß allerdings an die Versuche Eugsters erinnert werden, der winzigste Lebewesen der Wirkung von Strahlenschauern aussetzte, hervorgerufen durch die kosmische Strahlung in einer darübergelegten Bleiplatte B. Bei normallebenden Zellen konnte hiebei eine Wachtstumshemmung festgestellt werden, bei Zellen krankhaft veränderten Gewebes jedoch eine Anregung ihrer gefährlichen Lebenstätigkeit. Wie im kleinen hat man auch im großen magnetische Wirkungen festgestellt, Störungen des magnetischen Kraftfeldes der Erde. Wer erinnert sich nicht an die gewaltigen Nordlichter im Jahre 1938? Waldmeier8 glaubte sie durch Vorgänge auf der Sonne ausgelöst, da die sogenanin magnetischen Stürme

„Forschungen und Fortschritte“, Berlin 1939, Heft 17. H. Maier-Leibnitz.

Natur und Technik“, Wien, Jahrgang 1949, Heft 10/12.

B J. Eugster und V. F. Heß: „Die Weltraum-Strahlung und ihre biologische Wirkung“, Zürich 1940.

„Die Naturwissenschaften“, Berlin 1942, Heft 17/18. mit hoher Sonnentätigkeit und Fleckenzahl zusammenfielen. Noch stehen wir am Anfang einer Forschung, die immer weiter in das scheinbar Unendliche hinaustastet, immer genialer erdachte Instrumente verwendet. Als der mechanistische Materialismus um die Jahrhundertwende vermeinte, mit dem Begriff der zeitlichen Unendlichkeit der Schöpfung den Schöpfer entthront zu haben, da war sein geistiges Rüstzeug karg gegen das unserer Tage. Man vergleiche das erste Buch Mosis mit Weizsäckers Vermutung über die Anfänge der Geschichte des Himmels: „Vor einigen Jahrmilliarden war die Materie, die heut den uns bekannten Teil der Welt erfüllt, in einem Raum zusammengedrängt. Damals bildeten sich aus leichten Atomkernen, vielleicht aus reinem Wasserstoff, die schweren Elemente. Dann flog die Materie auseinander und verteilte sich als immer diffuser werdendes Gas im Raum. Was etwa jenem Anfangszustand voranging, ob er lang oder nur einen Augenblick dauerte und warum die Materie dann auseinanderflog ...?“

Wollte heutzutage ein Genie, wie Plato, Gedankendichtungen niederschreiben, um in unvergänglichen Dialogen Unsterbliche gleich Sokrates, Alkibiades und Aristo-phanes ihre Weisheiten austauschen zu lassen, er müßte Nobelpreisträger zu einem geistigen „Gastmahl“ laden. Sie spächen nicht mehr als Gelehrtensprache

Latein wie Newton und Leibniz. Auch das klassische Griechisch vermöchte nur noch Buchstaben seines Alphabets für mathematische und physikalische Formeln beizusteuern, mittels deren sich hier etwa Heisenberg und Einstein, Niels, Bohr und de Broglie, Fermi, mehrere Denker des angelsächsischen Sprachbereichs, Österreicher, wie Heß, Pauli und Schrödinger, über alle Idiome hinweg verständigten. Planck wiederholte wohl sein eindrucksvolles Wort: „Mein Führer war seit jeher der Glaube an die ewige Ordnung, die die Natur regiert.“ Und Weizsäcker spräche gleichwie im Schlußvortrag seiner „Geschichte der Natur“, einer Zusammenfassung letzterreichten Wissens, aus tiefem Nachdenken: „Wenn aber die Erkenntnis ohne Liebe in den Dienst des Widerstandes gegen die Liebe tritt, so rückt sie an die Stelle, die in den mythischen Bildern des Christentums durch den Teufel bezeichnet ist. Die“ Schlange im Paradies rät dem Menschen zur Erkenntnis ohne Liebe. Der Antichrist ist die Macht in der Geschichte, welche die lieblose Erkenntnis zur Vernichtung der Liebe ins Feld führt. Sie ist freilich auch die Macht, die sich durch den Sieg selbst vernichtet. Dieser Kampf ist noch nicht ausgetragen. Wir stehen in ihm an einem Ort, den wir nicht gewählt haben und an dem wir uns zu bewähren haben.“ Ein ernstes und sehr tapferes Gebet nach dem Gastmahl der Denker.

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