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Der linke und der rechte Weg

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Im September 1949 versammelten sich in dem vom Krieg verheerten und von Demontagen bedrohten Bochum 500.000 Katholiken zum 73. Deutschen Katholikentag. Zwischen den Hochöfen und den Werkshallen, zwischen den Schlackenhalden und den zerstörten Wohnblocks wurde das Kreuz aufgerichtet, „an Ort und Stelle* die soziale Frage zum großen Anliegen der deutschen Katholiken erklärt. Kein Lebensgebiet blieb unberücksichtigt, keiner Entscheidung wurde ausgewichen. Ein Ruf ertönte, der geeignet war, weite Kreise über Deutschland hinaus aufhorchen zu lassen und zu einer • Stellungnahme herauszufordern — für oder gegen — das „M i t b e s t i m-mungsrecht“ der Angestellten und Arbeiter an den Stätten ihres Wirkens! Konkret, sehr konkret hatte Bochum gesprochen, weit in die praktische Sozialpolitik waren die deutschen Katholiken vorgestoßen. Groß waren die Hoffnungen und Erwartungen---

Bochum hatte aber einen großen Fehler. Man schrieb 1949. Vier Jahre trennten bereits von dem großen Umbruch 1945. Vier Jahre, die nicht nur in Deutschland solchen gewaltigen Unternehmen ungünstig waren. Der Gegensatz West-Ost warf bereits überdeutlich seine harten Schatten über das Land, die Demarkationslinie an der Elbe war Staatsgrenze geworden. Die Sicherung des Bestehenden — der vom Krieg verschonten Reste und des neuen Erwerbes — rückten in der Bundesrepublik in den Vordergrund des Interesses. Mit den sichersten Mitteln unter Vermeidung aller Experimente halten, erhalten, behalten: dies schien vielen das Gebot der Stunde. Meister in der Wahrung und Bewahrung des ihnen anvertrauten Gemeinwesens und seiner Menschen waren aber zu allen Zeiten die deutschen Bürgermeister. Aus ihrem Holz war auch der Oberbürgermeister von Köln, Dr. Adenauer, der gerade zur selben Zeit, als die 500.000 von Bochum auseinandergingen, die schwierige Aufgabe übernommen hatte, das erste deutsche Kabinett nach dem zweiten Weltkrieg zu bilden. Nach dem Wahlergebnis mußte es ein Koalitionskabinett sein. Große oder kleine Koalition hieß die Alternative, Kompromiß mit der zweitstärksten Fraktion, mit den Sozialisten, oder Zusammenarbeit mit der liberalen „Freien Demokratischen Partei“ und der gemäßigten Rechten. Schon diese Entscheidung fand geteilte Meinungen. Den Ansichten des hervorragenden Wirtschaftsfachmannes Professor E r h a r d t, welcher das Programm des Neoliberalismus vertrat und daher auch dem Zusammengehen mit den Liberalen zuneigte, stellte sich vor allem der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold, entgegen, aus dessen Land und unter dessen Mitarbeit vor kurzem erst der Ruf von Bochum ergangen war. Der christliche Gewerkschafter hegte nicht nur ein schweres Mißtrauen gegen eine Verlagerung des Schwergewichts innerhalb seiner Partei nach rechts — die Erinnerungen an die Vereinigung „Kreuz und Adler“, die in der Weimarer Zeit die katholischen Industriellen und Großagrarier gegen das „System Brüning“ gesammelt hatte, mag dabei vielleicht mitgespielt haben. Der Ministerpräsident des Landes der Zechen und Gruben wußte wohl auch von dem erfolgreichen Versuch des Restes der deutschen Großindustrie, Anschluß an das internationale Kapital zu finden. Würden diese Kräfte auf dem Umweg über die liberalen Kreise starken Einfluß auf die Regierung gewinnen, dann drohte dem soeben formulierten Mitbestimmungsrecht ernste Gefahr, dann war Bochum nichts anderes als eine unerfüllbare Hoffnung. Dr. Adenauer wählte die „Kleine Koalition“, den Bürgerblock, zu welchem Entschluß die oft verletzende Art, der Starrsinn und Doktrinarismus des sozialistischen Führers Dr. Schumacher einen nicht geringen Teil beigetragen haben mag. Die Bonner Regierung nahm ihre Arbeit auf. Zurückblieb aber eine leichte Entfremdung zwischen den Vertretern der beiden Koalitionsmöglichkeiten, zwischen den Anhängern des linken und des rechten Weges innerhalb der CDU: doppelt schmerzhaft fühlbar nach der noch vor kurzem in so überzeugender Weise zur Schau gestellten Einmütigkeit. Und auch die Zeit heilte diesmal nicht die Wunde. Im Gegenteil. Aus verschiedenen Meinungen über bestimmte Entscheidungen, wie sie nun einmal auch innerhalb einer politischen Gruppe üblich sind, wurden feste Uberzeugungen, ja Programme. Ein politisches Grabensystem innerhalb der eigenen Stellungen wurde ausgehoben. Der Bonner Koalition wird — nach den Wahlen in Hessen und Bayern mit besonderem Nachdruck — die Zusammenarbeit zwischen den großen Parteien entgegengestellt; Kanzler Adenauer, der die Politik seines Wirtschaftsministers deckt, stehen in der Frage große oder kleine Koalition deutlich sichtbar Karl Arnold in Nordrhein-Westfalen und Dr. Müller in Bayern gegenüber. Die Männer der Praxis werden durch jene der Theorie, Eugen Kogon und Walter Dirks, in ihren „Frankfurter Heften“ mit Nachdruck unterstützt, während die große repräsentative katholische Zeitschrift „Der Rheinische Merkur“ die Bonner Linie verteidigt. -, Und immer, wenn das große Streitgespräch besonders heftig aufflammt, hat es sich an der Frage des Mitbestimmungsrechts entzündet. Schon im Oktober des vergangenen Jahres — wenig Wochen nach Bochum und nach der Bil-, dung des Kabinetts — übte die Staats-, politische Sektion der katholischen Arbeiterbewegung scharfe Kritik. Die Person Dr. Adenauers blieb außer Diskussion — „keinen besseren Kanzler könne man sich wünschen“ —, aber in seinem Kabinett liege das Schwergewicht bei den liberalen Kreisen. Die Mehrzahl der Minister betrachte das Mitbestimmungsrecht als bloße Demonstration des linken Flügels der CDU. Als im Sommer die bekannte Rede Papst Pius' XII. an die Arbeitgeber ausschließlich im Sinne des innerhalb des Bonner Kabinetts diskutierten Kompromisses zwischen CDU und Unternehmerentwurf ausgelegt wurde, trat P. Hirschmann S. J. in „Mann und Zeit“ dieser Auffassung entgegen und gerade in diesen Wochen * war wieder einmal die Frage des Mitbestimmungsrechts Anlaß zu Äußerungen lebhaften Unmuts, ja zu offenen Kampfansagen von seiten der Arbeiterschaft, der sozialistischen wie der christlichen.

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