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Der letzte Enzyklopädist

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Er wurde in Wien geboren und ist hier im Mai 1965 auf dem Pur- kersdorfer Waldfriedhof beerdigt worden. Dies war sein letzter Wunsch. Auch hat er in Wien das Schottengymnasium besucht. Aber Otto Forst de Battaglia hat in vielen Ländern gelebt und publiziert: in Frankreich und der Schweiz ebenso wie in Brasilien und Kanada, Schweden und Ungarn. Sein Doktorat machte er 1915 in Bonn, und zwar mit der höchsten Auszeichnung, die das kaiserliche Deutschland zu vergeben hatte. Eines seiner Grundthemen war damals schon angeschlagen: „Vom Herrenstande“ hieß der Titel seiner Dissertation, und genealogischen Studien waren fast ausschließlich die Jahre 1910 bis 1916 gewidmet.. Unter anderem erstellte er eine. Ahnentafel des Herzogs Franz Ferdinand bis ins 10. Glied; später, 1932, veröffentlichte er das aufsehenerregende Werk „Das Geheimnis des Blutes“.

Seit 1948 war Otto Forst de Battaglia auch als Gastprofessor an der Wiener Universität tätig und dozierte in seiner unkonventionellen grandseigneurialen Art über Genealogie, polnische Literatur und Geschichte. Polen — das war das zweite große Thema seines Lebens. Er sammelte Material über die Polnische Legion, veröffentlichte Bücher über Jan Sobieski und Ponjatowski und schrieb über viele in Westeuropa und in Übersee unbekannte pol nische Dichter und Schriftsteller. Immer wieder auch über die leidvolle Geschichte des polnischen Volkes, die ihn bis in die letzten Jahre seines arbeitsreichen Lebens beschäftigte und den temperamentvollen Publizisten auf den Plan rief. „Die Furche“ rechnet es sich zur Ehre an, O. F. B. mehr als 15 Jahre lang als ständigen Mitarbeiter gehabt und seine letzten Artikel veröffentlicht zu hahen. — Aber nicht nur das Schicksal Polens, — das ganz Europas, besonders jener Länder, die ehemals zur österreichisch- ungarischen Monarchie gehört hatten, lag ihm besonders am Herzen, wovon der Band „Zwischeneuropa von der Ostsee bis zur Adria“ (1954) Zeugnis ablegt. Franz Theodor Csokor, der Forst- Battaglia zum erstenmal im Jahre 1915 im Kriegsarchiv traf, nannte ihn einmal eine „erasmische Erscheinung“, einen „polnischen Erasmus“. Mit dem großen Renaissancehumanisten hatte er die universelle Bildung und das vielseitige Interesse gemeinsam, aber O. F. B. war eine leidenschaftlichere, engagiertere Natur. Sein Engagement galt, wir sagten es bereits, vor allem seiner Heimat Polen und dann seinem größeren Vaterland, dem alten Österreich und seiner feudalen Tradition. Mit spitzer Feder focht er gegen den Radikalismus von links und von rechts, gegen Nihilismus und Pseudomystizismus. Am schärfsten ging er mit den Auswüchsen des Liberalismus in dem 1931 erschienenen „Kampf mit dem Drachen“ ins Gericht, am tolerantesten zeigte er sich in der zwei Jahre später herausgegebenen Anthologie „Deutsche Prosa seit dem Weltkrieg“, einem Standardwerk, das längst eine Neuauflage verdient hätte.

„Polen liegt am Mittelmeer“, sagte einmal der Gründer des polnischen PEN-Zentrums, Jan Parandowski. Die lateinische Sehnsucht, die Polens Literatur seit zwei Jahrhunderten prägte, von Mickiewicz und seiner Polnischen Legion bis zu den berühmtgewordenen Schilderungen der toskanischen Kunst und Landschaft durch Kasimierz Chle- dowski und den Briefen aus Italien von Kasimierz Brandys, bestimmte auch einen breiten Sektor im Lebenswerk Otto Forst de Battaglias. Er veröffentlichte eine Geschichte der französischen Literatur von 1870 bis 1924 und ließ unter dem Titel „Französische Literatur der Gegenwart“ 1928 eine Neuauflage folgen. Zahlreiche Artikel und Studien waren dem französischen Geistesleben gewidmet, an dem O. F. B. zeit seines Lebens regen Anteil nahm und das er genau kannte, insbesondere die Dichter des „Renouveau catholique“. Dieser liberale, weltoffene Polyhistor, Literatur- und Kulturhistoriker, der etwa 2000 größere Essays, davon etwa 800 in deutscher Sprache veröffentlicht hat, urteilte nämlich von einem sehr bestimmten Standpunkt aus: dem eines weltoffenen Katholizismus. Wie die in seinem Nachlaß aufgefundenen Briefe bezeugen, stand er mit zahlreichen Vertretern dieser neuen christlichen Dichtung auch in persönlicher Verbindung, zum Beispiel mit Paul Claudel, Giovanni Papini, Gertrud von Le Fort, Theodor Haecker u. a. Zwei recht gegensätzlichen Schriftstellern hat O. F. B. durch Jahrzehnte die Treue gehalten: 1932 erschien sein erstes Buch über Johann Nestroy, 30 Jahre später eine stark erweiterte Neuauflage. 1930 schrieb O. F. B. zum erstenmal über Karl May; im Jahr 1966 wurde, posthum, mit einem Nachwort seines Sohnes, sein letztes Kari-May-Buch herausgegeben. In Forst-Battaglias Nachlaß findet sich auch umfangreiches Material über die genealogische Verflechtung der europäischen Eliten. Eine Sammlung von acht Essays zur österreichischen Literatur unter dem Titel „Abgesang auf eine große Zeit“ ist 1967 im Herold-Verlag, Wien und München, erschienen. Vom gleichen Verlag wurde soeben auch ein letzter Essayband Otto Forst- Battaglias herausgebracht, der noch zu seinen Lebzeiten mit dem Autor besprochen und disponiert worden ist. Unter dem Titel „Weltbürger — Europäer — Österreicher“ sind fünf Studien über Karl V., den Prinzen Eugen, Metternich, Radetzky und den Thronfolger Franz Ferdinand vereinigt. Der Titel dieses letzten Buches ist symbolisch: Er gilt auch für den Autor, den letzten uns bekannten „homme de lettres“ mit enzyklopädischer Bildung.

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